Petra-Angela Ahrens stellt erste Ergebnisse eines Forschungsprojektes zur Militärseelsorge vor und erwägt Gründe für den offensichtlichen Erfolg dieser kirchlichen Arbeit.
Auf einer Fachtagung im September dieses Jahres wurden erste Ergebnisse einer im Herbst 2022 durchgeführten repräsentativen Befragung von 7.431 Soldat:innen der Bundeswehr zur Militärseelsorge vorgestellt, die vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD in Kooperation mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr durchgeführt wurde. Eine zentrale Botschaft aus den bisherigen Befunden der Studie: Die Präsenz der Militärseelsorge im Grundbetrieb der Bundeswehr findet ungemein hohen Zuspruch unter den Soldat:innen (91 %) – das gilt mit 88 % auch für die vielen, die selbst überhaupt keiner Glaubensrichtung nahestehen (44 %). Mehr als die Hälfte aller Soldat:innen (52 %) hat auch die Angebote der Militärseelsorge schon in Anspruch genommen. Darunter stehen Gottesdienste und Andachten am Standort mit Abstand an erster Stelle: 29 % geben ihre zumindest gelegentliche, 34 % ihre seltene Nutzung an, nur 37 % verneinen. Für viele der Soldat:innen dürfte die Militärseelsorge damit einer der wenigen oder auch einziger Berührungspunkt zu Kirche und christlicher Religion sein. Denn außerhalb des Dienstes, im privaten Lebensumfeld spielt gerade die religiöse Praxis kaum eine Rolle – so besuchen 83 % nur selten (33 %) oder nie (50 %) einen Gottesdienst in einer Kirchengemeinde. Dies sind nur wenige Beispiele für die insgesamt sehr positiven Wahrnehmungen und Bewertungen der Militärseelsorgearbeit, die sich durch die gesamte Befragung ziehen.
Die Präsenz der Militärseelsorge im Grundbetrieb der Bundeswehr findet ungemein hohen Zuspruch unter den Soldat:innen.
Vor dem Hintergrund der zunehmend krisenhaften Entwicklungen der beiden großen Kirchen und des vielfach diagnostizierten Bedeutungsverlusts der (christlichen) Religion in der Bevölkerung – beides dokumentiert sich einmal mehr in der zeitgleich durchgeführten sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU VI)[1] – mag die überaus positive Resonanz auf diese Arbeit überraschen, die bisher noch zumeist von evangelischen und katholischen Militärseelsorger:innen getragen wird[2]. Schließlich hat die religiöse Pluralität auch unter den Soldat:innen längst Einzug gehalten, mit zwar noch geringen, aber zunehmenden Anteilen anders- und nicht-christlicher Glaubensrichtungen (insgesamt 5 %); vor allem aber scheint wie auch in der Bevölkerung der fehlende Bezug zu Religionsgemeinschaften und/oder zu (damit kompatiblen) religiösen Orientierungen auf dem Vormarsch zu sein.
Woraus speist sich also diese breite Akzeptanz der Militärseelsorgearbeit? Zwar sind derzeit noch keine differenzierteren Auswertungen der Studie verfügbar; auf Basis der bisher veröffentlichten Ergebnisse[3] lassen sich aber schon einige Vermutungen anstellen.
1. Militärseelsorge im Sozialraum Bundeswehr verankert
Die Militärseelsorge arbeitet im kirchlichen Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen; die Militärgeistlichen sind als Zivilist:innen in diesem eigenständigen Organisationsbereich tätig, der nicht in die hierarchischen Strukturen der Bundeswehr eingebunden ist. Zugleich sind sie aber auch in diesen sehr spezifischen Sozialraum integriert: mit ihrer Präsenz und ihren Angeboten an den Standorten, in Einsätzen, an Land und auf See.
Die Militärgeistlichen sind als Zivilist:innen nicht in die hierarchischen Strukturen der Bundeswehr eingebunden.
