Dass die Taufe mehr ist als Ritus und Sakrament, wird in einem umfassenden taufpastoralen Ansatz sichtbar. Dem geht Mathis Heineke im Gespräch mit einem Bochumer Kirchenteam nach.
Eine Bochumer Kirchengemeinde hat eine markante Taufkultur entwickelt. Mathis Heineke hat mit den Verantwortlichen vor Ort gesprochen und dabei überraschende Entdeckungen gemacht. Während der Corona-Pandemie ist aus diesem Taufbewusstsein eine besondere Form der digitalen Liturgie entstanden. Ein Gespräch mit Gemeindereferentin Gertrude Knepper und Pastor Dr. Hans-Werner Thönnes.
Mathis Heineke: Wer die Kirche St. Maria Magdalena in Bochum betritt, entdeckt schnell ein kreuzförmiges, in den Boden eingelassenes Taufbecken. Wie kam es zu dieser Form, die für eine katholische Kirche doch eher ungewöhnlich ist?
Gertrude Knepper: Das hat zunächst damit zu tun, dass der vorherige Pfarrer Dietmar Schmidt sich viel mit dem Kirchenvater Augustinus auseinander gesetzt hat. Fasziniert haben ihn dabei besonders die uralten Predigten, die von der Ganzkörpertaufe in der Osternacht berichten. Zugleich hat sich Pfarrer Schmidt auch mit der Taufpraxis in den Vereinigten Staaten auseinandergesetzt. Diese beiden Aspekte brachte er zusammen und trug lange den Wunsch in sich, an einem Ort tätig zu sein, an dem er in dieser ganzheitlichen Weise Taufe feiern zu können.
Ein großes Taufbecken wo Trauerfeiern stattfinden.
Mathis Heineke: Und diese Vision konnte er in Höntrop verwirklichen?
Gertrude Knepper: Genau, als er nach St. Maria Magdalena kam, war so ein Ort im Prinzip schon vorgegeben. Die Apsis des Langhauses ist nach den Umbaumaßnahmen des II. Vatikanischen Konzils frei geblieben. Das einzige was dort zu diesem Zeitpunkt mit großer Überzeugung und Leidenschaft seitens der Gemeinde stattfand, waren Trauerfeiern. Da der Friedhof auf der Rückseite der Apsis liegt und es keine Trauerhalle gibt, versammelte sich die Gemeinde also an diesem Ort, um die Verstorbenen zu verabschieden. Pfarrer Schmidt hat die Gremien dann sehr schnell für die Idee gewinnen können, in diese Apsis hinein ein großes Taufbecken zu bauen.
Mathis Heineke: Wie wurde diese Neuerung aufgenommen?
Gertrude Knepper: Zuerst war man im Dorf schon eher skeptisch. Vor allem stellten sich die Fragen, warum man denn überhaupt eine neue Form wählt, ob die eigene Taufe dann womöglich weniger gültig war und wie es in Zukunft bei Beerdigungen ablaufen soll. Der praktisch veranlagte Pfarrer Schmidt sah da keine Schwierigkeiten: „Dann stellen wir den Sarg des Verstorbenen einfach auf die Taufstelle“. Gerade diese Lösung war dann schließlich der Schlüssel zum Ganzen. Es waren weniger die Mitfeiernden bei einer Taufe, die einen Zugang zu dieser Taufform fanden, sondern viel mehr die Trauernden, die am Taufbrunnen Abschied nahmen. Die Symbolik, dass der Sarg über dem „Abgrund“ des schwarzen Taufbrunnens zu schweben scheint, so wirkt, als ob er aus der Dunkelheit ins Licht emporgekommen ist, ist eine sehr anschauliche Verbindung zur Osternacht. Das romanische Kreuz über dem Taufbrunnen verstärkt diese Symbolik noch, zeigt es doch zugleich den schmerzverzerrten wie auch den königlichen Christus.
