Brauchen wir zur Kirchenerneuerung einen neuen missionarischen Aufbruch? Initiativen gibt es viele, zuletzt das „Mission Manifest“. Die deutschen Bischöfe haben mit ihrem Pastoralwort „Zeit zur Aussaat“ einst den Ton gesetzt. Was folgte? Können und wollen wir überhaupt missionarisch sein? Thomas Schumacher analysiert die Debatte – der vierte Teil unserer Monatsserie.
Da ist es wieder, das M-Wort: „Mission“. Für die einen Schreckgespenst einer gänzlich verfehlten und gottlob überwundenen Form klerikaler Rechthaberei, für die Anderen das ersehnte Morgenrot eines neuen kirchlichen Aufbruchs. Diese beiden oft reflexhaften Einschätzungen haben je einen nachvollziehbaren Hintergrund. Denn die Geschichte des Missionsbegriffs ist alles andere als unvorbelastet. Er lässt an Kolonialismus denken, an Zwangstaufen und Machtausübung gegenüber Indigenen, an religiöse Besserwisserei, doktrinäre Wahrheitsansprüche und an die apriorische Immunisierung gegen Anfragen und Einwürfe. Dass es all dies unter dem Siegel und im Namen von „Mission“ gegeben hat, steht außer Frage.
Schreckgespenst klerikaler Rechthaberei oder ersehnte Morgenröte eines neuen Aufbruchs?
Und dennoch existiert auch eine positive Wortverwendung, die einen anderen Akzent setzt und die derzeit bei den Diskussionen um Kirchenerneuerung verstärkt in den Aufmerksamkeitsfokus rückt. Ihr geht es um die Weitergabe der christlichen Botschaft, im Sinne eines Angebotes, das auf freie Annahme der Rezipierenden abzielt. Diese Vorstellung von Mission setzt auf persönliche Überzeugung, auf einen nachvollziehbaren Relevanzaufweis des christlichen Glaubens, nicht auf Strukturen von Macht oder Hierarchie. Mitunter versuchte man, diese Bestrebungen umzulabeln und terminologisch mit dem Begriff Evangelisierung bzw. Neuevangelisierung zu fassen – nicht zuletzt deshalb, weil man mögliche Negativkonnotationen im Gefolge des vorbelasteten Missionsbegriffs vermeiden wollte. Doch damit ist letztlich wenig gewonnen, nicht zuletzt wegen der unglücklichen Assoziationen, die im Deutschen mit dem Begriff „Evangelisierung“ einhergehen können; man denke etwa an ein Subjekt-Objekt-Gefälle beim Verkündigungsprozess oder eine kognitive Schlagseite desselben. Und solange man unter Rückgriff auf das Neue Testament von „Sendung“ (lat. missio) oder gar von einem „Missionsauftrag“ spricht, wird man das strittige Wort „Mission“ ohnehin kaum los.
Was gemeint sein könnte: Weitergabe des Glaubens, in wechselseitiger Freiheit.
Unabhängig von allen begrifflichen Auslotungen ist damit aber eine grundlegende sachliche Frage berührt: Was ist überhaupt der Inhalt oder Gegenstand christlicher Verkündigung? Oder anders gefragt: Worin besteht das Spezifische bzw. die innere Mitte von Kirche und Christentum? Damit ist zugleich auch die Frage aufgeworfen, an welcher Stelle und mit welchen Zentralgehalten Kirchenerneuerung anzusetzen hat. In der öffentlichen Wahrnehmung dürften sozial-caritatives Engagement, Erziehungs- und Bildungsarbeit sowie die Funktion von Sinnstiftung und Kontingenzbewältigung vermutlich das Ranking möglicher Assoziationen zur Frage nach dem Spezifikum des Christentums anführen. Dies alles sind zweifelsohne wesentliche Dimensionen christlich-kirchlichen Wirkens. Doch für jeden einzelnen dieser Aspekte gibt es auch Konkurrenzanbieter, wie die religionssoziologische Theorie religiös-säkularen Wettbewerbs hervorhebt.[1]
Was ist eigentlich der Zentralgehalt des christlichen Glaubens?
