Eine Frau, Maya Angelou, mit einer beeindruckenden Biographie im Umfeld des großen Freiheitskämpfers Martin Luther King, hat Wichtiges zu sagen. Marita Wagner stellt eine Frau mit einem beeindruckend vielfältigen Schaffen vor.
Sie fürchtete sich manchmal vor sich selbst, so wortgewaltig war sie. Zeitweise glaubte sie von sich, durch ihr gesprochenes Wort Menschen töten zu können. Aus Angst vor dieser Macht der Worte verstummte sie als achtjährige. Doch ihre Großmutter versicherte ihr: „Mir ist es egal, wenn die Leute denken, du seist dumm, weil du nicht reden kannst. Ich weiß, wenn du und der Herr so weit seid, wirst du eine Predigerin und Lehrerin sein. Du wirst weltweit zu den Menschen sprechen.“ (1)
Vor fünf Jahren, am 28. Mai 2014, verstarb die Afroamerikanerin Maya Angelou. Vor 91 Jahren, am 4. April 1928, wurde sie als Marguerite Annie Johnson in St. Louis, Mississippi geboren. Für ihr umfassendes Wirken lassen sich nicht genügend Berufsbeschreibungen finden. Sie war Sängerin, Schauspielerin und zugleich die erste schwarze Regisseurin in Hollywood.
Eine Bürgerrechtlerin an der Seite Martin Luther Kings.
Später war sie als Schriftstellerin, Dichterin und Journalistin tätig. Sie war vor allem aber auch eine Bürgerrechtlerin, die sich an der Seite von Martin Luther King Jr. gegen den strukturellen Rassismus Amerikas zur Wehr setzte. Als Professorin für Amerikanische Studien lehrte sie an der Wake Forest University in Winston-Salem und wurde mit über 50 Ehrendoktortiteln ausgezeichnet. Das Leben der Maya Angelou kannte keinen Stillstand.
1. Hass und Liebe gegenüber weißen Nichtmenschen
Nach der Scheidung der Eltern wachsen die dreijährige Maya und ihr älterer Bruder Bailey bei der Großmutter in Stamps, Arkansas auf. Der Gemischtwarenladen, den die Familie betrieb, sicherte sie finanziell ab. Dennoch nimmt Angelou schon früh die herrschende Rassendiskriminierung in den Südstaaten der USA wahr. Diese Erfahrung thematisiert sie besonders in ihrer ersten Autobiographie von 1969, Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt (I know why the caged bird sings): „Wir waren Mägde und Bauern, Handlanger und Waschfrauen, und es war albern und vermessen, Höheres anzustreben. Schwarz zu sein, nicht über das eigene Leben bestimmen zu können, war schrecklich. Jung zu sein, aber schon gewohnt die Vorurteile über die eigene Hautfarbe still und widerspruchslos anzuhören, war brutal. Besser, wir wären alle tot. Alle, eine Leichenpyramide: unten die Weißen, dann die Indianer (…), dann die Schwarzen (…).“ (2) Maya Angelou schildert aus Kinderaugen ihr damaliges Misstrauen und Unbehagen gegenüber den ihr undurchsichtigen weißen Amerikaner*innen: „Die andern, die seltsamen bleichen Kreaturen, die ihr fremdes Unleben lebten, waren keine Menschen. Sie waren Weiße.“ Und doch träumte sie davon, selbst weiß zu sein, damit die ‚Nichtmenschen‘ ihr keine „hasserfüllten Blicke zuwerfen.“ Darin spiegelt sich die innere Zerrissenheit und die verzweifelte Frage nach der sozialen Zugehörigkeit Angelous.
Vier Jahre später holt ihre Mutter sie und ihren Bruder wieder zu sich nach St. Louis. Als achtjährige wird Angelou vom Lebensgefährten der Mutter sexuell missbraucht.
Sie verstummt für fünf Jahre.
