Das praktisch-theologische Vermächtnis einer Kirchenmutter von Barbara Wieland.
Kein Anruf, keine SMS oder WhatsApp, kein Signal-Post und keine kurze Mail mehr: Es wäre noch ein Artikel für das Pfarrblatt zu schreiben … Ob denn wohl ihr Briefentwurf an den Bischof schon überarbeitet sei … Wir benötigen für eine Flüchtlingsfrau dringend eine Nähmaschine – das muss am Sonntag auf jeden Fall vermeldet werden … Der Papst könnte das, was in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland steht, doch mal kurz und allgemeinverständlich schreiben … Der Seecontaier für das Partnerbistum in Kumbo ist da und muss umgehend gepackt werden … Und die Fotos von allen möglichen und unmöglich geglaubten Anlässen bleiben auch aus. Diese Nachrichten vermissen nun nicht nur Gemeindemitglieder, sondern auch Hauptamtliche, Pfarrer und Bischöfe in Deutschland und weit darüber hinaus.
Margurit Aßmann fehlt überall: Ihrem Mann Gerd Reiner, mit dem sie in konfessionsverbindender Ehe mehr als fünfzig Jahre verheiratet war, ihren drei Kindern mit Familien und im Besonderen ihren fünf Enkelkindern, ihrem Freundeskreis, der Gemeinde St. Johannes Ap. in der Pfarrei St. Margareta Frankfurt und so vielen Menschen im Stadtteil Unterliederbach. Immer noch ist es kaum begreiflich, dass sie nie wieder da sein wird, mit ihrem Lachen, ihren Ideen, ihrer Zuwendung und ihrer Tatkraft.
Im Dezember 1945 wurde sie als Margurit Joyes Michenfelder in Frankfurt-Höchst geboren. Ihre Mutter ließ sie im Städtischen Krankenhaus zurück, während der ersten vier Lebensjahre wuchs sie im Waisenhaus der Stadt Frankfurt in Kelkheim-Eppenhain auf. Dann nahm sie eine alleinstehende Lehrerin, Fräulein Waltraud Kuhl aus Frankfurt-Unterliederbach, an Kindesstatt an. Weil „Oma Walli“ bereits 50 Jahre alt war, durfte sie das Mädchen nicht adoptieren. Das hinderte sie nicht daran, sie wie eine eigene Tochter zu behandeln: Kochen und Putzen lernte sie nicht kennen, sehr wohl aber Literatur französischer Existenzialisten. Nach der Grundschule besuchte Margurit die Elisabethenschule der Dernbacher Schwestern in Hofheim am Taunus und übernahm bereits in diesen Jahren Sonntagsdienste im Hofheimer Krankenhaus. Nach der Mittleren Reife 1962 begann sie die Ausbildung zur Krankenschwester, wegen ihres jugendlichen Alters mit einer Sondergenehmigung. Ihre Mutter, die „Oma Walli“, hätte es gerne gesehen, wenn sie weiter zur Schule gegangen und dann Lehrerin geworden wäre, erkannte aber später, dass diesem Berufswunsch eine wirkliche Berufung zugrunde lag. Ihre erste Stelle nach dem Staatsexamen erhielt sie 1966 in der Neugeborenenabteilung. Die Verbindung zur Kongregation der Dernbacher Schwestern und zu der Spiritualität ihrer Gründerin, der Heiligen Maria Katharina Kasper, riss nie ab.
Nicht Kochen und Putzen, sondern französische Existentialisten.
Als ihre eigenen Kinder im Schulalter waren, arbeitete sie im Höchster Krankenhaus, immer in der Frauenklinik. Das Leben am Anfang bei der Geburt war ihr so vertraut wie die Erfahrung des Todes, häufig an Krebs erkrankter junger Frauen. Eine Entscheidung war für sie unverrückbar: als Krankenschwester niemals an Abtreibungen mitzuwirken.
