Es gilt einen Weg zu finden zwischen Verständnis für die Langsamkeit von Kirche und Ambitionen, dass sie sich weiterentwickelt. Das gilt auch für Fragen nach Partizipation bei der bischöflichen „Jugendsynode“ 2018 in Rom, schreibt Simon Linder.
Wenn Katholische Kirche sich bewegt, bewegt sie sich langsam. Epochale Veränderungen sind selten – die letzten auf weltkirchlicher Ebene dürfte es beim Zweiten Vatikanischen Konzil gegeben haben. Wer in der Kirche haupt- oder ehrenamtlich aktiv ist, sollte sich von dem Gedanken freimachen, der nächste epochale Umbruch stünde womöglich bald an, und dann würde alles besser. Das andere Extrem, also jegliche Zustände zu akzeptieren, „weil das schon immer so war“, ist jedoch auch keine ratsame Alternative. Im Normalfall gilt: Jede und jeder muss den eigenen Weg finden; zwischen einem grundsätzlichen Verständnis dafür, dass die kirchlichen Mühlen manchmal unendlich langsam mahlen, und dem Engagement für das eigene Idealbild von Kirche. In dieser Ambivalenz werden nun einige Überlegungen zu Partizipationsmöglichkeiten im Vorfeld und bei der Jugendsynode angestellt: Auf der einen Seite mit Verständnis, auf der anderen Seite aber auch mit dem Blick dafür, was anders werden kann und muss.
Begeisterung entsteht durch Beteiligung.
Die Ordentliche Versammlung der Bischofssynode zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ findet im Oktober 2018 in Rom statt. Der Begriff „Jugendliche“ jedoch, das sei an dieser Stelle eingeschoben, ist missverständlich: Es geht um die Gruppe der 16- bis 29-Jährigen, weshalb in diesem Text neben dem Begriff „Jugendsynode“, der sich schnell festgesetzt hatte und daher auch verwendet wird, ausschließlich von „jungen Menschen“ gesprochen wird.
Will die Jugendsynode etwas erreichen, muss für junge Menschen klar erkennbar sein, warum sie relevant ist. Das Herz junger Menschen muss dafür begeistert werden. Wenn nicht deutlich wird, dass da etwas passiert, was sich zu beobachten lohnt, wird sich auch kaum jemand dafür interessieren. Es ist zweifelhaft, ob Begeisterung bei jungen Menschen entfacht werden kann, wenn eine Gruppe ausgewählter Bischöfe drei Wochen lang hinter verschlossenen Türen über das Leben junger Menschen diskutiert. Begeistern können wird die Jugendsynode wohl nur, wenn der Vatikan junge Menschen beteiligt und dabei mutig ist. Aber Partizipation ist nicht gleich Partizipation.
Partizipation ist nicht gleich Partizipation.
Gaby Straßburger und Judith Rieger, die beide an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin tätig sind, forschen seit Jahren zu diesem Thema. In ihrem Modell der Partizipationspyramide beschreiben sie sechs verschiedene Stufen der Partizipation, die Institutionen realisieren können.
- Informieren
- Meinung erfragen
- Lebensweltexpertise einholen
- Mitbestimmung zulassen
- Entscheidungskompetenz teilweise abgeben
- Entscheidungsmacht übertragen
Mit Blick auf die Entwicklungsstufen bezüglich der Partizipation durch junge Menschen bei der Jugendsynode wird nun – mit Verständnis – erläutert, was in den letzten Monaten passiert ist und – mit Ambitionen – darüber nachgedacht, was noch möglich sein könnte (oder müsste).
Stufe 1: Informieren
Die Phase, in der Entscheidungsträgerinnen und in diesem Fall wohl vornehmlich Entscheidungsträger einer Institution sich über ein Thema informieren, ist naturgemäß am schwierigsten zu beobachten und damit auch zu analysieren sowie zu bewerten – dies geschieht im Normalfall hinter verschlossenen Türen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Papst Franziskus und Kardinal Lorenzo Baldisseri, Generalsekretär der Bischofssynode, sich gut informiert haben. Denn sonst wäre der Vatikan womöglich bei Stufe 1 stehen geblieben, und hätte die nächsten Stufen gar nicht mehr zu erreichen versucht.
