Wie geht man in Kindergärten mit religiöser Differenz um? Helena Stockinger (Linz) hat sich in ihrer Dissertation empirisch mit dieser Frage auseinandergesetzt und sieht Kindergärten als „Spiegel der Gesellschaft“ und als Lernfeld für respektvollen Umgang mit (religiöser) Differenz.
„Religiöse Vielfalt ist in unserem Kindergarten gar kein Problem. Alle Kinder feiern ganz normal beim Osterfest mit.“ Dieser und ähnliche Sätze wurden mir auf meine Frage zum Umgang mit religiöser Vielfalt immer wieder von Pädagoginnen und Leitungen von Kindergärten gesagt. Religiöse Vielfalt scheint in vielen Kindergärten keine Herausforderung zu sein. Leicht kann die dahinterliegende Perspektive übersehen werden: die Selbstverständlichkeit des „Eigenen“ und die Aufforderung an die „Anderen“, sich zu assimilieren.
Einblick in zwei Kindergärten
Für meine Dissertation habe ich das Geschehen in einem Kindergarten in katholischer und einem Kindergarten in islamischer Trägerschaft ein Jahr lang begleitet. Ermöglicht haben mir dies Pädagoginnen und Leitungen, denen religiöse Differenz ein Anliegen war und die bereit waren, ihren Umgang damit kritisch hinterfragen zu lassen. Wie ein kurzer Einblick in die Situation der beiden Kindergärten verdeutlicht, ergeben sich einige Herausforderungen im Umgang mit dieser Differenz.
Ihre eigenen Religionen werden nur insofern erkennbar, als diese Kinder etwas nicht dürfen.
In beiden Kindergärten zeigt sich die Tendenz, dass eine Religion den Alltag dominiert. In der Auswahl und der Gestaltung der Feste, der gesprochenen Gebete, in der Sichtbarkeit der Religion im Kindergartenalltag sowie in den religiösen Angeboten im Kindergarten wird eine Religion bedacht, andere Religionen werden nicht berücksichtigt. Beispielsweise werden vor dem Essen Gebete der Religion der Trägerschaft gesprochen, bei denen alle Kinder mitbeten.
Die Kinder mit anderen Religionszugehörigkeiten passen sich an die im Kindergarten gelebte Religion an. Ihre eigenen Religionen werden nur insofern erkennbar, als diese Kinder etwas nicht dürfen, eigene religiöse Ausdrucksformen oder Bräuche werden im Kindergarten weder von den Pädagoginnen noch von den Kindern thematisiert. Konkret zeigt sich dies beispielsweise bei religiösen Festen, bei denen die Eltern über die Teilnahme ihrer Kinder entscheiden. Falls die Eltern dies nicht möchten, sollten sie ihr Kind vor dem Fest abholen. So wirkt die Gruppe der Kinder religiös homogen.
Es werden diejenigen übersehen, die sich von der Mehrheit unterscheiden.
Wo religiöse Differenz dennoch erkennbar ist, wird Kommunikation darüber eher vermieden: etwa bei einem Konflikt, bei dem eine muslimische Mutter den Pädagoginnen mitteilte, dass ihr Kind kein Kreuzzeichen machen sollte. Daraufhin empfahlen die Pädagoginnen der Mutter andere Kindergärten und die Situation bewirkte keine weiteren Gespräche über den Umgang mit religiöser Differenz. Die Ursachen für diese Scheu vor Kommunikation über religiöse Differenz sind vielfältig. So erwähnen Pädagoginnen, dass sie alle Kinder gleich behandeln wollen und Unterschiede mangels Wissens über andere Religionen oder aus Angst vor Konflikten nicht ansprechen würden.
Integration ist nicht gleich Assimilation
Wird Differenz, die im Kindergarten vorkommt, ignoriert, kann dies zu Ungerechtigkeit führen oder Ungerechtigkeiten bestätigen. Es werden diejenigen übersehen, die sich von der Mehrheit unterscheiden. Die Aufforderung an „andere“, sich zu assimilieren, ist nicht auf den Kindergarten beschränkt, sondern vielmehr ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Tendenz, „Integration“ und „Assimilation“ zu verwechseln.