Bereits in den 1950er Jahren war sie in der Gemeinde St. Johannes Ap. in Unterliederbach aktiv. Ein Wunsch erfüllte sich in Kindertagen nie: Die Rolle der Maria im Krippenspiel. 1973 nahm sie erste ehrenamtliche Aufgaben wahr, zunächst im Elternbeirat des Katholischen Kindergartens, dann im Bereich der Katechese, viele Jahre blieb sie ein Aktivposten im Kinder- später auch im Familienzeltlager. In den Jahren 1991-2018 wählte sie (mit einer Unterbrechung von drei Jahren) der PGR zu seiner Vorsitzenden, nach Gründung der Pfarrei St. Margareta 2018 bis zu ihrem Tod zur Vorsitzenden des Ortsausschusses.
Nie Maria im Krippenspiel.
Ihr ganz besonderes Charisma zeigte sich seit Beginn der 1990er Jahre: In der Pfarrei St. Johannes Ap. diskutierte der Pfarrgemeinderat gemeinsam mit Pfarrer Werner Meuer sehr intensiv die Fragen: Welche Aufgabe ist uns als Pfarrei ganz konkret in unserem Stadtteil gestellt, wie werden wir noch mehr Kirche im Stadtteil? Unterliederbach-Ost zählte damals zu den Sozialen Brennpunkten Frankfurts. Auf welche Weise wollen wir an die Arbeit heran gehen? Wer kann das tun, aus welcher Kraft? Welchen biblischen Bezug erkennen wir für unser Anliegen? Dieser anspruchsvolle Prozess wurde über zwei Jahre von Mitarbeitern des Caritasverbands begleitet: Ludger Engelhardt-Zühlsdorff und Dr. Valentin Dessoy. Als Ergebnis wurde die ganz enge Verzahnung von Katechese, Caritas und Gottesdienst erreicht. Die Bibelstelle aus dem Markusevangelium, die von der Heilung des blinden Bartimäus berichtet und in der Jesus an ihn die Frage richtet: „Was soll ich dir tun?“ (Mk 10,46-52) ist bis heute Grundausrichtung aller caritativer Überlegungen der Gemeinde.
Umgesetzt wurde unter maßgeblicher Initiative von Frau Aßmann 1995 die „Allgemeine Lebensberatung“, bis heute das Herz der Caritasarbeit. Nur wer mit vermeintlich einfachen Fragen ein offenes Ohr und eine helfende Hand findet, sucht auch den Weg zu Kirche in schweren Stunden und existentieller Not, in Glaubensfragen und im Glaubenszweifel. Und genau deswegen ist auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ehrenamtlichen und der Gemeindeleitung unabdingbar, wie Frau Aßmann nicht müde wurde, hervorzuheben. Es folgten als weitere Bausteine der Kinder-Kleiderkorb, 1997 die Gründung des Vereins „Caritas der Gemeinde St. Johannes Ap. e.V.“ (am Fest der Hl. Hildegard von Bingen), dessen Vorsitzende und Motor Frau Aßmann bis 2018 war, im Jahr 2000 das „Hilfenetz“, danach die „Kleider im Werkhof“, seit 2008 die Aktion „Geschenkte Familienzeit – Ferien in Hübingen“ und im Jahr 2009 wurde das Geschäft „Kleider im Alleehaus“ eröffnet. Dass dazu im Sinne der Netzwerkarbeit die Mitgliedschaft im Stadtteilarbeitskreis und im Vorstand des Nachbarschaftsvereins gehörte, versteht sich beinahe von selbst. Margurit Aßmann kümmerte sich persönlich um Menschen, die nach einem Gerichtsurteil Geldstrafen als gemeinnützige Arbeitsstunden ableisten mussten und dem Verein „Caritas der Gemeinde“ zugewiesen wurden. Die „Stundenleute“ erfuhren in diesem Einsatz nicht Strafe, sondern Zuwendung und Perspektive. Manch einer brauchte telefonische Aufforderungen, die Arbeit unmittelbar anzutreten, drohte doch sonst ein Gefängnisaufenthalt. Einige hielten den Kontakt noch lange nach dem Ableisten aller Auflagen. Bei all dem lautete die Devise: „Not erkennen und eingreifen“. Gelingen konnte das