Die Katholische Kirche bekämpfte die Lutherbibel. Und vice versa. Dennoch haben beide einander erstaunlicherweise einiges zu verdanken. Von Elisabeth Birnbaum
Luthers Septembertestament
Martin Luthers Bibelübersetzung war nicht die erste und auch nicht die letzte deutsche Bibelübersetzung. Wohl aber war sie die wohl wichtigste für die deutsche Sprache überhaupt. Im September 1522 erschien Luthers Übersetzung des Neuen Testaments. Nur elf Wochen hatte er dazu benötigt. Ihr Siegeszug ließ sich kaum aufhalten. Und das verdankt sie – wenn auch nicht beabsichtigt – unter anderem der katholischen Kirche.
Denn diese reagierte mit Entsetzen. Zum einen war für die kirchliche Hierarchie klar, dass Luthers Übersetzung auch Luthers theologische Sichtweisen transportieren konnte. Und zum anderen war ihr Luthers Ansinnen, dass möglichst vielen Menschen eine Bibelübersetzung in ihrer jeweiligen Muttersprache zur Verfügung gestellt werden sollte, etwas Unerhörtes.
Niemand darf die Heilige Schrift in der Muttersprache haben. (Synode von Tarragona 1234)
Korrekturbibeln
Um Lutherische Ideen zu bekämpfen, beeilte man sich nach ein paar Jahren Schockstarre, sogenannte „Korrekturbibeln“ herzustellen, die Luthers „Irrtümer“ tilgen sollten. Ein erster solcher Versuch wurde von Hieronymus Emser 1527 unternommen. „Das naw testament nach lawt der Christlichen kirchen bewerten text / corrigirt / und widerumb zurecht gebracht“ war jedoch alles andere als ein selbstständiges Werk. Vielmehr übernahm Emser größtenteils Luthers Übersetzung, griff nur da und dort ein und verhalf ihr so zu größerer Verbreitung. Den „Sudler“ nannte Luther Emser denn auch und höhnte, dass dieser wohl eingesehen habe, „dass ers nicht besser machen konnte“ und dass er „fast Wort für Wort“ Luthers Schrift verwendet habe.
Andere Korrekturbibeln verfassten Johannes Dietenberger 1534 und Johann Eck 1537. Beide übersetzten das Alte Testament relativ eigenständig, das Neue Testament jedoch übernahmen sie von Hieronymus Emser und damit indirekt von Luther. Beide passten Luthers und Emsers obersächsische Sprache dabei dem Oberdeutschen an, Eck sehr stark, Dietenberger etwas zurückhaltender. Durch die große Verbreitung, die vor allem Dietenbergers Übersetzung zuteilwurde (in den nächsten zwei Jahrhunderten wurden ca. 100.000 Exemplare gedruckt) tradierten sie auf diese Weise, ohne es zu wollen, Luthers Sprachgewalt auch im katholischen Raum. So verdankt die Lutherbibel ihre Wirkmacht unter anderem der katholischen Kirche.
Bibel und Volkssprache
Doch auch die katholische Kirche verdankt der Lutherbibel einiges. Luthers Bibelübersetzung war nicht nur revolutionär, weil sie „protestantisches Gedankengut“ enthielt, sondern weil sie von Anfang an darauf zielte, Menschen zum Bibellesen zu befähigen, damit sie die biblischen Botschaften als Gegengewicht zu kirchlichen Dogmen benützen konnten. Dieser herrschaftskritischen und emanzipatorischen Dimension der Bibel war man sich kirchlicherseits sehr wohl bewusst. Schon im 13. Jahrhundert reagierte man unwirsch, wenn der Wunsch nach volkssprachlichen Übersetzungen aufkam. Die Synode von Tarragona 1234 formulierte besonders streng: „Niemand darf die Heilige Schrift in der Muttersprache haben. Und wer eine hat, muß sie binnen einer Woche dem Erzbischof zum Verbrennen abliefern, wenn er nicht als Häretiker gelten soll.“[1]
Und die katholische Reaktion auf Luther, das Konzil von Trient, betonte in „Dominici gregis custodiae“ vom 24. März 1564, dass nur der Bischof und die Inquisition einzelnen Personen eine von (natürlich ausschließlich!) katholischen Autoren übersetzte und vom Lehramt approbierte Bibel in der Volkssprache erlauben könnten, falls diese Personen vom Pfarrer oder Beichtvater zum Lesen einer volkssprachlichen Bibel für würdig befunden worden seien.[2]
Das Lesen der Bibel ist nicht für alle Christen notwendig, weil sie von der Kirche belehrt werden. (Pius X.)