Sie vertraut sich ihrem Bruder an, ihr Vergewaltiger wird schuldig gesprochen, jedoch nach einem Tag aus dem Gefängnis entlassen. Drei Tage darauf wird er von einer Gruppe Männer zu Tode geprügelt. „Ich glaubte, meine Stimme habe ihn getötet, weil ich seinen Namen verraten hatte“ , so Angelou. Als Reaktion auf dieses Ereignis geht sie zurück zu ihrer Großmutter nach Stamps. Sie verstummt für fünf Jahre, um keine weiteren Menschen zu ‚töten‘. Während dieser Zeit empfindet sie ihren „ganzen Körper als ein Ohr“ und absorbiert sämtliche Geräusche. Ihre Großmutter liest ihr vier Jahre lang Gedichte vor. Schließlich fordert sie die Enkelin zum eigenen Vorlesen auf. Maya würde die umfassende Bedeutung der Gedichte nur dann richtig verstehen können, wenn sie die Worte selbst „über die Lippen rollen“ spüre. Daraufhin liest sie sämtliche Bücher der weißen Schulbibliothek, darunter Adgar Allan Poe, Charles Dickens und Douglas Johnson. Ihre besondere Liebe gilt jedoch William Shakespare, dessen Theaterstücke und Gedichte sie auswendig lernt. Aus der Retrospektive resümiert Angelou: „Als ich beschloss, wieder zu sprechen, hatte ich eine Menge zu sagen.“
2. Ein gemeinsamer (schwarzer) Traum
Maya Angelou arbeitete zunächst als Tänzerin und Sängerin in San Francisco. Ihre starke Politisierung wurde in den 1950/60ern entfacht, nachdem sie die beiden Bürgerrechtler James Baldwin und Martin Luther King Jr. kennenlernte. Den Dreien gemeinsam war die große Wut auf ein System, das schwarze Menschen noch immer wie Sklaven behandelte sowie die Ungerechtigkeit, die damit einherging. Kings Plädoyer für eine politische Transformation durch gewaltlosen Widerstand faszinierte Angelou. Es sei das Stichwort gewesen, auf das sie gewartet habe. Sie unterstützte daraufhin Pfarrer King (Baptist), indem sie die nördliche Koordinatorin der Southern Christian Leadership Conference (SCLC) wurde.
Gemeinsame Wut auf das System der Sklaverei.
Diese Bürgerrechtsbewegung wurde 1957 von King gemeinsam mit rund 60 weiteren schwarzen Pfarrern und Kirchenvertreter*innen gegründet, um friedlich gegen die Segregation von weißen und schwarzen US-Bürger*innen zu protestieren. Angelou schrieb in dieser Zeit das „Kabarett für die Freiheit“, wobei der Erlös der SCLC zu Gute kam. Darüber hinaus organisierte sie (Demonstrations-)„Märsche für die Freiheit“. Es zeigte sich, dass Angelou eine Person war, die tief in ihrer schwarzen Identität verwurzelt war, gleichzeitig aber auch immer wieder nach dieser suchte. Den Spiegel des Rassismus und seiner potenziellen Auswirkungen hielt sie der amerikanischen Gesellschaft 1961 vor. Sie spielte die Hauptrolle in Jean Genet’s Theateradaption „The Blacks“. Die zwölf Darsteller waren allesamt schwarz, sechs von ihnen trugen jedoch weiße Masken und symbolisierten so die weiße Bevölkerungsschicht. Angelou mimte die weiße Königin. Eine Schauspielkollegin sagte über Angelous Fertigkeiten: „Sie hatte das Betragen und Erhaben einer wichtigtuerischen Weißen.“ (3)
Dem Abstieg der Weißen folgte der Aufstieg der Schwarzen.
Während des Stücks standen die weiß maskierten Darsteller auf einer zwei Meter hohen Balustrade und schauten hinab auf ihre schwarzen Konterparts am Boden. Nacheinander kamen ‚die Weißen‘ über eine Rampe nach unten geschritten und wurden von ‚den Schwarzen‘ ermordet. Dem Abstieg der Weißen folgte schließlich der Aufstieg der Schwarzen und damit ein politischer Machtwechsel. Das Theaterstück entlarvte die Ignoranz und Unwissenheit der weißen Bevölkerung, für das jahrhundertlange Leiden der Afroamerikaner*innen und Afrikaner*innen verantwortlich zu sein. Angelous späterer Verleger, Robert Loomis, gestand in einem Interview, dass er sich am Ende der Aufführung dafür geschämt habe, weiß zu sein. Durch diese Rolle etablierte sich Maya Angelou als Künstlerin und politische Aktivistin.
