Im November 2017 fordert Doris Strahm in einem feinschwarz.net-Beitrag eine „Politik der Gemeinsamkeiten“ säkularer und religiöser Feminist*innen. Doch wie sieht es eigentlich mit den Gemeinsamkeiten innerhalb des religiösen Spielfeldes aus? Judith Königsdörfer, Mitglied des Ökumenischen Rates der Kirchen, fordert auch hier mehr Mut zum Miteinander.
Seit fünf Jahren darf ich eine mehr als dynamische, religiöse Organisation ganz direkt miterleben und mitgestalten. Diese Gemeinschaft, christlich und multi-konfessionell, besteht seit nunmehr 70 Jahren. Dynamik in den Kirchen? Aber immer doch! Vor über 100 Jahren waren es die christlichen Jugend-, Studierenden- und Laienbewegungen, wie die World Students Christian Federation (WSCF), die Young Men’s Christian Association (YMCA) sowie die Life and Work Bewegung (Bewegung für Praktisches Christentum), die den Impuls für eine vereinte weltweite Ökumene setzten. 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen in Amsterdam gegründet, der sich seitdem intensiv mit der Frage auseinandersetzt, was es heißt, ein christliches Zeugnis in der Welt abzugeben und wie eine sichtbare Einheit erreichen werden kann, „auf dass die Welt glaube“[1].
Die weltweite Ökumene als eine dynamische Bewegung – von und mit Frauen!
Diese Dynamik und permanente Veränderungsbereitschaft zeigt sich zum Beispiel darin, dass bei Gründung des ÖRK 147 überwiegend westliche und protestantische Kirchen vertreten waren, heute aber mehr als 2/3 der 348 Mitgliedskirchen aus Afrika, Asien, der Karibik, dem Pazifischen Raum und dem Nahen und Mittleren Osten stammen. Die theologisch-programmatischen Richtungen werden eindeutig durch die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und die Befreiungs- sowie postkoloniale Theologie geprägt. Auch hinsichtlich der Zusammensetzung der einzelnen Gremien wird eine ausgewogene Mischung aus Haupt- und Ehrenamtlichen, Frauen, Jugend und Männern, Indigenen und Menschen mit Behinderung angestrebt. Alles easy in der Ökumene? Bei weitem nicht. Eigentlich ist es ein permanenter Kampf. Zumindest eine ständige Diskussion über die Notwendigkeit der Präsenz breiter Vielfalt, die besonders im Nominierungsgremium des Zentralausschusses des ÖRK geführt wird.
Alles easy in der Ökumene? Bei weitem nicht.
Eine weitere ökumenische Bewegung, die es sich zum erklärten Ziel gemacht hat, aufeinander zuzugehen, im Gespräch zu bleiben und stereotype Bilder von „Anderen“ abzubauen, ist das Ökumenische Forum Christlicher Frauen in Europa (ÖFCFE). Als internationale und kirchennahe Organisation ist sie in mehr als 30 europäischen Ländern aktiv. 1982 in der Schweiz gegründet, macht sich das Forum zur Aufgabe, die ökumenischen Netzwerke von Frauen zu stärken, das ökumenische Verständnis füreinander zu vertiefen, Initiativen für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung zu fördern und das eigene Handeln auf Aktivitäten auszurichten, die zu einer gemeinsamen Sorge für Gottes Schöpfung beitragen und Frauenrechte als Menschenrechte umzusetzen.
Ökumenisches Forum Christlicher Frauen in Europa (ÖFCFE)
Dieses Forum entstand in politisch brisanten Zeiten, gab es neben Mauern in den Köpfen ja auch noch real existierende physische Mauern und Eiserne Vorhänge – und da letztere nicht so bald zu fallen schienen, machten sich Frauen unterschiedlichster Konfessionen auf den Weg, um ihre Schwestern und deren Lebenswelten, die nahezu hinter dem Horizont zu leben schienen, kennenzulernen.
Pfarrerin Dr. h.c. Ruth Epting (1919–2016) erzählt das aus ihrer Erfahrung heraus so: „Die meisten von uns kamen aus einem bewegten Berufs- und Familienleben, waren beteiligt am Aufbruch der Frauen zu einer bewussteren Mitverantwortung in Kirche und Staat und wollten helfen, Brücken zu bauen im Europa der vielen Nationen und ideologischen Mauern.“ Die Hoffnungen waren groß, die festgelegten Rollen von Frauen und Männern zu verändern, hin zu einer „partnerschaftlichen Gemeinschaft unter Gleichwertigen“. Und doch bestanden Kämpfe und Vorurteile nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch innerhalb der Frauengemeinschaft … Epting betont weiterhin, dass „jedes Mal die Ausrichtung auf das biblische Wort und das Gebet die Augenblicke (waren), in denen unser eigenes Wollen und Kämpfen vor Gott still werden konnte.“ Und weiter: „Es zeigte sich, dass dort, wo wir auf die Not unserer Schwestern eingehen konnten, wo ein Hören, ein zu Herzen Nehmen und ein Handeln erfolgt, wir die erstaunlichsten Durchbrüche erlebten.“[2]
Herausforderung: die Andere/den Anderen bewusst kennenlernen wollen
Die „erstaunlichsten Durchbrüche“, durch Hören, Annehmen und Handeln. Sollte es so einfach sein? Die Andere/den Anderen bewusst kennenlernen zu wollen, ist eine große Herausforderung und kinderleichte Aufgabe zugleich. Es beinhaltet zu gleichen Teilen und zu gleicher Zeit unüberwindliche Hürden, trotziges Fragen nach der Notwendigkeit und Selbstüberzeugung, alle Weisheit und Erkenntnis bereits zu haben – aber eben auch den leichten Schritt auf die Andere/den Anderen zu, das ruhige Zuhören, ehrliche Fragen, den Willen, Neues lernen zu wollen – und Demut. Die Bilder und Mauern im Kopf sind so stark und auch in der weltweiten Ökumene weit verbreitet, unabhängig von Konfessionen und Geschlecht. Und doch ist da etwas, dass den Faden der immerwährender Auseinandersetzung nicht abreißen lässt. Die Verbundenheit im geistlichen Leben scheint ein Teil davon zu sein.
Religion, christlicher Glaube, als undynamisches Konzept? Mitnichten. Innerhalb der internationalen Ökumene, in zahlreichen Kirchen und Gemeinden ist der Wille (und die Notwendigkeit) für Auseinandersetzung, Bewegung und Prozess Kern und Auftrag des gemeinsamen Unterwegsseins. Den Gründungsmüttern und -vätern sei Dank.
Ökumene – ein gewagtes Miteinander mit ständigen Überraschungseffekten
Lasst uns Räume aufmachen, in denen Raum für Begegnung ist, wo man und frau Altvertrautes hinterfragen und ein gewagtes Miteinander mit ständigen Überraschungseffekten möglich ist!
Judith Königsdörfer ist Agrarwissenschaftlerin und Volkskundlerin und seit 2013 Mitglied im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (Genf).
Foto: Alice Donovan Rouse, www.unsplash.com
[1] Zitat aus Johannes 17, 21. Dieser Bibelvers ist Teil des Statements zur Einheit der Kirchen, dass der Ökumenische Rat der Kirchen auf der 10. Vollversammlung in Busan/Korea 2013 verabschiedet hat.
[2] Ruth Epting: Rückblick, in: Cornelia Göksu: Pessimistisch konnten wir gar nicht sein, Ökumene weiblich. Frauen überschreiten Grenzen, Ökumenisches Forum Christlicher Frauen in Europa (Hg.), Frank&Timme, 2010, S. 38-39.