Noch der Katechismus von 1905 durch Pius X. stellte klar, dass es nicht für alle Christen notwendig sei, die Bibel zu lesen, „weil sie von der Kirche belehrt werden“ (883). Bibeln in der Volkssprache seien nur dann erlaubt, wenn sie von der Kirche genehmigt und mit kirchlich genehmigten Erklärungen versehen sind (884). Eine protestantische Bibel müsse ein Christ aber jedenfalls „mit Abscheu zurückweisen“ (887).[3]
Luthers Spätfolgen
Durch die große Verbreitung der katholischen Korrekturbibeln verwässerte sich jedoch der Widerstand gegen das Lesen der Bibel für Laien nach und nach. Das Anliegen, den Gläubigen die „richtige“ Übersetzung zuteilwerden zu lassen, verdrängte das Anliegen, den Gläubigen gar keine Übersetzung in die Hand zu geben. So veränderte Luthers Bibelübersetzung nicht nur die Sprache katholischer Übersetzungen, sondern trug auch dazu bei, dass das Bibellesen in der Volkssprache – obgleich sehr langsam – im katholischen Raum zunahm, nach und nach geduldet wurde und zuletzt im Zweiten Vatikanischen Konzil sogar ausdrücklich gewünscht und eingefordert wurde (DV 22): „Der Zugang zur Heiligen Schrift muß für die Christgläubigen weit offenstehen“. Darum „bemüht sich die Kirche …, daß brauchbare und richtige Übersetzungen in die verschiedenen Sprachen erarbeitet werden …“ Und (DV 25): „Ebenso ermahnt das Heilige Konzil alle Christgläubigen, „… besonders eindringlich, durch häufige Lesung der göttlichen Schriften die ‚überragende Kenntnis Jesu Christi‘ … zu erlangen.“
Der Zugang zur Heiligen Schrift muß für die Christgläubigen weit offenstehen. (DV 22)
1966 verschwand auch der „Index verbotener Bücher“ aus der katholischen Kirche, der unter anderem sämtliche evangelischen Bibelübersetzungen enthielt. Und wenn dem im selben Jahr gegründeten Österreichischen Katholischen Bibelwerk im Statut zur Hauptaufgabe gemacht wird, „allen Menschen die Bibel vorzustellen und anzubieten“, ist dies – neben vielen anderen Faktoren – auch Luthers Übersetzung der Bibel zu verdanken.
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Elisabeth Birnbaum, Wien, ist promovierte Alttestamentlerin und seit 2017 Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks.
Buchtipp: Hartmut Günther, „Mit Feuereifer und Herzenslust. Wie Luther unsere Sprache prägte“ (Bibliographisches Institut, 2017).
Bildnachweis: Bild von Stefan K. auf Pixabay
[1] MANSI, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, vol. 23 (Venedig, 1779), S. 329,
http://mansi.fscire.it/immagine/12096, einges. am 18.10.2022.
[2] MANSI, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, vol. 33 (Paris, 1901), S. 229,
http://mansi.fscire.it/immagine/17067/#di-comboopere, einges. am 18.10.2022. vgl. DH 1851–1861.
[3] Vgl. Hl. Pius X., Kompendium der christlichen Lehre (hg. von der Piusbrüderschaft), Wien 1981, S. 250.