Stefan Gärtner lässt sich von der Ausstellung ‚Secret Surface‘ inspirieren und reflektiert den verlorenen Blick der Theologie für die Oberfläche.
Im KW Institute for Contemporary Art in Berlin war bis Anfang Mai 2016 die Gruppenausstellung ‚Secret Surface – Wo Sinn entsteht‘ zu sehen. Die Ausstellungsmacher wollten darin die Ehre der Oberfläche wiederherstellen. Denn im christlich geprägten Abendland dienen die konkreten Dinge manchmal nur als Sprungbrett in ein religiöses Sprachspiel hinein. Nicht das Außen zählt, sondern wofür es steht. Es geht nicht um die Oberfläche, sondern gleich in die Tiefe. „Mein Gott ist das beziehungsreich, ich glaub’, ich übergeb’ mich gleich“, so hat der Satiriker Robert Gernhardt diese Haltung auf den Punkt gebracht.
Die Ehre der Oberfläche wiederherstellen…
Der Kirche scheinen die Dinge an sich nicht besonders wichtig zu sein, obwohl sie sie für die Verkündigung des Evangeliums braucht. Das Ding ist für sie unabdingbar. Denn der christliche Gott hat einen inkarnatorischen Zug nach unten, ins Konkrete. Umso überraschender ist es, dass die Theologinnen und Theologen Gott zwar in der Welt suchen, sobald sie ihn dort aber gefunden haben, manche Orte seiner Gegenwart schnell wieder verlassen wollen. Sie nehmen das je Konkrete nicht wirklich ernst. Die Oberfläche der Dinge scheint ihnen bloß oberflächlich zu sein.
Der christliche Gott hat einen inkarnatorischen Zug nach unten, ins Konkrete.
Das Außen ist unbedeutend, denn die Kirche zielt auf Wesentlicheres. Sie zielt auf das Eigentliche. Wie sonst ist zu erklären, dass es bei den zentralen Ritualen des Christentums zwar um sehr urwüchsige Handlungen geht, nämlich um ein Bad und um das gemeinsame Essen, dass beides aber nicht mehr erkennbar ist. Bei der Taufe bekommt das Baby höchstens ein paar Spritzer Wasser ab. Reicht das aus, um die Erbsünde abzuwaschen? Und in der Messe wird etwas ausgeteilt, was beim besten Willen nicht als Brot zu identifizieren ist. Vom vorenthaltenen Wein ganz zu schwiegen. Mit eucharistischer Mahlgemeinschaft hat der geordnete Gang zur Kommunionbank nichts zu tun. Vielleicht muss diese Gemeinschaft gerade deshalb so wortmächtig beschworen werden.
Die zentralen Rituale des Christentums lassen nicht mehr erkennen, worum es geht.
Leonardo Boff hat den Spieß in seiner ‚Kleinen Sakramentenlehre‘ einmal umgedreht. Er behandelt darin den verweisenden Charakter ganz alltäglicher Dinge, den Wasserbecher in der Familie oder die geteilte Zigarette. Diese Dinge werden ausführlich durchgründet, um gerade so ihre symbolische Kraft freizusetzen. Eine gute Lehre für alle blutleeren Gottesdienste, in denen die Wirklichkeit vor der Kirchentür krampfhaft herbeizitiert werden muss.
Zurück ins Museum in Berlin. Die Kunst bietet sich dem theologischen Denken als Gesprächspartnerin besonders an, weil sie seit der Aufklärung das Erbe der Religion angetreten hat. Grund genug, genauer hinzusehen. Umso ernüchternder ist es, wenn die Künstler in der genannten Ausstellung dem Diesseits der Dinge nicht das Jenseits zur Seite stellen, sondern die Oberfläche selbst als Geheimnis behandeln. Das Außen ist ihnen bereits bedeutend genug. Keine Metaphysik, sondern die raue Wirklichkeit. Wenn die Theologie sich an die ‚Erschließung‘ dieser Arbeiten begibt und dazu ihren ‚tiefen Blick‘ anwendet, dann springt sie damit zwar ins Eigentliche, aber an der Kunst vorbei. Diese Gefahr machte die Ausstellung überdeutlich.
Theologie verkennt, dass die Oberfläche selbst Geheimnis ist.
Nur ein Beispiel: In einem Raum des Museums wurde unter dem Titel ‚Unter dem Firmament‘ ein Zitat von David Herbert Lawrence von verschiedenen Künstlern kommentiert. Lawrence bezeichnete das Universum als vom Menschen selbst gemachten Schirm, der ihm Schutz gegen das Versinken ins Nichts verspricht. Der in Bedfordshire in England lebende und arbeitende Künstler Andy Holden (www.andyholdenartist.com) kommentiert diese Projektion mit einem Werk unter dem Titel ‚Obsession‘. Es ist ein Druck des Nachthimmels, der als Tapete eine Frontseite der Ausstellungshalle einnahm: eine ganze dunkle Wand voller Lichtpunkte. Platz genug, dass der Betrachter sich darin vertiefen konnte, denn die Enden der Tapete gerieten ihm aus dem Blick. Doch wenn jemand näher hinsah, entpuppten sich die leuchtenden Planeten und Sterne als Wackelaugen, wie man sie vom Kinderspielzeug her kennt. Die Besessenheit, mit der die Besucher hinter die Oberfläche zu dringen versuchten, wurde augenzwinkernd pariert. Die Wand blieb, was eine Wand ist: flach.
Theologie geht es zu Recht um die Tiefendimension. Das darf aber nicht zu einem besessenen Hineingeheimse führen.
Theologen geht es zu Recht um die Tiefendimension der Dinge, nicht nur in der Kunst oder bei der Liturgie. Das darf aber nicht zu einem besessenen Hineingeheimse führen. Das dritte Auge, welches nach Hubertus Halbfas für die Tiefendimension zuständig ist, sollte die Kirche nicht von der Realität weg, sondern durch sie hindurch führen. Genau das empfiehlt übrigens auch ihr oberster Hirte in Rom. Der allzu schnelle Sprung ins Eigentliche missachtet die konkrete Wirklichkeit, auch wenn das Christentum sie als Ort der Gottesgegenwart behauptet. Kirche und Theologie gehören an die Oberfläche.
(Bild: Carsten Przygoda/pixelio.de)