3. Ausgeträumt?
Angelou befand sich in den Vorbereitungen für einen weiteren Freiheitsmarsch als die Bürgerrechtsbewegung einen massiven Rückschlag erlitt: Martin Luther King Jr. wurde am 4. April 1968 erschossen – ihrem 40. Geburtstag. Erneut sah sie sich in Verbindung mit dem Tod eines Menschen stehen. Abermals verstummte sie, fiel der Depression anheim.
Autobiographen werden zum Befreiungsschlag.
Es war ihr langjähriger Vertrauter und Verbündeter James Baldwin, der sie dazu anregte, den Traum von einer befriedeten Gesellschaft mit gleichen Rechten für die schwarze Bevölkerung, wiederaufzunehmen. Baldwin animierte Angelou dazu, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben, um der Stimme der Unterdrückten Gehör zu verleihen. So erschien 1969 ihre erste von insgesamt sieben Autobiographien: Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt – ein Befreiungsschlag für sie. Die Autorin beschreibt darin unter anderem den tief empfundenen Schmerz und die Fassungslosigkeit darüber, mit welcher Herablassung und Arroganz bereits weiße Kinder schwarze Erwachsene demütigten und öffentlich vorführten. Die Möglichkeit, in ihren Büchern und Gedichten ihre Version der Wahrheit zu erzählen, hatte eine reinigende Wirkung auf sie.
Das Narrativ der Sklavinnen und Sklaven.
Ihr Schreibstil ist apologetisch, ein Plädoyer für ihre schwarzafrikanischen Wurzeln und der Versuch, die Identität und den Kampf „ihres Volkes“ um Anerkennung und Respekt nachzuzeichnen. Dabei folgt sie einer Tradition, die Frederick Douglas begründete: das Narrativ der Sklavinnen und Sklaven. Angelou schreibt ihre Werke in der ersten Person Singular („ich), meinte aber stets die dritte Person Plural („wir“). Dabei greift sie auf eine ausgeprägte biblisch-religiöse Bildsprache zurück und betont dabei, dass Gott trotz aller weißen Überheblichkeiten nicht der Gott der Weißen allein ist: „Es schien, als ob der Friede des endenden Tages versicherte, dass der Bund, den Gott mit (…) den Schwarzen (…) geschlossen hatte, noch seine Gültigkeit besaß.“ (4) Während Angelou ihr Lebenszeugnis verfasste, lagen immer ein Wörterbuch sowie eine Bibel neben ihr.
4. Die Macht des Wortes Gottes
Maya Angelou war sehr religiös, ihre Großmutter führte sie in den Glauben ein. Die Existenz Gottes stand für die Literatin außer Frage. Sich selbst als Kind Gottes zu begreifen, verlieh ihr die Kraft und den Mut, den Kampf gegen die politischen Missstände aufzunehmen. Sie war sich dessen bewusst, dass das Wort Gottes eine besondere Macht hatte: „Was könnte mir im Weg stehen, wenn doch bereits eine Person, die auf dem Wort Gottes steht, die Mehrheit bildet?“
Sich selbst als Christin bezeichnen?
Zugleich war Angelou demütig, bezeichnete sich selbst nie direkt als Christin. „Es erstaunt mich, wenn Menschen mir erzählen, dass sie Christen sind. Meine erste Reaktion ist: „’Schon jetzt?‘ Mir erscheint es, ein lebenslanges Unterfangen zu sein, sich darum zu bemühen, das Leben eines Christen/einer Christin zu leben.“ Sie glaubte an das erbrachte Opfer Jesu und sah darin ihre persönliche Motivation, Christin sein zu wollen. Angelous Werke schildern aber auch in unbeschönigter Weise den großen Zwiespalt zwischen ihrem Glauben an einen gütigen Schöpfergott, der gleichermaßen auch der Gott ihrer weißen Unterdrücker ist. Das Gebot der Nächsten- und vor allem Feindesliebe(!), trägt ihr auf, auch diese zu lieben auch wenn sie nur schwerlich etwas Liebenswertes an ihnen entdecken kann. Darin bestand für sie die größte Glaubensprobe.