Mathis Heineke: Pastor Thönnes, wie haben Sie denn einen Zugang zu dieser ungewöhnlichen Taufform gefunden?
Hans-Werner Thönnes: In meinem Fall war es die Erinnerung an Ausgrabungen in Kleinasien und Israel, bei der man antike Taufbecken gefunden hat, die genau eine solche Form haben. Es ist also keine neue Erfindung für heute, sondern das ist etwas wo wir gleichzeitig einsteigen in eine grundlegende Tradition der ersten Christ:innen. Bei dem Begräbnis und bei der Taufe lesen wir häufig dieselbe Passage aus dem Römerbrief: „Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.“ Von daher ist das also theologisch stimmig, pastoralpraktisch gut umsetzbar und erinnert im Moment großen Glücks bei der Taufe daran, dass das Leben eben nicht selbstverständlich ist, sondern ein Geschenk und bei all dem, was unwägbar ist, geborgen bleibt. Im Moment großer Traurigkeit beim Abschied, kann man dann eben auch sagen: Wir dürfen daran denken, jetzt bewährt sich, was in der Taufe schon begonnen hat.
Ein neues Verhältnis zu Taufe und Tod.
Mathis Heineke: Ändert sich durch diese Herangehensweise etwas an der Sicht der Gemeinde auf ihr eigenes Christsein?
Gertrude Knepper: Also wer eine solche Tauffeier miterlebt, erfährt dabei greifbar, dass Christen vor dem Tod eigentlich keine Angst mehr haben brauchen, weil sie ihn ja schon bei der Taufe durchschritten haben und in das neue Leben hineingegangen sind. Das mindert natürlich weder den Schmerz noch die Trauer des Abschieds und relativiert sie auch nicht, aber es gibt eine Hoffnung darüber hinaus. Eine Gemeinde, die immer aus dieser Erfahrung lebt, entwickelt ein neues Verhältnis zu Taufe und Tod. Da wird selbstverständlich die Segnung für die Schwangeren an diesem Taufbrunnen gefeiert, wo möglicherweise noch eine Blume vom letzten Sargschmuck liegt. Oder wenn wir in der Osternacht Taufe feiern und sich die Neugetauften und der Priester umziehen, sind alle Gemeindemitglieder eingeladen, sich an eben diesem Taufbrunnen an ihre eigene Taufe zu erinnern.
Hans-Werner Thönnes: Gerade bei erwachsenen Täuflingen erzählen viele begeistert vom Moment der Taufe. Das heißt aber nicht, dass die jetzt eine überragende kirchliche Sonntagsgemeinde-Praxis haben. Es kann sein, dass sie im Bewusstsein ihrer Taufe leben, aber daraus nicht die Konsequenz ziehen sich jetzt sofort in dieser Gemeinde fest zu engagieren. Also deren „Kirchlichkeit“ ist nicht unbedingt dauerhaft geprägt. Das kann ich auch nicht beurteilen, aber die Verbindung ist oft sehr tief und sobald sie eine Möglichkeit haben daran anzuknüpfen, tun sie das. Es ist jetzt aber kein Automatismus: So muss man es machen und dann sind die Kirchen wieder voll. Wir dürfen da nicht auf die Spur kommen, permanent den Versuch zu unternehmen mit allem was wir tun die Kirche zu retten. Es geht um das Leben der Menschen, es geht um deren Eintauchen in eine neue Wirklichkeit und es geht um das Verstehen von Sakrament, das ein heilsames und wirksames Zeichen ist, das aber nicht der Stabilisierung bestimmter kirchlicher Strukturen dient.
Mathis Heineke: Die Taufe gilt im Christentum als gemeinschaftsstiftendes Element, das Christ:innen auch über die Konfessionsgrenzen miteinander verbindet. Wird dieser Gedanke auf besondere Weise in Ihrer Gemeindepraxis sichtbar?
