Im Deutschen Historischen Institut Rom kamen vom 22. bis 24.03.2017 über 30 Expert*innen unterschiedlicher Fachrichtungen zu einem internationalen Fachgespräch „Menschenrechte in der katholischen Kirche. Historische, systematische und praktische Perspektiven“ zusammen, das von Marianne Heimbach-Steins (Münster), Saskia Wendel (Köln), Michael Böhnke (Wuppertal) und Martin Baumeister (Rom) veranstaltet wurde. Ein Tagungsbericht von Martin Breul und Cornelia Mügge.
Ein erster Annäherungsversuch an die komplexe Verhältnisbestimmung von Menschenrechten und katholischer Kirche erfolgte aus einer (rechts-)historischen bzw. rechtssystematischen Perspektive. Dabei stand zum einen die kirchlich-lehramtliche Entwicklung in der Beurteilung der Menschenrechte, die von einer jahrhundertelangen Verurteilung bis zur offenen Rezeption seit den 1960er-Jahren reicht, im Mittelpunkt. Es ist wohl unbestreitbar, dass die katholische Kirche inzwischen eine der ‚Hoffnungsträgerinnen‘ für die Verbreitung und politische Implementierung von Menschenrechten ist.
Zum anderen wurde aber auch der prekäre kircheninterne Status der Menschenrechte problematisiert. So ist die Situation innerhalb der Kirche weiterhin unklar: Haben getaufte Katholik*innen kirchenrechtlich gesehen beispielsweise ein ‚Recht auf Religionsfreiheit‘? Oder, genereller formuliert: Sind Menschenrechte innerkirchlich realisiert? Können sie als individuelle Gleichheitsrechte angesichts der hierarchischen kirchlichen Struktur überhaupt realisiert werden?
Ein performativer Widerspruch zwischen der inhaltlichen Bejahung der Menschenrechte und der Ablehnung ihrer faktischen Umsetzung ‚im eigenen Haus‘.
Das aber führt zu der grundlegenden Frage, ob sich die Kirche schon allein aus kirchenrechtlichen Gründen in einem beständigen performativen Widerspruch zwischen der inhaltlichen Bejahung der Menschenrechte und der Ablehnung ihrer faktischen Umsetzung ‚im eigenen Haus‘ befinden muss. Die Tagung bot hier keine einfachen Lösungen, sondern ein Spektrum möglicher Antworten auf diese Fragen – ein Konsens bestand wohl nur in der Frage, dass die Extrempositionen der Resignation („Kirche und Menschenrechte gehen nicht zusammen, und da kann man auch nichts machen!“) und der Euphorie („Das Verhältnis von Kirche und Menschenrechten ist völlig problembefreit!“) keine gangbaren Wege sind.
Eng verwandt damit ist ein weiterer Problemkreis, der mal explizit, mal implizit im Fokus der vielschichtigen Debatten der Tagung stand: das Verhältnis von Theologie und Kirchenrecht. Lässt sich aus dem geltenden Kirchenrecht die Theologie des Lehramts ableiten, da es so etwas wie ‚geronnene Dogmatik‘ darstellt, oder ist diese rechtspositivistische Sichtweise umzudrehen und das Kirchenrecht als kontingentes menschliches Recht zu betrachten, welches jederzeit an veränderte theologische Rahmenbedingungen angepasst werden kann und daher eine der Theologie dienende Funktion hat?
Dass beispielsweise Papst Franziskus, trotz aller wirkmächtigen Signale des innerkirchlichen Aufbruchs, das Kirchenrecht bisher unangetastet gelassen und daher strukturell nichts verändert hat, kann die Befürchtung schüren, dass die strukturkonservative Rechtskultur auch das vergängliche Charisma des derzeitigen Papstes im wahrsten Sinne des Wortes überleben wird.
Kann es der katholischen Kirche gelingen, einen modernen Rechtsbegriff, wie er den Menschenrechten eigen ist, in die eigene Lehre einzuschreiben?
Auf der Tagung wurden in diesem Zusammenhang auch eine Reihe von Spannungen zwischen geltendem kirchlichen Recht und der Theologie des Zweiten Vatikanums herausgearbeitet – so weist etwa das geltende kirchliche ‚Gesetzbuch‘, der CIC 1983, erstaunliche Lücken in der Rezeption konziliarer Ideen und Konzepte auf. Die kontroverse Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Kirchenrecht ist sowohl aus historisch- als auch aus systematisch- und praktisch-theologischer Perspektive höchst relevant, und sie ist, wenig überraschend, auch von entscheidender Bedeutung für das Verhältnis von Menschen-Rechten und katholischer Kirche: Kann es der katholischen Kirche gelingen, einen modernen Rechtsbegriff, wie er den Menschenrechten eigen ist, in die eigene Lehre einzuschreiben?
Diese Schwierigkeit der Adaption menschenrechtlicher Grundideen in der katholischen Kirche zeigt sich auch auf der Ebene grundlegender moralischer und politischer Konzeptionen und zwar vor allem in Bezug auf eine Frage: Kann und will die Kirche das Verständnis von individueller Freiheit unterstützen, das die Menschenrechte voraussetzen?
Die menschenrechtliche Fokussierung auf individuelle Freiheit als Herausforderung.
Viele Vorträge haben, aus historischer wie auch aus systematischer Perspektive, darauf hingewiesen, dass die menschenrechtliche Fokussierung auf individuelle Freiheit und insbesondere die damit verbundene Bedeutung individueller Gewissens- bzw. Religionsfreiheit eine große Herausforderung für die katholische Kirche darstellt. Nun könnte man überlegen, inwiefern darin eine Anfrage an die Idee der Menschenrechte steckt, schließlich wird auch von anderen gefordert, dass Aspekte wie Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Pflicht eine größere Rolle spielen müssten. Diese Überlegung wurde in der Tagung allerdings nur gestreift, der Schwerpunkt lag auf der anderen, umgekehrten Fragestellung, nämlich wie die menschenrechtlich verbrieften Freiheitsrechte in der Kirche gestärkt werden können.