5. Mit der Stimme Gottes
Das Jahr 1993 stellte eine wichtige Wegmarke der Versöhnung in Angelous Biografie dar. Als erste Dichterin seit der Amtseinführung von John F. Kennedy 1961 wurde sie darum gebeten, ein Gedicht für die Inaugurationsfeier von Bill Clinton zum Präsidenten zu schreiben. Dieser war ein großer Bewunderer ihrer literarischen Kunst. Da sein Großvater – wie Angelous Großmutter – einen Lebensmittelladen in einer vornehmlich von Schwarzen besiedelten Umgebung besaß, teilte er viele der Eindrücke Angelous. In einem Interview begründete er rückblickend seine Entscheidung: „Ich wusste, sie kannte mich, und die Zeiten, in denen wir leb-ten. Sie verstand die Welt, in der wir lebten und wusste, was unser Verderben und was unsere Freiheit bedeuten könnte. (…) Sie war groß und sie hatte die Stimme Gottes.“
Ein Gedicht als Aufruf, sich zu versammeln.
Das von ihr geschriebene und rezitierte Gedicht, „On the Pulse of Morning“ (5) basiert auf einem Gospellied aus dem 19. Jahrhundert. In diesem ruft sie die Bewohner Amerikas dazu auf, sich zu versammeln. Sie betont, dass sie trotz aller Unterschiede doch auch von den gleichen Sehnsüchten und Träumen getrieben werden. Ein neuer Morgen ist angebrochen und obwohl der Schmerz der Geschichte noch nachklingt und Geschehenes nicht ungeschehen gemacht werden kann, so ist es möglich, sicherzustellen, dass das Erlebte nicht erneut durchlebt werden muss. Dazu muss der Vergangenheit jedoch mit Mut ins Auge gesehen werden. Wenn sich die Menschheit dazu entschließt, den Krieg nicht mehr zu studieren, dann werden die Lieder des Schöpfers erklingen, die er sang, als noch ein friedlicher Urzustand herrschte. Angelou fordert von ihrer Zuhörerschaft, die Wiedergeburt des einstigen Traumes einzuleiten, der Traum, für den Martin Luther King Jr. sein Leben gegeben hatte. „Erhebet eure Herzen“, schreibt sie und endet schließlich in einer von religiösen Symbolen gespickten Sprache mit der Strophe: „Hier am Puls dieses neuen Tages mögt ihr voll Gnade auf- und hinausblicken und in die Augen eurer Schwestern, in die Gesichter eurer Brüder, eures Landes, und einfach, ganz einfach voller Hoffnung sagen: ‚Guten Morgen‘.“ (6)
6. Warum singt der gefangene Vogel?
Maya Angelou ist es als einer der wenigen Autobiograf*innen gelungen, in einfacher aber doch präziser Sprache zu erläutern, wer sie ist und wofür sie steht. Beim Schreiben und Dichten verlor sie sich in ihren eigenen Worten. Sie zelebrierte die Worte und die Musik, die ihre Identität konstituierten und ihr Halt gaben. In einem stolzen und durchsetzungsstarken Eifer setzte sie sich für eine Überwindung der Rassentrennung in Amerika ein.
Warum singt also der gefangene Vogel?
Sie vermittelt in ihren Werken der weißen Bevölkerung einen Eindruck von ihrer afroamerikanischen Kultur und Geschichte. Zugleich erinnert sie aber auch ihre schwarzen Mitmenschen daran, warum es so wichtig ist, die eigenen Wurzeln und die Herkunft zu kennen. Besonders ihre erste Autobiographie gilt noch immer als ein Mahnmal für den anhaltenden gesellschaftlichen Rassismus. Warum singt also der gefangene Vogel? Die Antwort Maya Angelous klingt so simpel wie anspruchsvoll: „Der gefangene Vogel singt von Freiheit.“
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Autorin: Marita Wagner arbeitet als Theologische Referentin für Weltkirche und Pastoral bei „missio-Aachen“.
Foto/Bildausschnitt: Jurien Huggins / unsplash.com
Anmerkungen:
1) Dokumentationsfilm “Maya Angelou: And still I rise”, 2016.; http://mayaangeloufilm.com/ (letzter Zugriff: 29.04.2019).
2) https://www.deutschlandfunk.de/maya-angelou-ich-weiss-warum-der-gefangene-vogel-singt-von.700.de.html?dram:article_id=440735 (letzter Zugriff: 29.04.2019).
3) Angelou, Maya. Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt, 3. Auflage, Berlin 2018, 34.
4) Angelou, Maya. Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt, 3. Auflage, Berlin 2018, 24.
5) Angelou, Maya. The Complete Collected Poems of Maya Angelou, New York 1994, 269-273.
6) Angelou, Maya. The Complete Collected Poems of Maya Angelou, New York 1994, 273.