Hans-Werner Thönnes: Ja, das auf jeden Fall. Also das dürfen wir bescheiden dazusagen, das ist schon eine Gemeinde, in der es Freude macht den Gottesdienst mitzufeiern und wo die Kirche ganz oft auch einfach voll ist. Das ist aber nichts, wo wir sagen würden, dass das eine Folge daraus wäre, weil wir etwas besonders gut machen. Ich glaube vielmehr, dass die Leute etwas für sich entdecken und sich deshalb gerne versammeln.
Mit Taufbewusstsein digitale Liturgie feiern?
Mathis Heineke: Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, wie ihre Gemeinde mit Gottesdiensten in der Corona-Pandemie umgeht.
Hans-Werner Thönnes: Für uns im Pastoralteam war schnell klar, dass wir nicht zeigen wollen, wie einige wenige in der Kirche Messe feiern. Das ist keine Form mit Beteiligung. Daher haben wir nach einer digitalen Form gesucht, die es den Menschen ermöglicht in Kontakt zu kommen. Ich glaube, dass das eine ganz heilsame Spur ist, wo ich dabei sein kann, ohne ausgesetzt zu sein. Manchmal denke ich, das ist ein Format, da kann ich auch hinter der Kirchensäule – im übertragenen Sinne – stehenbleiben, indem ich einfach die Kamera nicht einschalte. Dann bin ich zwar dabei, muss mich aber nicht aussetzen und zu nichts bekennen. Dann kann es beim nächsten Mal vielleicht so sein, dass ich die Kamera anmache und von anderen wahrgenommen werde. Das bildet ein Netzwerk, wo die Menschen merken, dass sie etwas verbindet. Das ist jetzt gar nichts was wir machen, sondern was einfach passiert.
Gertrude Knepper: Was auch gelingt ist, dass es generationsübergreifend ist. Es sind einerseits Familien, die mit ihren Kindern davorsitzen und andererseits zum Beispiel eine alte Dame, die fast neunzig ist und im Gottesdienst berichtet hat, was denn die Geschichte von Hanna und Simeon für sie bedeutet. Es ist einfach schön zu sehen, dass wir eben nicht einfach nur die „Computer-Freaks“ erreichen, sondern auch Enkel, die gemeinsam ihren Großeltern dann sonntags vor einem Bildschirm Gottesdienst feiern.
Von vielen vorbereitet – mit breiter Beteiligung.
Mathis Heineke: Zu diesen digitalen Gottesdiensten kann man sich über die Homepage der Gemeinde anmelden. Diese finden dann bei Zoom mit rund siebzig Teilnehmer:innen statt. Wer bereitet dieses Angebot vor?
Gertrude Knepper: Wichtig ist uns an dieser Stelle die Partizipation, zum einen werden die Gottesdienste von vielen Ehrenamtlichen mit vorbereitet. Zum anderen versuchen wir die Gemeindemitglieder in die Feiern einzubinden, so haben wir zum Beispiel eine Frau aus unserer Gemeinde eingeladen, die beide Elternteile durch Corona verloren hat und die dann im Gottesdienst davon berichtet hat, wie es ist wenn jemand aus der Familie erkrankt ist. Die Bereitschaft und das Vertrauen vor zweihundert Bildschirmen davon zu erzählen, stammt wohl aus dem Katechumenatskurs, an dem sie in unserer Gemeinde als Erwachsene teilgenommen hat. Das hat bei ihr das Vertrauen geweckt, nicht vorgeführt zu werden, sondern als gleichberechtigter Teil der Gemeinde agieren zu können. Das ist ein wirklich schönes Zeichen, das da aus der Taufe entsteht.
Mathis Heineke: Haben Sie vielen Dank für das informative Gespräch. Für mich war es vor allem interessant das besondere Taufverständnis kennenzulernen, das durch das ganze Leben tragen kann.
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Autor: Mathis Heineke studiert katholische Theologie an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Foto: Izzy Gibson / unsplash.com