alles in enger Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Caritasverband, namentlich Caritasdirektor Hartmut Fritz und Caritasdirektorin Gaby Hagmans, sowie mit deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Zeitgleich mit der Neuausrichtung im caritativen Bereich wurde 1994 im PGR die neue Ausgestaltung der Pfarrkirche beraten und beschlossen, sie ist bleibendes Zeugnis der Verbindung von Diakonie und Liturgie: In den Altar wurden die Reliquien des Heiligen Vinzenz Pallotti und der Seligen (heute Heiligen) Maria Katharina Kasper eingesetzt. Der Tabernakel verbindet Bibelstellen mit dem Leben der Kirche vor Ort: auf der Rückseite ist die Skyline von Frankfurt zu sehen – mit der Johanneskirche und dem Frankfurter Bartholomäusdom. In der Kirche nimmt der „Caritaspfad“ immer seinen Beginn. Anlässlich eines Visitationsbesuchs von Bischof Dr. Franz Kamphaus (1996) war es die Idee von Margurit Aßmann sämtliche Einrichtungen, die zur Caritas im Stadtteil zählen, des Caritasverbandes wie der Pfarrei, in einen Rundweg zusammenzufügen und daran das Selbstverständnis der Gemeinde zu erläutern. Unzählige Gruppen sind diesen sich immer wieder verändernden Weg in den letzten 25 Jahren mit ihr gegangen: Erstkommunionkinder, Firmkurse, Schulklassen, Erwachsenenbildung, Interessierte aus den örtlichen Caritasverbänden und der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbands in Freiburg, Vertreter der Deutschen und anderer europäischer Bischofskonferenzen, Delegationen aus dem Partnerbistum Kumbo in Kamerun. Bis 2017 verbrachten die in Ausbildung befindlichen Priesteramtskandidaten und Pastoralen Mitarbeiter einen Studientag in Unterliederbach, um sich mit der Caritasarbeit vor Ort vertraut zu machen.
Frankfurter Skyline auf dem Tabernakel.
Ihr war die Unterstützung eines spätberufenen Priesteramtskandidaten ein persönliches Anliegen. Wer schon mitten im Beruf und im gesellschaftlichen Leben steht, kann die Zelte nicht einfach abbrechen, wenn der Weg zur Weihe noch nicht endgültig beschritten ist. Sie hat vermocht, Gemeindemitglieder anzusprechen, die über fünf Jahre durch ihre Spenden die Miete der Wohnung und einen Teil des Studiums ermöglicht haben – unabhängig davon, ob der Berufswunsch sein Ziel in der Priesterweihe findet oder in eine andere Richtung führt.
In den letzten Jahren wurden Margurit Aßmann zunehmend Projekte in Verbindung mit der generationenverbindenden Glaubensweitergabe in den Familien wichtig. „Abenteuer Glaube – Kirche im Grünen“ ist dafür ein Beispiel. Das Konzept, einen Ort zu schaffen, an dem man offen über alle Fragen zum Glauben ins Gespräch kommen kann, geht auf. Sichtbar wächst die Weidenkirche, die Angebote werden gut angenommen. Gefördert wurde der Start durch das Netzwerk Familienpastoral des Bistums Limburg, eine Steuerungsgruppe, der zwei Caritasmitarbeiterinnen angehörten, gab Unterstützung. Auch hier zeigte sich die beeindruckende Fähigkeit von Margurit Aßmann, Menschen zusammenzuführen (diesmal aus den fünf Gemeinden der neu gegründeten Pfarrei St. Margareta), noch dazu aus einer Altersgruppe, die sich durch Kirche häufig wenig angesprochen fühlt. Mit Freude haben an einem eiskalten Januartag 2018 Kinder und Erwachsene gemeinsam mit Margurit Aßmann am Filmdreh für eine ARD-Dokumentation zur Zukunft der Kirche mitgewirkt („Kirche ohne Priester“ Ausstrahlung 23.4.2018).
