Der Journalist Sandro Mattioli ist einer der wichtigsten deutschen Mafia-Experten. Für Feinschwarz.net beleuchtet er das Verhältnis von Mafia und römisch-katholischer Kirche. Einblicke in ein selten wahrgenommenes Dunkelfeld.
In Süditalien sind die Menschen sehr religiös. Und in Süditalien haben weltweit aktive Mafia-Clans ihre Heimat. Dies hat ein nicht immer einfaches Verhältnis zwischen Kirche und Mafia zur Folge. Zwei Perspektiven auf ein Phänomen.
1. Die Kirche und die Mafia
Wenn es darum geht, die Mafia zu bekämpfen, ist immer wieder das Engagement einzelner Menschen entscheidend. Da macht auch die katholische Kirche keine Ausnahme – und auch kein Papst. Don Luigi Ciotti, der Gründer des italienischen Antimafia-Netzwerkes Libera und auch so ein einzelner Mensch, gibt manchmal eine Episode zum Besten, die sinnbildlich dafür stehen kann. Ciotti kümmerte sich ursprünglich in Turin als Priester um vernachlässigte Menschen, Drogenabhängige und andere am Rand der Gesellschaft. Später begann er, sich im Kampf gegen die Mafia zu engagieren. Heute ist er einer der profiliertesten Akteure auf diesem Feld. Und so kam es, dass er 1993 den damaligen Papst Johannes Paul II. in Sizilien begleitete.
Die Antwort war blutig
Auf dem Weg zu seiner Predigt nahm der Papst ziemlich spontan die Einladung von Rosalia Corbo und Vincenzo Livatino an. Das Ehepaar hatte drei Jahre vorher ihren Sohn zu Grabe tragen müssen, einen jungen Staatsanwalt. Rosario Livatino war auf dem Weg zur Arbeit gewesen, als die Mörder sein Auto rammten und den Flüchtenden dann mit Schüssen niederstreckten. Livatino hatte zuvor gegen eine Vielzahl von Mafiosi ermittelt und ihnen vor allem – dank des neuen Instruments der Vermögensbeschlagnahme – den Reichtum weggenommen. Die Antwort der Mafiosi war blutig, wie so oft damals und auch noch heute.
Der polnische Papst Johannes Paul II. hörte sich die Geschichte der Familie in deren Wohnzimmer an. Tief erschüttert beschloss er spontan, seine Predigt zu ändern. Engagiert wie selten hörte man ihn später vor tausenden Gläubigen ausrufen:
„Gott hat einmal gesagt: Du sollst nicht töten! Der Mensch, jeder Mensch, jede menschliche Ansammlung … die Mafia, kann dieses heiligste Recht Gottes nicht verändern und mit Füßen treten!“ Dann forderte Johannes Paul II. jeden Mafioso direkt zur Umkehr auf: „Im Namen des gekreuzigten und auferstandenen Christus‘, der Leben, Weg, Wahrheit und Leben ist. Ich sage den Verantwortlichen: Bekehrt euch! Eines Tages wird das Gericht Gottes kommen!“ Schon 1982, als Johannes Paul II. Palermo besucht hatte, enthielt sein Manuskript ähnliche Passagen. Damals hatte er sie aber übersprungen. Aus Zeitgründen, war die Erklärung.
Klare Haltung und Formen der Kollaboration
Viele Priester hatten auch vor Johannes Pauls II. Predigt den Glauben entsprechend gelebt und sich gegen die Mafia gestellt, auch in der Öffentlichkeit. Bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts waren Priester deswegen ermordet worden. Doch erst mit seiner Predigt legte der Papst 1993 dann endlich den Grundstein für eine klare Haltung der gesamten katholischen Kirche gegenüber Cosa Nostra, ’ndrangheta und anderer Mafia-Organisationen. Man würde glauben, dass der Inhalt der christlichen Lehre direkt zu dieser Haltung führe. Dennoch fehlte sie viele Jahrzehnte lang und gab auch Raum für verschiedene Formen der Kollaboration.
An die von Johannes Paul II. begründete Linie knüpft der aktuelle Papst erfreulicherweise direkt an. Franziskus exkommunizierte im Juni 2014 Mafiosi und griff das Thema seitdem mehrmals auf. Er richtete eine Arbeitsgruppe im Vatikan dazu ein. Franziskus verschärfte auch die Compliance-Regeln für das vatikanische Finanzwesen, das Mafia-Clans in der Vergangenheit immer wieder für ihre Geschäfte genutzt haben. Im Juni empfing er bei einer Audienz den ehemaligen ’ndrangheta-Boss Luigi Bonaventura und Mitglieder seines Vereins, der sich für Mafia-Aussteiger einsetzt. Darunter auch den Autor dieses Beitrags, der mafianeindanke vertrat, die wichtigste deutsche Antimafia-Organisation.
