Kolumne für die kommenden Tage 36
Gut sechs Kilometer Fußweg von der Grazer Stadtmitte entfernt liegt die Wallfahrtskirche Maria Trost. Das ist natürlich in diesen Tagen ein ganz besonders einladendes Label und überhaupt ein schönes Ziel. Man erreicht es über einen weit in die Stadt hineinreichenden sanften Höhenweg. Er heißt „Roseggerweg“ und bevor man ihn am Waldrand erreicht, kommt man an der Universität vorbei und durch das „Küss die Hand“-Viertel mit Villen aus der Jahrhundertwende. Manchmal ist Österreich wirklich so reizend, wie man sich es vorstellt. Der Weg verlangt nicht allzu viel sportive Kompetenz und endet, wie es sich gehört, nicht nur bei der Basilika, sondern auch beim „Kirchenwirt“, ein ziemlich beliebtes Ausflugslokal. Natürlich ist es aktuell geschlossen.
Dieser Kirchgang war nicht unbedingt religiös motiviert: Wir wollten einfach mal wieder raus. Schließlich führte uns dieser Ausflug das erste Mal seit über fünf Wochen aus unserer Innenstadt-hood: in sich schon eine wirkliche Freude. Variatio delectat. Gut katholisch wählten wir die idyllisch gelegene Kirche als Ziel. Den normalerweise damit unvermischt und ungetrennt verbundenen Wirtshausbesuch muss man sich halt gegenwärtig – wie die Erfüllung der religiösen Bedürfnisse – selber organisieren. Wir wanderten also mit gut bestücktem Rucksack.
Kurz vor Basilika und Kirchenwirt kommt man übrigens an der Gedenkstätte einer deutschen Sprachinsel im heutigen Slowenien, der Gottscheer, vorbei, die seit dem hohen Mittelalter dort sich niederließen, im Nationalsozialismus umgesiedelt und gegen Kriegsende aus Slowenien vertrieben wurden. Da bricht die Idylle das erste Mal. Vorbei am Friedhof, noch eine Erinnerung, dass nichts bleibt und wir schlicht sterblich sind, geht es – „zuerst zum Kreuz, und dann zum Krug“ – an einem frühlingshaft-warmen Tag in die kühle Kirche.
Dort entzückt ein österlich geschmückter Altar und auch die Lourdes-Grotte bekommt von uns eine Kerze – schließlich hat uns schon Ottmar Fuchs vor vielen Jahren Respekt vor jeder Form nicht-exklusivistischer Volksfrömmigkeit nahegebracht.
Den Krug und alles andere hatten wir uns selbst mitgebracht, für Tisch und Sitze sorgte dankenswerterweise die Kirche auf dem Vorplatz. Jesus als Arzt hat spätestens seit Eugen Biser und Eugen Drewermann zu Recht wieder Konjunktur und Jesu Heilungswunder sind auch einfach zu überzeugend. Aber wurde Jesus nicht auch vorgeworfen, ein „Fresser und Säufer“ zu sein (Mt 11,19)? Und heißt es nicht: „Sie werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden und zu Tisch sitzen im Reich Gottes.“ (Lk 13,29)
Das wäre doch – nach der „festen Burg“ und der „heimeligen Familie“ – mal eine wirklich einladende pastorale Leitmetapher. Ein wenig ist ja davon noch übrig: das eucharistische Mahl natürlich, freilich lange seines Mahlcharakters ziemlich beraubt und auch heute noch ohne seine frühere deftigere Agape, dann die sommerlichen „Pfarrfeste“ („Für Speis und Trank ist bestens gesorgt“) und schließlich die Essensausgaben der Caritas für die Bedürftigsten. Gibt es noch mehr? Sicher: nur wo?
Die Kirche als Wirt, wo man Trost findet: Marias Trost. Von ihr stammen schließlich die ewigen Worte: „Herr, sie haben keinen Wein mehr.“ (Joh 2,3) Und obwohl Jesus nicht so recht will („Meine Stunde ist noch nicht gekommen“), tut er, was Maria sagt: Wein (herbei)schaffen. Johannes behauptet gar, dass das das erste „Zeichen“ Jesu war. Die Kirche, die Wein und anderes herbeischafft und feiert: Das wäre doch was und da ist noch mehr drin. Schließlich ist Feiern Zustimmung zum Leben – und das eben gleich neben dem Friedhof und trotz all der anderen schrecklichen Realitäten von Leben und Geschichte.
Wir sind dann auf dem Talweg zurückgekehrt. Und bei Maria Grün – das heißt tatsächlich so – in die Straßenbahn gestiegen. Das darf man jetzt wieder in Österreich. Es geht aufwärts.
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz und Mitglied der feinschwarz.net Redaktion
Bilder: Uta Pfab-Bucher