Abenteuer Glaube auf Stadt(kirchen)ebene.
Eine wirksame Arbeit auf Stadt(kirchen)ebene setzt Freude am Engagement in der Großstadt voraus, es braucht Menschen, die gerne Erfahrungen teilen, Ideen einbringen und durch die eigene Persönlichkeit zum Mittun animieren, so wie Margurit Aßmann. In allen Frankfurter Pfarreien wurde inzwischen ihre Idee des Hilfenetzes verwirklicht, sie hat diese Gründungsprozesse eng begleitet. In der Stadtversammlung der Frankfurter Katholiken hat sie die Idee und die Umsetzungsmöglichkeiten der Sozialpastoral mehrfach vorgestellt, sie wurde in den Stadtsynodalrat (das Beratungsgremium unter Vorsitz des Stadtdekans) gewählt. Mit Mut brachte sie an geeigneter Stelle Themen ins Gespräch, zu denen in der Gesellschaft oft geschwiegen wird: Hat Kirche keine Möglichkeiten der Hilfe, wenn in der Stadt Frankfurt Schwangere, die unter uns als Illegale leben, aus Angst nicht zur Entbindung ins Krankenhaus gehen – kann es hier denn keine Lösung geben? Doch, man konnte sie finden, ohne großen öffentlichen Aufhebens.
Bis zum Tod gehörte sie der Mitgliederversammlung des Caritasverbandes Frankfurt und dem Caritasrat an. Genauso pflegte sie als Vertreterin der Projektebene den Kontakt zu den kommunalen Netzwerkpartnern im Beirat „Soziale Stadt“, beruhend auf der Teilnahme am Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Förderungsbedarf – Soziale Stadt“.
Im Jahr 2002 konnte sie für das Hilfenetz bei der Verleihung des Nachbarschaftspreises der Stadt Frankfurt aus der Hand von Bürgermeister Vandreike einen Anerkennungspreis entgegennehmen. In die breite Öffentlichkeit wirkte ihre Teilnahme am „Sozialpolitischen Forum“ der Frankfurter Rundschau (2009) mit dem Thema „Den Rückzug ins Private stoppen“ und den Diskutanten Uwe Becker (Stadtkämmerer) und Prof. Matthias Lutz-Bachmann (Vizepräsident Uni Frankfurt). Es folgten zahlreiche Auszeichnungen, Fördergelder und Spenden (u.a. von Firmen, anlässlich von Weihnachtsfeiern). Frau Aßmann ließ es sich nie nehmen, gemeinsam mit einem Team Ehrenamtlicher bei der Übergabe persönlich von den Initiativen – vor allem den für die Zukunft geplanten – zu berichten. Für ihr Engagement in der Stadtkirche ist sie 2009 mit der Bartholomäusplakette geehrt worden.
Den Rückzug ins Private stoppen.
Viele Jahre nahm Frau Aßmann am Tag der Pfarrgemeinderäte zu Beginn der Kreuzwoche in Limburg teil, weil ihr die synodale Arbeit wichtig war. Der letzte öffentliche Termin, den sie auf Bistumsebene wahrgenommen hat, galt der Entgegennahme des Stiftungspreises für Soziales „Gemeinsam Zukunft gestalten“ der Caritasstiftung in der Diözese Limburg am 23. September 2019. Ausgezeichnet wurde damit die generationenübergreifende Arbeit von „Abenteuer Glaube – Kirche im Grünen“.