Stufe 2: Meinung erfragen
Im Laufe des Jahres gab der Vatikan zwei Dokumente heraus: einen Fragebogen an die Bischofskonferenzen, Ordensoberen, Dikasterien der Römischen Kurie (also die Zentralbehörden im Vatikan) und die Synodenräte und Hierarchienräte der Katholischen Ostkirchen, sowie eine Online-Umfrage. Bei der Beantwortung des Fragebogens wurde in vielen Diözesen Deutschlands die Expertise junger Menschen eingeholt. Das fertige Dokument, von der Bischofskonferenz aus den Rückmeldungen der Bistümer zusammengestellt, geht nun an das Synodensekretariat und soll auch veröffentlicht werden – ein wichtiger Schritt in Sachen Transparenz zur Jugendsynode, wenigstens in Deutschland. Die genannte Online-Umfrage ist eine etwas kompliziertere Angelegenheit – vor allem, weil man nicht „nur“ möglichst viele katholische junge Menschen zwischen 16 und 29 Jahren auf der ganzen Welt beteiligen will, sondern – wie Papst Franziskus es wünscht – auch möglichst viele, die nicht katholischen Glaubens sind.
Themen, die wichtig wären, fehlen komplett.
An dieser Stelle hatte der Vatikan also selbst hohe Ambitionen – und große Probleme. Die Online-Umfrage war für den 1. März angekündigt, erschien dann erst Mitte Juni; dazu gab es zum Start nur fünf verschiedene Sprachversionen, und zwar Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch; eine deutsche Version kam erst nach Initiative der hiesigen Bischofskonferenz hinzu. Auch genügt das Fragedesign nicht jeglichen Ansprüchen, die man wissenschaftlich anstellen könnte (oder sollte), manche Fragen muten etwas seltsam an. Dass zur Beantwortung der kompletten Online-Umfrage dreißig Minuten gebraucht werden, ist gerade für junge Menschen mit einer geringeren Aufmerksamkeitsspanne alles andere als ideal. Außerdem fehlen manche Themen, die wichtig wären, komplett – beispielsweise finden sich keine kirchenpolitischen Fragen nach Mitbestimmung durch junge Menschen in der Kirche in der Online-Umfrage. Dass Themen wie diese gerne mal als „deutsche Themen“, die sonst angeblich niemanden auf der Welt interessieren würden, diskreditiert werden, ist kein Argument dafür, sich nicht damit auseinanderzusetzen.
Trotzdem: Online-Umfrage breit streuen
Trotz dieser Schwachpunkte der Online-Umfrage ist das Engagement des Vatikans positiv zu bewerten. Deshalb ist es nun auch wichtig, die Online-Umfrage breit zu streuen und zu bewerben. Denn umso mehr junge Menschen daran teilnehmen, desto besser (weil repräsentativer) wird das Ergebnis. Die Online-Umfrage kann also als guter Startpunkt einer Zusammenarbeit zwischen Vatikan und jungen Menschen zur Jugendsynode gesehen werden: für den Vatikan, weil er damit zeigt, dass er bereit ist, neue Wege zu gehen, und für die jungen Menschen, wenn sie in großer Zahl die Chance nutzen, sich einzubringen.
Stufe 3: Lebensweltexpertise einholen
Sogar an die dritte Stufe wagt sich der Vatikan. So erklärte Kardinal Baldisseri in den letzten Monaten in einigen Interviews, dass junge Menschen über das Ausfüllen der Online-Umfrage hinaus an der Jugendsynode beteiligt werden sollen, nämlich konkret bei Gesprächen vor Ort in Rom. Das solle aber nicht erst zur Jugendsynode geschehen, sondern schon zuvor, auch bei der Vorbereitung des Instrumentum laboris, das als Basisdokument für die Diskussionen in der Synodenaula dient.
Bei willkürlicher Beteiligung ohne Legitimation droht ein Scheitern.
Baldisseri beließ es nicht bei Ankündigungen, sondern ließ Taten folgen: Zunächst fand im September ein „Vorbereitungsseminar“ zur Jugendsynode in Rom statt, im März des kommenden Jahres folgt eine „Vorsynode“, über die jedoch noch nicht viel bekannt ist. Damit die dritte Stufe erreicht werden kann, braucht es nun dringend zwei Dinge: Repräsentanz und Transparenz. Möchte der Vatikan mit legitimierten Vertreterinnen und Vertretern junger Menschen sprechen, sollte er – zumindest dort, wo Strukturen vorhanden sind, die jungen Menschen Partizipation vor Ort ermöglichen – auf diese zurückgreifen. Außerdem muss kommuniziert werden, welche Person aus welchem Grund eingeladen wird. Geschieht das nicht, sondern werden weiterhin anscheinend ohne belastbare Kriterien ausgewählte junge Menschen nach Rom gebeten und nach ihrer persönlichen Meinung befragt, wird die Jugendsynode scheitern, weil die sogenannten Vertreterinnen und Vertreter keinerlei Legitimation besitzen, die Anliegen junger Menschen in die Synode zu transportieren. Offiziell legitimierte Vertreterinnen und Vertreter könnten auch mit einem ganz anderen Anspruch auftreten.
