Frauen hatten in der Kirche über 1200 Jahre lang Zugang zur juristischen Leitungsvollmacht. Und Frauenkonvente verfügten in ganz Europa über beachtliche, heute kaum mehr vorstellbare Machtfüllen. Annalena Müller erläutert dies – nicht ohne Seitenblicke auf die Relevanz dieser Fakten für aktuelle Debatten.
«No», antwortete Papst Franziskus im Mai auf die Frage einer US-Journalistin, ob katholische Mädchen erwarten dürften, Diakoninnen zu werden. Im Nachsatz präzisierte der Papst: Auch in Zukunft wird es keine Weiheämter für Frauen geben. Für Millionen Katholikinnen (und Katholiken) war die Absage des Papstes wohl ein Schlag in die Magengrube.
Frauen bleiben von den Weihen und damit von der Teilhabe an Autorität ausgeschlossen
Weder die Empörung, die Petitionen und offenen Briefe, die man seither in den liberalen katholischen Medien des deutschsprachigen Raums lesen kann, noch der zweite Teil der Weltsynode im Oktober dürften an dieser katholischen Realität etwas ändern. Frauen bleiben von den Weihen und damit von der Teilhabe an Autorität ausgeschlossen.
Heute hängt die Teilhabe von Frauen an Autorität von ihrer Ernennung durch mächtige Männer ab
Zwar hat Papst Franziskus in den vergangenen Jahren einzelne Frauen in wichtige, vor allem symbolträchtige Positionen berufen. Die Französin Sr. Nathalie Becquart ist seit 2021 Untersekretärin der Bischofssynode und gehört damit quasi dem vatikanischen Kader an. Und die Schweizerin Helena Jeppesen-Spuhler darf als eine von 54 stimmberechtigten Frauen an der Weltsynode teilnehmen. Aber diese Frauen bleiben Ausnahmen. Wichtiger: Ihre Teilhabe an Autorität ist abhängig von der Ernennung durch mächtige Männer. Aus sich oder aus ihren Ämtern heraus haben Frauen in der katholischen Kirche nach wie vor keine Möglichkeit, an Macht teilzuhaben.
Die Kopplung von Autorität an Weihe ist heute Kirchengesetz. Das war nicht immer so. Die Bindung der juristischen Leitungsvollmacht an die Weihevollmacht ist erst seit dem Zweiten Vatikanum kirchenrechtlich festgeschrieben. Davor existierten beide unabhängig voneinander. Und tatsächlich hatten Frauen über 1200 Jahre lang Zugang zur juristischen Leitungsvollmacht. Und sie übten diese auch aus.
Äbtissinnen sprachen Recht und schickten Soldaten in den Krieg
Zwischen dem Frühmittelalter und der Säkularisierung nach der Französischen Revolution (ab 1789) verfügten Frauenkonvente in ganz Europa über beachtliche, heute kaum mehr vorstellbare Machtfüllen. Sie waren geistliche Anführerinnen ihrer Gemeinschaft, bildeten in Klosterschulen – vor allem im Frühmittelalter – Knaben aus, die später Priester wurden. Für die oft zahlreichen Pfarreien, die ihren Abteien unterstanden, ernannten und entliessen sie Priester. Die Konvente nahmen Steuern ein, Äbtissinnen sprachen Recht und schickten Soldaten in den Krieg.
Die Zürcher Fraumünsterabtei als Beispiel
Notre-Dame de Soissons, Fraumünster in Zürich und Buchau am Federsee im heutigen Deutschland sind drei typische Beispiele für solche Abteien. Wie unzählige vergleichbare Institutionen wurden die Abteien im Frühmittelalter gegründet. Anhand der Zürcher Fraumünsterabtei lässt sich der typische Ursprung solcher Monasterien zeigen.
Ludwig der Deutsche gründete die Abtei im Jahr 853 und stattete sie mit grossen Ländereien, inklusive 55 Dörfern und 120 Leibeigenen aus. An die Spitze setzte der König zunächst seine Tochter Hildegard. Nach deren frühen Tod ernannte er seine Tochter Bertha zur Äbtissin. Während weiten Teilen des Mittelalters war die Äbtissin des Fraumünsters auch die Stadtherrin Zürichs.
Klostergründungen wie die des Fraumünsters waren immer strategische Angelegenheiten. An wichtigen Handelsstrassen, auf Passübergängen in den Alpen oder in unsicheren, weil neu-akquirierten Gebieten, gründeten die Mächtigen der Zeit Klöster. Der Grund ist schnell erklärt. Während die Herrschenden von Ort zu Ort reisten – die historische Forschung spricht vom Reisekönigtum – waren Klöster örtlich gebunden. Mit der Gründung eines Klosters und Einsetzung getreuer Familienmitglieder an der Spitze konnten Herrscher – ob Kaiser, Königinnen oder andere Fürsten – mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Orte des Gebetes – Verwalter weitläufiger Besitztümer – Repräsentanten der Macht
Natürlich waren diese Klöster Orte auch des Gebetes – ganz besonders für die Seelen der Gründungsfamilien. Aber daneben waren sie auch Verwalter oftmals weitläufiger Familienbesitztümer, die dem Kloster bei der Gründung übertragen wurden, und örtliche Repräsentanten der Macht.
