Fehlende Gewaltenteilung und als Dienen kaschierte Macht: Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller mit deutlichen Worten zum Umgang von kirchlichen Verantwortlichen mit Missbrauchsfällen.
Die Erzbischöfe Zollitsch und Saier haben systematisch kirchliches Recht ignoriert, staatliche Gesetze missachtet, Täter geschützt und Opfern die kalte Schulter gezeigt. Bei Zollitsch kommt hinzu, dass er als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz 2010 im Streit mit der damaligen Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger die Bundesregierung wie auch die Öffentlichkeit getäuscht hat. Und: Konsequenzen?
Mit den Kirchen will man sich offenkundig nicht verscherzen.
Gerade die baden-württembergische Landespolitik mit ihrem katholisch überidentifizierten grünen Ministerpräsidenten Kretschmann, der gerne in Sonntagsreden von der Gemeinwohldienlichkeit der Kirchen fabuliert, gerne Staatsleistungen weiterzahlen will, da die Kirchen doch so viel Gutes für die Gesellschaft tun, schweigt dazu. Mit den Kirchen will man sich offenkundig nicht verscherzen. Da müssen halt auch heute die Betroffenen sexualisierter Gewalt weiter Opfer bleiben. Symbolhandlungen wie die Rückgabe von Bundesverdienstkreuz und Staufermedaille und das Abhängen der Ölgemälde beider ehemaligen Erzbischöfe sind dann das Maximale an Reaktionen auf diesen erneut desillusionierenden Bericht aus Freiburg.
Fragen stellen sich …
Fragen stellen sich: Welche Handlanger in der Zentrale der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn haben Zollitsch 2010 unterstützt? Was wussten Pater Langendörfer SJ, der langjährige Sekretär und auch ein Pressesprecher wie Matthias Kopp, der bis heute im Amt ist? Sind sie auch aktive Vertuscher? Warum haben die Bischöfe Zollitsch nie darauf angesprochen, dass aus dem Erzbistum Freiburg keine Fälle nach Rom gemeldet wurden, während sie zunächst zögerlich, aber immerhin erste Fälle meldeten? Das könnte man auch den sich über Zollitsch echauffierenden Bischof von Rottenburg-Stuttgart Gebhard Fürst fragen, der sicher einige Maßnahmen ergriffen hat zum Umgang mit sexualisierter Gewalt, aber auch noch keinen abschließenden Bericht über seine große Diözese vorgelegt hat. Es ist leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wenn man sich selbst sehr viel Zeit nimmt, die die Betroffenen in ihrem Leben nicht mehr haben. Es lebt halt noch ein hochbetagter Vorgänger….
Und die kirchliche Öffentlichkeit? Volksaufstände im badischen Erzbistum Freiburg wurden bisher nicht gemeldet, klar Betroffenheit und Entsetzen bei einigen Katholiken:innen, die Zollitsch für integer und reformorientiert hielten. Das war es dann auch schon. Ritualisiertes Abmoderieren gehört zu den alltäglichen Pflichtübungen auch des organisierten Laienkatholizismus in Deutschland – der Schrei der Opfer hallt selten zu ihnen durch. Und Erzbischof Burger: keine Frage, er wird alles unternehmen, dass solche Untaten und ihre Vertuschung nicht mehr vorkommen werden. Aber auf die Frage, was dieser unsägliche Skandal in seinem Erzbistum mit der klerikalen Machtverteilung zu tun haben könnte, weicht auch er aus.
Wenn Bischöfe Gesetzgeber, Verwalter und Richter in einer Person sind, dann ist Vertuschung … systematisch vorprogrammiert.
Dabei wird immer deutlicher: gerade die Gewalteneinheit in der einen Hand der Bischöfe und des Papstes sind der Schlüssel, um zu verstehen, wie es zu dieser bodenlosen Ignoranz gegenüber den Opfern sexualisierter Gewalt kommen konnte. Wenn Bischöfe Gesetzgeber, Verwalter und Richter in einer Person sind, dann ist Vertuschung in einem männerbündischen System von Klerikern, die ihre Spezies schützen werden, komme, was da wolle, systematisch vorprogrammiert. Da helfen auch keine Maßnahmen, die Franziskus im reformierten kanonischen Strafrecht am 8.12.2021 vorgenommen hat. Die Vertuschung durch Bischöfe ist nun eine Straftat, die bei Erweis zum Amtsverlust führen kann – immerhin. Das strukturelle Problem der Machtkonzentration in einer Hand löst eine solche Strafnorm aber auch nicht.
Bei der Frage der Infragestellung klerikaler Macht hört der Spaß auf.
Wer verstehen will, warum permanent „die Römer“, aber auch Kardinäle wie Hollerich aus Luxemburg und Arborelius aus Stockholm den synodalen Weg der deutschen Kirche verdammen, der muss sich das Forum Macht anschauen. Bei der Frage der Infragestellung klerikaler Macht hört der Spaß auf. So gibt der Jesuit und Erzbischof von Luxemburg, der Generalrelator der bevorstehenden Bischofssynode zum Thema Synodalität sein wird, zu Protokoll: Die richtige Frage sei nicht, wie man die Macht teilen könne, sondern wie man es schaffe, zum Dienstamt und zum Dienen zurückzukehren. Mehr theologische Verblödung geht wirklich nicht: Macht mit dem verschleiernden Dienen zu kaschieren, auf diesen Trick fällt niemand mehr rein. Nein: es ist Zeit, die Bastionen klerikaler Macht zu schleifen und unter die Kontrolle demokratisch legitimierter synodaler Organe zu bringen. Entmächtigung also, die die beiden letzten Konzilien einer grundlegenden Relecture unterziehen muss. Erst dann besteht zumindest die Chance, dass Opfern sexualisierter Gewalt menschengerecht begegnet wird. Nicht Weniger ist das Gebot der Stunde!
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Dr. Thomas Schüller, geb. 1961 in Köln, Studium der Kath. Theologie und Kirchenrechtswissenschaft in Tübingen, Innsbruck, Bonn und Münster. Nach Tätigkeit im Bistum Limburg seit 2009 Prof. für Kirchenrecht und zugleich Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster. Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum Münster. Seit 2023 Mitglied des Synodalen Ausschusses.
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