Die zumindest als Aussicht für die Nutzung kirchlicher Entwicklungschancen schon fast zur Zauberformel avancierte Sozialraumorientierung, für deren Umsetzung Ortsgemeinden organisatorische, finanzielle und personelle, mitunter auch mentale Hürden überwinden müss(t)en, ist der Militärseelsorgearbeit – jedenfalls in Teilen – gewissermaßen schon eingeschrieben: Sie ist vor Ort tätig, dort, wo der Dienst die Lebenswirklichkeit der Soldat:innen prägt, und sie richtet sich an alle Soldat:innen unabhängig von deren Religionszugehörigkeit oder religiös-kirchlicher Verbundenheit.
Sozialraumorientierung ist der Militärseelsorgearbeit – jedenfalls in Teilen – gewissermaßen schon eingeschrieben.
Mit dem gesetzlich fixierten Anspruch der Soldat:innen auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung (§ 36 Soldatengesetz) ist zudem auch eine Ausrichtung der Arbeit an ihren Bedürfnissen respektive Interessen im Sozialraum der Bundeswehr bereits angelegt. Schließlich könnte noch eine womöglich ganz praktisch wirksame Erleichterung, wie etwa für die Teilnahme an Gottesdiensten zu Buche schlagen: Sie finden während der Dienstzeit statt und stehen damit nicht in Konkurrenz zu anderen Interessen, Bedürfnissen oder auch Verpflichtungen im privaten Lebensumfeld.
… nicht in Konkurrenz zu anderen Interessen, Bedürfnissen oder auch Verpflichtungen im privaten Lebensumfeld
2. Besonders vertrauenswürdige Beratung und Unterstützung: Seelsorge als verlässliche Option vor Ort
Die meisten Soldat:innen sind schon auf die eine oder andere Art mit Miltiärseelsorgenden in Berührung gekommen – allein im für alle Soldat:innen verpflichtenden lebenskundlichen Unterricht haben 81 % sie bereits als Dozent:innen erlebt. Zu eigenen persönlichen Erfahrungen geben 83 % eine Bewertung ab; unter ihnen fallen 90 % der Voten (eher) positiv aus: gute Ausgangsbedingungen also auch dafür, auf die seelsorgliche Begleitung durch eine/n Militärgeistliche/n zu vertrauen, falls es einer Beratung oder Unterstützung bei der Bewältigung von Problemen und Belastungen bedarf. Mit 30 % fällt der Anteil der Soldat:innen, die angeben diese Möglichkeit auch praktisch zu nutzen, sehr beachtlich aus.
Die (potenziellen) Themen für seelsorgliche Gespräche verorten die Soldat:innen an erster Stelle im Kontext des Dienstes. Wenngleich dabei auch existenzielle Fragen im Raum stehen können (wie zum Beispiel in Bezug auf Einsätze und deren Folgen), sind explizit religiöse Anliegen im Vergleich dazu doch eher rar. So werden die Seelsorger:innen denn auch vor allem in ihrer Rolle als Ratgeber:in und unabhängige Vertrauensperson wahrgenommen, die außerhalb der Hierarchie steht und zugleich, selbst eingebettet in den Erfahrungsraum „Bundeswehr“, diese Lebenswirklichkeit der Soldat:innen aus eigener Anschauung einzuschätzen weiß.
Seelsorger:innen werden denn auch vor allem in ihrer Rolle als Ratgeber:in und unabhängige Vertrauensperson wahrgenommen.
Weitaus seltener werden sie als Repräsentant:in der Kirche betrachtet. Vor diesem Verständnishintergrund wundert es wenig, dass es eine Mehrheit der Soldat:innen ist (52 %) ist, die der Religionszugehörigkeit der Militärseelsorgenden, jedenfalls im Kontext der seelsorglichen Begleitung, keine Bedeutung beimisst. Unbeschadet dessen könnte aber das Wissen darum, dass diese dem (christlichen) Auftrag zur Nächstenliebe verpflichtet sind und nicht dem Dienstgeber Bundeswehr, durchaus eine Rolle spielen und ihnen damit eine besondere Glaubwürdigkeit verleihen.