Eine breite Wahrnehmung erhielten die pastoralen Aufbrüche in Unterliederbach durch die Aufnahme in das Forschungsprojekt „Diakonie im Lebensraum der Menschen – Bestandsaufnahme und qualitative Erhebung zur lebensräumlichen Projektpraxis in Kirche und Gesellschaft“ (Prof. Schmälzle Uni Münster, Deutscher Caritasverband, Deutsche Bischofskonferenz) in den Jahren 2005-2008. Frau Aßmann wurde zur Ansprechpartnerin für den wissenschaftlichen Mitarbeiter Dipl. theol. Thorsten Gunnemann, der heute im Bistum Limburg arbeitet. Skeptisch war sie zunächst, ob die Mitarbeit wohl etwas bringen würde – bis ihr die Möglichkeiten bundesweiter Vernetzung aufgingen. Es folgten zahlreiche Termine als Referentin, u.a. beim Bundeskongress Ehrenamt in Hannover, öfters in Berlin, Freiburg oder Köln.
Forschung: Diakonie im Lebensraum der Menschen
Für ihr großes bürgerschaftliches Engagement erhielt sie aus der Hand des Bundespräsidenten Horst Köhler in Schloss Bellevue am 4. Dezember 2009 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland anlässlich des Tages des Ehrenamtes. Sie hat diesen Orden sehr gerne getragen, bei allen offiziellen Anlässen. Darauf angesprochen, konnte sie unkompliziert von ihren Aktivitäten sprechen, gerne von den Erfolgen: wie sich ein sozialer Brennpunkt in ein normales Frankfurter Stadtviertel gewandelt hat, wie die Beteiligung der Bewohnerschaft gelungen ist und welchen Anteil Kirche daran hat. Auf diesem Wege haben viele Persönlichkeiten das erste Mal von Unterliederbach, dem Stadtteil hinter der bewohnten Lärmschutzwand an der A 66, gehört.
Beim Studientag „Gemeinsam mit Gott hören wir einen Schrei – Armut und Ausgrenzung als Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas“ der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 21. September 2016 hat Margurit Aßmann den Ansatz und den Erfolg der sozial-caritativen Arbeit der Pfarrei dargestellt. So verschaffte sich der drei Tage zuvor geweihte Bischof Dr. Georg Bätzing unmittelbar einen Eindruck von einer Pfarrei an den Rändern seines neuen Bistums.
Gemeinsam mit Gott hören wir einen Schrei.
Im Gedenkgottesdienst am 27. Dezember 2019, dem Patroziniumsfest des Apostels Johannes, hat Stefan Krenzer – bischöflich beauftragter Gottesdienstleiter und Freund der Familie – ihr Leben und ihren Glauben in wenigen Sätzen ins Wort gebracht: „Ihr Urvertrauen war nicht zu erschüttern. Sie ging auf in der Liebe zu ihren Mitmenschen und in ihrem Vertrauen auf Gott. Einer ihrer Kernsätze war: ‚Gott tut nichts als fügen‘.“ Es ist ein Wunder, dass ein Mensch, dessen Lebensweg so unbeheimatet begann, so viel Liebe schenken kann.