Dabei wurde von vielen auf eine Ambivalenz aufmerksam gemacht: Einerseits fordert die Kirche in vielen Belangen die Stärkung der Menschenrechte, etwa in Migrationsfragen (was sie, wie oben erwähnt, zu einer Hoffnungsträgerin für die Menschenrechte macht und was, so ist hinzuzufügen, angesichts der zunehmend prekären Rolle von Menschenrechten in internationalen politischen Debatten auch unbedingt notwendig erscheint); andererseits gewährt sie die Menschenrechte im innerkirchlichen Bereich selbst nicht in vollem Umfang, eben aufgrund ihrer Schwierigkeiten insbesondere mit individuellen Freiheitsrechten.
Wie es gelingen kann, die Menschenrechte innerkirchlich zu stärken und zu verankern, dafür gab es manche Vorschläge – etwa den Gedanken der Freiheit des Einzelnen aus Gottes Gnade stark zu machen; oder die unvertretbare Würde jedes Individuums als Kerngedanken der christlichen Botschaft zu begreifen – hier liegt aber mit Sicherheit noch eine große Aufgabe, an der weitergearbeitet werden muss, darin waren sich die Tagungsteilnehmer*innen einig.
Warum sollte man denn die Menschenrechte in der Kirche stärken, ist das überhaupt notwendig?
Man könnte nun fragen, wozu das Ganze, warum sollte man denn die Menschenrechte in der Kirche stärken, ist das überhaupt notwendig? Darauf bot die Tagung (mindestens) zwei Antworten. Eine davon ist grundsätzlicher Art: Menschenrechte repräsentieren eine ethisch, politisch, rechtlich – und nicht zuletzt theologisch – wichtige Idee, nämlich von der Gleichheit und Freiheit jedes Menschen; und sie können gerade deswegen helfen, Gerechtigkeitsprobleme innerhalb der Kirche aufzuzeigen (etwa dort, wo Kirche nicht genügend Einspruch gegen Gewaltregime erhebt wie es z.B. in Argentinien in den 1970er und -80er Jahren der Fall war; oder auch im Bereich von Genderfragen). Allein schon aufgrund dieser Bedeutung von Menschenrechten, so schwang es in den meisten Diskussionen mit, sollte man ihre Rolle in der Kirche stärken.
Darüber hinaus gibt es einen weiteren, eher pragmatischen und eigeninteressierten Grund, der in einzelnen Beiträgen zur Sprache kam: Es scheint auch für die Glaubwürdigkeit und die Attraktivität der katholischen Kirche sinnvoll zu sein, deutlicher an die Idee der Menschenrechte anzuknüpfen und sie in ihre eigene Lehre zu integrieren.
Denn wer möchte schon einer Kirche angehören, die so grundlegende, von vielen Menschen als so wichtig erachtete Rechte nicht anerkennt und in ihren eigenen (Rechts-)Strukturen nicht umsetzt? Tatsächlich gewinnt Kirche oftmals dort an Attraktivität, wo sie sich für Menschenrechte einsetzt (als historisches Beispiel sei noch einmal Argentinien genannt, wo sich die Gläubigen zunehmend jenen Diözesen zuwandten, die das Gewaltregime kritisierten und sich für Menschenrechte engagierten).
Für eine offene und liberale, und das heißt auch die Idee der Menschenrechte verteidigende Gesellschaft.
Schließlich und nicht zuletzt berühr(t)en die hier skizzierten Debatten immer wieder auch weiterführende Fragen, wie jene nach dem Zusammenhang von universaler und partikularer Begründung der Menschenrechte, nach einem angemessenen Verständnis religiöser Überzeugungen (Beanspruchen diese Wahrheit? Oder Richtigkeit? Oder etwas ganz Anderes?), und nach dem angespannten Verhältnis von universalem Geltungsanspruch der Religion und ihren konkreten Vollzügen innerhalb einer unhintergehbar pluralistischen Gesellschaft. Die Tagung bot auch in dieser Hinsicht eine Vielzahl von Denkanstößen, so dass man überaus gespannt auf den bei Schoeningh erscheinenden Sammelband sein darf, der die Ergebnisse der Tagung dokumentieren wird.
Es steht zu hoffen, dass dieses ‚internationale Fachgespräch‘, welches als Auftakt einer dauerhaften Forschungsplattform konzipiert war, bleibende Wirkung entfaltet und die vielen Fäden der Tagung, von denen wir hier nur wenige exemplarisch entflechten konnten, weitergesponnen werden. Gerade angesichts aktueller Tendenzen eines politischen Abdriftens in reaktionäre und nationalistische Denkmuster ist es eine dringliche Aufgabe (nicht nur) der Theologie und der Kirche, für eine offene und liberale, und das heißt auch die Idee der Menschenrechte verteidigende Gesellschaft einzustehen. Die Tagung „Menschenrechte in der Katholischen Kirche“ hat nicht zuletzt hierzu einen wichtigen Beitrag geleistet.
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Dr. Martin Breul ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie an der Universität zu Köln.
Dr. des. Cornelia Mügge ist Assistentin am Lehrstuhl für Allgemeine Moraltheologie und Ethik an der Universität Freiburg.
Bild: Rainer Bucher (Tagungsort Deutsches Historisches Institut Rom)