Kindergärten sind Lern- und Begegnungsorte für einen konstruktiven Umgang mit Differenz.
Gleichzeitig sind Kindergärten Organisationen mit einer Eigendynamik, in denen Entwicklungen und Veränderungen möglich sind, die wiederum auf die Gesellschaft einwirken. Sie sind oft die ersten Einrichtungen, in denen Kinder außerhalb ihres familiären Umfelds mit verschiedenen religiösen Einstellungen und Weltanschauungen konfrontiert werden. Das macht Kindergärten zu wichtigen Lern- und Begegnungsorten für einen konstruktiven Umgang mit Differenz. Wird diese sensibel wahrgenommen und thematisiert, können Kinder ein Gefühl der Zugehörigkeit in Differenz entwickeln. Insbesondere können jene Kinder unterstützt werden, die sonst vielleicht übersehen werden oder bei denen stillschweigend Anpassung gefordert wird.
Religiöse Differenz ist mit vielen anderen Dimensionen der Differenz verflochten. Da im Umgang mit Differenz stets Macht- und Hierarchieverhältnisse eingelagert sind, gilt es einen Zugang zu entwickeln, der Macht über andere reduziert. Dies scheint besonders auch für die Situation im Kindergarten notwendig.
Kindergärten als safe spaces
Die Verantwortung hierfür liegt keinesfalls ausschließlich bei den Pädagoginnen und Pädagogen. Vielmehr können Kindergärten durch Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und Bildungsangebote unterstützt werden, ihre Einrichtungen als Räume zu entwickeln, in denen sich Kinder sicher und zugehörig fühlen, in denen Differenz wahrgenommen und thematisiert werden darf und jedes Kind in seiner Differenz anerkannt ist.
Alle Kinder brauchen Räume, in denen sie sich geborgen, sicher und zugehörig fühlen, wo sie als verletzliche Wesen ernst genommen sowie in ihrer Verletzlichkeit angenommen und anerkannt sind. Dieser Entwicklung von safe spaces liegt das Bestreben nach Bildungsgerechtigkeit zu Grunde, indem strukturelle Benachteiligung reduziert wird. Kindergärten haben den Auftrag, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu ihrer Bildung beizutragen. Wie auch die UN-Kinderrechtskonvention festhält, dürfen Unterschiede zwischen Kindern dabei kein Grund für Diskriminierung sein.
Kindergärten als Spiegelbild der Gesellschaft können vorbildhafte Räume sein, in denen gelebt wird, was hoffentlich auch in der Gesellschaft möglich wird: ein kompetenter und respektvoller Umgang mit Differenz.
Wird im Kindergarten Differenz zugelassen, so führt dies anfangs vielleicht zu Herausforderungen, Irritation oder dem Hinterfragen der eigenen Sicherheiten. Die Auseinandersetzung damit birgt jedoch hohes Potential, sich als Organisation, Pädagogin, Pädagoge und Leitung weiterzuentwickeln. Religiöse Differenz bedeutet aber nicht nur Arbeit für die Kindergärten, nicht nur eine Last, sondern kann einen wertvollen Beitrag für die Entwicklung der Kindergärten und somit auch der Gesellschaft leisten. Kindergärten als Spiegelbild der Gesellschaft können vorbildhafte Räume sein, in denen gelebt wird, was hoffentlich auch in der Gesellschaft möglich wird: ein kompetenter und respektvoller Umgang mit Differenz.
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Dr. Helena Stockinger ist Assistenz-Professorin und Leiterin der schulpraktischen Abteilung an der Katholischen Privat-Universität Linz sowie Supervisorin. Ihre Publikation zum Thema „Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten. Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer uns islamischer Trägerschaft“ erscheint demnächst im Waxmann-Verlag.
Beitragsbild: https://pixabay.com/de/h%C3%A4nde-hand-drucke-farben-1234273/