Erst bei „Mitbestimmung zulassen“ beginnt echte Partizipation.
Hier steht die Kirche nun also – mitten bei ihrem ambitionierten (und lobenswerten!) Ansatz, nach Problemen mit der zweiten Stufe auch noch die dritte Stufe zu betreten. Diese wird nach Straßburger und Rieger übrigens als letzte der drei „Vorstufen der Partizipation“ bezeichnet – „echte Partizipation“ startet erst bei Realisierung der Voraussetzungen für die vierte Stufe. Und obwohl es mehr als unwahrscheinlich ist, dass der Vatikan die drei folgenden Stufen „Mitbestimmung zulassen“, „Entscheidungskompetenz teilweise abgeben“ und „Entscheidungsmacht übertragen“ bei der Jugendsynode umsetzt, beispielsweise durch ein Stimmrecht für junge Menschen, so gibt es dennoch zwei unterschiedliche Herangehensweisen an die selbstverständlich bestehende Option, sich als Kirche daran zu wagen, die Stufen der „echten Partizipation“ zu erreichen.
Nicht die Ekklesiologie vom Kirchenrecht her definieren, sondern andersherum
Die erste mögliche Herangehensweise ist die rein von geltendem Kirchenrecht her argumentierende: Die Jugendsynode ist nun einmal keine Synode junger Menschen, sondern eine Bischofssynode, für die eben bestimmte Regeln gelten. Es gibt aber auch noch eine zweite mögliche Herangehensweise: indem man sich der Frage stellt, was Kirche möglich machen müsste, damit das zu Beginn gesetzte Ziel, die Herzen junger Menschen für dieses Treffen zu gewinnen, erreicht werden kann. Dass dies ein Anliegen von Papst Franziskus ist, ist offensichtlich – sonst hätte er wohl kaum bei der Verkündung, dass die Jugendsynode stattfindet, einen Brief an alle jungen Menschen geschrieben und würde sich auch nicht so häufig an sie wenden. Außerdem macht Mut, dass der Papst vor kurzer Zeit anmahnte, dass sich nicht die Ekklesiologie vom Kirchenrecht her definieren lassen müsste, sondern andersherum – und dass „Kollegialität, Synodalität, mehr Verantwortung für die Ortskirchen und Mitverantwortung aller Christgläubigen für die Mission der Kirche“ in Zukunft eine größere Rolle spielen sollten. Die Jugendsynode ist nun auch für Papst Franziskus eine Chance, zu zeigen, wie ernst er es damit meint.
Junge Menschen wollen die Kirche mitgestalten.
Epochale Veränderungen in der Kirche, wie sie beim Zweiten Vatikanischen Konzil für damalige Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zu beobachten waren, sind zwar selten, können aber weit ausstrahlen und auch Jahrzehnte später noch Wirkung entfalten. Und manchmal sind es nicht einmal Entscheidungen zu besonders wichtigen Themen, sondern es ist beispielsweise ein Satz, der sich im Gedächtnis der Kirche einbrennt. Einer dieser Sätze (der möglicherweise, das sei zur Vollständigkeit hier angeführt, gar nicht ausgesprochen wurde, was aber gar keine größere Rolle spielt) lautet: „Macht die Fenster der Kirche weit auf!“ Dieser Satz wurde zu einem prägenden Bild für die darauffolgenden Perspektivwechsel und epochalen Veränderungen durch das Zweite Vatikanische Konzil. Zur Jugendsynode könnte als Motto parallel dazu gelten: Macht die Türen der Synodenaula weit auf! Auf für junge Menschen, denen Kirche wichtig ist, und die – bei allem Verständnis für langsam mahlende Mühlen – mit gutem Recht erwarten, dass sie die Zukunft der Kirche mitgestalten können, deren Zukunft sie sind.
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Simon Linder ist Referent für Kirchenpolitik und Jugendpastoral an der Bundesstelle des BDKJ.
Bild: BDKJ-Bundesstelle