In Passung dazu ist die absolute Verschwiegenheitspflicht ein besonderes Pfund, mit dem die Militärseelsorge unter den Soldat:innen wuchern kann: Fast alle (95 %) messen ihr zentrale Bedeutung bei. In Kombination mit der grundsätzlichen Verfügbarkeit der seelsorglichen Beratung und Unterstützung an den Stand- und Einsatzorten der Soldat:innen dürfte sie einen gewichtigen Beitrag zur hohen Akzeptanz dieser Arbeit leisten.
die absolute Verschwiegenheitspflicht als besonderes Pfund
3. Fazit
Ganz offensichtlich ist die Militärseelsorge von bemerkenswerter Relevanz in der Lebenswirklichkeit der Soldat:innen und schon darüber wohl auch funktional für das System „Bundeswehr“. Als kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt und als Sonderseelsorge ist sie auf die spezifischen Anforderungen in diesem Sozialraum ausgerichtet. Das lässt sie auch für die vielen nahbar werden, die aus eigener Sicht keine (explizit) religiös-kirchlichen Anliegen haben und eben deshalb – wie sattsam bekannt – dem kirchlichen Leben in den Ortsgemeinden fernbleiben. Als wichtiger Erfolgsfaktor dürfte dabei nicht zuletzt ihre eigenständige Präsenz an den Orten, wo die Soldat:innen ihren militärischen Dienst leisten, zu Buche schlagen.
Als kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt und als Sonderseelsorge ist sie auf die spezifischen Anforderungen in diesem Sozialraum ausgerichtet.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit die genaueren Differenzierungen der Studienergebnisse, die im kommenden Jahr in einem Auswertungsband veröffentlicht werden sollen, auch Parallelen und/oder Schnittstellen zur kirchlichen Arbeit im privaten Lebensumfeld ausweisen. Doch lässt sich an dieser Stelle schon sagen, dass es dieser spezielle Zuschnitt der Militärseelsorge ist, der sie grundlegend von der kirchlichen Arbeit – nicht nur – in den Ortsgemeinden unterscheidet: Diese ist in weiten Teilen vor allem durch die religiös-kirchlich hoch Identifizierten geprägt, und sie trifft in ihren jeweiligen Sozialräumen auf die unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten.
So lassen die bisher vorliegenden Ergebnisse kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass die Arbeit der Militärseelsorge als Beispiel für erfolgreiche kirchliche Arbeit gelten kann. Auch wenn sie kaum als Modell geeignet ist, das sich einfach auf andere Felder kirchlichen Handelns übertragen ließe: Aus der Passung zwischen struktureller Verankerung im Sozialraum „Bundeswehr“ und den sich dort herausbildenden Anforderungen gewinnt die Militärseelsorge eine hohe Plausibilität für die Soldat:innen.
Petra-Angela Ahrens ist Soziologin und als wissenschaftliche Referentin am Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der empirischen Kirchen- und Religionssoziologie.
[1] EKD (Hrsg.): Wie hältst du’s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft. Erste Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, Leipzig 2023.
[2] Seit 2021 sind – aufgrund des 2019 geschlossenen Staatsvertrags mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland – auch Militärrabbiner tätig.
[3] https://www.siekd.de/wp-content/uploads/2023/09/2023-09-22_Executive-Summary_Bundeswehrumfrage-Militaerseelsorge_Final.pdf.
Bild: Dominik Fischer / Bundeswehr
Zum Hintergrund: Das Bild vom Gottesdienst einer evangelischen Militärseelsorgerin wurde aufgenommen im Rahmen der Enhanced Forward Presence Litauen. Diese dient der Sicherung der Ostflanke der NATO. Deutschland hat die Führung der Battlegroup in Litauen. Die Militärseelsorge begleitet die Soldatinnen und Soldaten in Litauen im ökumenischen Wechsel.