Unterstützerin der Mafia
Trotz all dieses Engagements wird die katholische Kirche heute landläufig oft als Unterstützerin der Mafia gesehen. Dieses Bild ist geprägt worden von einigen Priestern, die untergetauchte Mafiabosse verheiratet haben oder gesegnet oder auch sonst mit den Clans kooperierten. Ihr Tun wirkt lange nach. Die positiven Beispiele, derer es heute viele gibt, werden dagegen nicht entsprechend wahrgenommen. Nur eine Auswahl: Don Pino de Masi arbeitet mit Jugendlichen auf von der ’ndrangheta beschlagnahmten Ländereien; Don Angelo Cassano engagiert sich für das Antimafia-Netzwerk Libera; Don Maurizio Patriciello arbeitet mit Müttern, deren Kinder wegen Giftmüll an Krebs erkrankten; Don Benito Giorgetta betreut Mafia-Aussteiger, Don Nando Russo hat eine Prozession verlassen, weil der Zug vor dem Haus des lokalen Camorra-Bosses Halt machte und lebt wegen dieses mutigen Zeichens in Lebensgefahr; Bischof Francesco Oliva predigt in der Wallfahrtskirche von Polsi mit klaren Worten gegen die ’ndrangheta, obwohl die kriminelle Organisation das jährliche Fest im Aspromonte-Gebirge für sich beansprucht.
Nehmen wir nun die andere Perspektive ein, die der Mafiosi.
2. Die Mafia und die Kirche
In Italien gibt es vier große Mafia-Organisationen – die “ndrangheta aus Kalabrien, die Camorra aus dem Raum Neapel, die sizilianische Cosa Nostra und die Sacra Corona Unita, die jüngste von allen. Alle Organisationen haben mehrere tausend Mitglieder. Ihnen ist gemein, dass sie längst auch außerhalb ihres Herkunftsgebietes agieren. Die ’ndrangheta zum Beispiel ist auf fünf Kontinenten und in fast allen europäischen Mitgliedsstaaten aktiv, zuvorderst Deutschland und die Schweiz. Der Umsatz aller Organisationen zusammen lässt sich schwer schätzen. Fachleute setzen ihn bei bis zu 130 Milliarden Euro pro Jahr an. Die Clans betätigen sich nicht nur in illegalen Geschäften, sondern interessieren sich für jede Art von Business, solange es nur Einfluss und/oder Profit bringt.
Dies hat zur Folge, dass sie mehr oder weniger modern aufgestellt sind. Zugleich haben sie sich ihren archaischen Charakter weitgehend bewahrt, wie das Beispiel der ’ndrangheta bestens zeigt. Noch immer praktizieren viele Clans traditionelle Aufnahmeriten und bedienen sich einer Symbolik, die sie unter anderem dem reichen Fundus der katholischen Kirche entnehmen: Neuankömmlinge werden getauft, es kommt dabei ein Heiligenbildchen zum Einsatz. Man mordet und verbreitet Unrecht – und gibt sich gerne religiös. Dies macht es für Priester im täglichen Leben nicht einfacher, ihr Verhältnis richtig zu justieren. Auch vor diesem Hintergrund war die Exkommunizierung von Mafiosi durch Papst Franziskus eine wichtige Handreichung, auf die Priester sich nun berufen können.
Gratiszement
Ein historisches Beispiel verdeutlicht das Verhältnis vonseiten der Mafia zur Kirche bestens: Ein Mafioso der Camorra lieferte Zement gratis für einen Neubau in der Gemeinde von Don Peppe Diana. Später, im März 1994, wurde der Priester von demselben Clan ermordet.
Immer wieder missbraucht die ’ndrangheta Begriffe der Kirche, etwa für ihre Rituale und Dienstränge. In einer Vernehmung führte dies zu einem unterhaltsamen Detail: der Staatsanwalt wusste im Gespräch mit dem Mafia-Kronzeugen Domenico B. nicht, ob der Spitzname eines Clanbruders nun dessen realen Beruf beschreibt, einen Rang innerhalb der Mafia oder eben nur ein Spitzname ist. Hier der Dialogausschnitt:
Staatsanwalt: Salvatore S., den Sie das letzte Mal erwähnten, nannten sie „den Priester“. Bezieht sich das auf eine reale Tatsache?
Verdächtiger: Ja, er wurde im Gefängnis von Crotone getauft, dort wurde er zum „Priester“.
Staatsanwalt: Von der ’ndrangheta oder von…?
Verdächtiger: In der Kirche
Staatsanwalt: Ah, in der Kirche…
Verdächtiger: Ja, im Gefängnis von Crotone. In allen Gefängnissen gibt es ja Taufen, Kommunionen, solche Sachen, für Leute, die nicht in der Kirche sind.
(Zur Erklärung: Salvatore S. wurde also in der Gefängniskirche von Crotone in die ’ndrangheta aufgenommen und erhielt den Spitznamen „der Priester“.)
Franziskus ernsthaft folgen
Man könnte sagen, dass mit der klaren Linie von Papst Franziskus das problematische Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Mafia geklärt ist. Allerdings besteht noch immer Luft nach oben. Eine wichtige Funktion etwa könnten die Diaspora-Priester einnehmen. Sie halten Kontakt zu Italienerinnen und Italienern im Ausland, und da die Mafia-Clans sich stark internationalisiert haben, wäre es gut, wenn auch die Kirche hier für das Thema Antimafia sensibilisieren würde. Möchte man Franziskus ernsthaft folgen, genügt es nicht mehr, nur die in Italien einschlägig bekannten Mafia-Familien zu berücksichtigen. Die Clans treten längst verstärkt bürgerlich, als Investoren und Unternehmer auf. Auch diese Menschen sind Teil einer komplexen verbrecherischen Organisation und müssen von der Kirche adressiert werden. Dazu muss man sie allerdings erst einmal erkennen. Sind die Auslandspriester entsprechend mit dem Thema Mafia und Antimafia vertraut, gelingt das eher. Entsprechende Schulungen und Fortbildungen wären somit ein Ansatz.
Sandro Mattioli ist Journalist und Vorsitzender des Berliner Vereins mafianeindanke.
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