Die Verbindung zwischen Territorialpolitik und Frauenklöstern ist in der Frühmittelalterforschung bekannt. Allerdings blieb die Frage nach der langfristigen Entwicklung dieser Institutionen bislang ungestellt. Diese Forschungslücke mag verwundern, ist die Quellenlage doch vielfach hervorragend.
Aufwändige, aber lohnende Forschung
Der Grund liegt just in der hohen Zahl der Dokumente. Denn diese wurden, im Gegensatz zu den grossen Männerklöstern, für Frauenklöster selten ediert. Forschende müssen sich daher Informationen aus oftmals schwer lesbaren, unsystematisch archivierten und uneinheitlichen Dokumenten heraussuchen. Das Unterfangen ist aufwendig und zeitintensiv, aber epistemologisch sehr lohnend.
In einem Forschungsprojekt bin ich anhand der oben genannten Klöster der Frage nachgegangen, wie sich Frauenklöster bis ins 16. Jahrhundert entwickelt haben. Im Zentrum der Betrachtung standen vor allem wirtschaftliche Aspekte. Aber auch die Frage, ob die weibliche Führung der Klöster eine negative Auswirkung auf deren Autorität hatte.
In keinem der Konflikte war das Geschlecht der Klosterfrauen Thema
Die Antwort auf die letzte Frage ist eindeutig. In keinem der Konflikte mit untergebenen Priestern, abhängigen Bauern oder machthungrigen Bischöfen war das Geschlecht der Klosterfrauen Thema. Die Frauen fanden sich über Jahrhunderte hinweg immer wieder in Konflikten mit Untergebenen und Konkurrenten. Die Äbtissin von Notre-Dame musste ihren Stadtteil vor Übergriffen der Bischöfe von Soissons schützen. Diese versuchten, ihre Autorität über die Abtei und deren Gebiete auszudehnen. Mit wechselnden Allianzen – mal mit lokalen Adeligen, mal mit rivalisierenden Bischöfen oder auch mit dem König in Paris – gelang es den Äbtissinnen, die eigene Macht langfristig zu konsolidieren. Eine ähnliche Strategie lässt sich in Buchau beobachten, wenn auch auf viel kleinerem Niveau. Hier war es nicht der Bischof, sondern die werdende Bürgerschaft, von der sich Äbtissin und Konvent im Spätmittelalter abgrenzten und so ihre Macht nachhaltig festigten.
Der Fraumünsterabtei fehlte es an einer Strategie
Von den drei Klöstern war allein die Fraumünsterabtei langfristig weniger erfolgreich. Bei der Gründung am reichsten ausgestattet, verlor die Abtei ab dem 14. Jahrhundert an Macht und Einfluss. Anlass war aber auch hier keine schwächere weibliche Autorität, sondern kurzsichtiges wirtschaftliches Agieren der Verantwortungsträgerinnen. Der Klosterführung fehlte es im Spätmittelalter an einer Strategie. Dies führte zum wirtschaftlichen und, damit verbunden, zum machtpolitischen Niedergang. Die Reformation hatte auch deshalb in Zürich ein leichtes Spiel, da hier eine starke Bürgerschaft auf eine geschwächte Stadtherrin traf. Buchau und Notre-Dame hingegen behielten ihre geistliche und weltliche Macht bis zu ihrer Auflösung 1792 (Notre-Dame) und 1806 (Buchau).
Der Fokus auf die Weihe und die dienende Rolle der Frau ist ahistorisch
Kann man Lehren aus der Geschichte mittelalterlicher Frauenabteien für die moderne Kirche ziehen? Das ist natürlich immer schwierig, denn so ziemlich alles hat sich in den letzten 500 Jahren verändert. Nicht zuletzt die Kirche selbst.
Aber vielleicht kann man gerade deswegen folgendes sagen: Der Fokus auf die Weihe als einziger Zugang zur Teilhabe an Macht, und damit kirchlicher Mitgestaltung, ist ahistorisch. Dasselbe gilt für die Festlegung der Frauen auf eine dienende Rolle.
Veränderung ist Teil von Geschichte
und Traditionen konstituieren sich in Zeiten des Umbruchs
Und vielleicht auch dieses: Die lange Geschichte der katholischen Kirche ist, wie die aller anderer Institutionen, von Kontinuitäten, aber auch von Brüchen gekennzeichnet. Veränderung ist Teil von Geschichte und Traditionen konstituieren sich in Zeiten des Umbruchs. An diesem Fakt ändert auch ein päpstliches «No» nichts.
—
Annalena Müller ist promovierte Historikerin und Chefredaktorin des «pfarrblatt» des Kanton Bern. Ihre Studie «Monastic Women and Secular Economy in Later Medieval Europe, ca. 1200 to 1500” ist im Januar 2024 bei Routledge erschienen. Das Forschungsprojekt wurde vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert. Die Studie kann kostenlos (Open Access) heruntergeladen werden. (Foto: Pia Neunschwander)