Margurit Aßmann lebte ihren Glauben mit Freude und steckte viele damit an. Sie war eine Frau der Praxis, verschloss sich den theologischen Fragestellungen, die damit in Zusammenhang standen, aber nicht. Gefragt – öfter auch ungefragt – erinnerte sie Pfarrer und andere Hauptamtliche daran, dass Kirche auf vier Säulen aufruht: Liturgia, Diakonia, Martyria und Koinonia. Nur, wenn eine Gemeinde diese alle lebt, sich diesen auch im Ehrenamt gleichermaßen zuwendet, bleibt sie lebendig. Die „Theologie des Volkes“ (Teologia del pueblo) kannte sie wohl nicht, doch es war genau die Art von Papst Franziskus, auf Menschen „an den Rändern“ zuzugehen, in ihnen einen bevorzugten Ort von Kirche zu sehen, die sie in ihrem Tun sehr bestärkt hat. Sie hatte die Gabe, auf Menschen offen zugehen zu können, unabhängig ihrer gesellschaftlichen Stellung und Lebenssituation. Als PGR-Vorsitzende brachte sie Menschen unterschiedlicher religiöser Praxis und kirchenpolitischer Richtungen zusammen und sah darin eine Bereicherung des kirchlichen Lebens vor Ort. Sie war nicht nachtragend, hat nie aufgerechnet und abgerechnet: Jeder Tag ist ein neuer Tag. Was heute nicht gelungen ist, versuchen wir morgen erneut. Spannungen, die im kirchlichen Ehrenamt unvermeidbar sind, hielt sie aus, wendete manches zum Positiven. Als Papst Franziskus im Dezember 2015 das außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat, war sie der Auffassung, das müsse auch ein Zeichen für das Bistum Limburg sein, den Weg zur Versöhnung mit dem emeritierten Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst zu suchen und konkrete Schritte auf ihn zuzugehen. Diese Hoffnung hat sich bis zu ihrem Tod nicht erfüllt. Anlässlich der Heiligsprechung von Maria Katharina Kasper, der ersten Heiligen des Bistums Limburg, ist sie im Herbst 2018 mit einer Pilgergruppe nach Rom gereist. Diese Erstbegegnung mit dem Zentrum der römisch-katholischen Kirche hat sie stark gefordert. Nach erheblichem Zweifel, ob das wohl ihre Kirche ist, die sie dort auf so andere Weise kennenlernte, reifte die Erkenntnis: Das ist wirklich Weltkirche!
ungefragte Erinnerung
Es war fast so, als ob sie es geahnt hätte, dass ihr nicht mehr viel Zeit gegeben ist. Mehrfach sagte sie in der Gemeinde: Ich kann nur Lunten legen, es ist die Zeit gekommen, dass ihr allein umsetzen müsst. Bewusst gab sie im Herbst 2018 den Vorsitz des Vereins „Caritas der Gemeinde ab“, reichte vermehrt Einladungen weiter, informierte gründlicher als sonst. Bei den PGR-Wahlen im November 2019 kandidierte sie nicht mehr, wollte für Caritatives aber weiter zur Verfügung stehen.
Margurit Aßmann hat viel fremdes, aber vor allem auch persönliches Leid durchgestanden. Die erste Krebserkrankung konnte sie überwinden, die Wiederkehr Jahre später nicht mehr. Auf der Palliativstation des Höchster Krankenhauses haben in den ihr verbliebenen drei Wochen sehr viele Weggefährten noch persönlich Abschied genommen: mit einem Besuch, einem Brief, per WhatsApp oder Mail und mit Wünschen über Facebook – liebe Menschen haben ihr alles vorgelesen. Ein jährlich gehegter Wunsch ging ein letztes Mal in Erfüllung: Es hat an ihrem Geburtstag geschneit – alles war mit einer feinen weißen Schneedecke bedeckt – nur im Frankfurter Westen.
Das biblische Leitwort für das Jahr 2020 hat der Ortsausschuss der Gemeinde St. Johannes Ap. zu Beginn ihrer Krankheit gewählt – nicht ahnend, dass er es in ihrem Gedenken wird mit Leben erfüllen müssen: „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf“ (Römer 13,11). Am 13. Dezember 2019 hat Margurit Aßmann ihr irdisches Leben in die Hand Gottes zurückgegeben. Seither ist zu spüren: Sie ist gestorben und doch lebt sie mitten unter uns.
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Text: Dr. Barbara Wieland, Mitglied des Ortsausschusses von St. Johannes Ap.
und seit Oktober 2018 Vorsitzende des Vereins „Caritas der Gemeinde
St. Johannes Ap. e.V.“
Bild: Familie Aßmann