Das Spezifikum des Christlichen ist bisher also noch nicht benannt. Streicht man nun aber all das von der Liste, was das Christentum mit anderen religiösen oder säkularen Anbietern teilt, so verbleiben, gewissermaßen nach Anwendung eines Differenzkriteriums, letztlich nur Gestalt und Anspruch Jesu Christi – wie immer man diesen Befund auch christologisch und ekklesiologisch ausbuchstabieren mag. Es versteht sich von selbst, dass dieses Zentralkriterium nicht gegen die anderen, vorher genannten Aspekte ausgespielt werden kann, sondern vielmehr ihr formgebendes Element darstellt.
Gestalt und Anspruch Jesu sind entscheidend – aber nicht gegen die anderen Dimensionen des Glaubens, sondern als formgebendes Momentum.
Um es noch einmal anders zu formulieren: Die diakonisch-caritative Sendung der Kirche bleibt stets rückgebunden an die Christusbotschaft – und diese wiederum findet ein wesentliches Ausdruckselement in der Zuwendung zum Mitmenschen. Dass diese innere Verschränkung nicht selbstevident ist, spiegelt sich übrigens deutlich in den Schwierigkeiten wider, die kirchliche Wohlfahrtsverbände damit haben, in ihrer Öffentlichkeitsarbeit das soziale Engagement als an die Christusbotschaft rückgebunden darzustellen und sich durch eine entsprechende Corporate Identity von anderen Anbietern abzugrenzen.
In dieses Setting lassen sich nun auch die gegenwärtigen Diskussionen um den Missionsbegriff einzeichnen. Den Auslöser dafür stellte das zu Beginn dieses Jahres publizierte und rasch zum Spiegel-Bestseller avancierte „Mission Manifest“ dar, ein Sammelband von katholischen Autorinnen und Autoren, die sich in unterschiedlicher Weise und in verschiedenen Kontexten für kirchliche Erneuerung einsetzen, eigene Erfahrungen reflektieren und auf dieser Basis „Thesen für das Comeback der Kirche“ (so der Untertitel des Bandes) vorlegen.
Mission für ein „Comeback der Kirche“?
Sie alle verbindet das Anliegen, Mission als wesentlichen Bestandteil kirchlichen Lebens zu denken und entsprechendes Handeln zu intensivieren; die erklärte Zielsetzung ist dabei, eine Entscheidung für Jesus Christus zu ermöglichen. Sie stellen damit, so könnte man sagen, jenen Inhalt in die Mitte, der sich auf dem Differenzweg als das spezifisch Christliche erschließen ließ.
Doch gegen diesen Vorstoß regt sich merklicher Widerstand. Man kann hier an unmittelbare Reaktionen im Nachgang zur Publikation des „Mission Manifest“ ebenso denken wie auch an die derzeit im Erscheinen befindliche Streitschrift: „Einfach nur Jesus? Eine Kritik am ‚Mission Manifest‘“, von deren Stoßrichtung der auf katholisch.de erschienene Beitrag „Das ‚Mission Manifest‘ bedeutet eine Versektung der Kirche“ der Mitherausgeberin Ursula Nothelle-Wildfeuer einen ersten Eindruck vermittelt.[2]
Die Kritik tritt an unter der Frage: „Einfach nur Jesus?“
Kritisch vermerkt sie insbesondere den Ausfall von Diakonie und solidarisch tätiger Nächstenliebe sowie eine damit einhergehende Reduktion auf eine bloße Jesusfrömmigkeit. Sie entdeckt im „Mission Manifest“ Belege für die Herausbildung eines elitären Christentums, das sich mit einer Abwertung konventioneller Formen des Christseins verbindet; die Kritik gipfelt schließlich im Vorwurf der „Versektung“, womit zumindest implizit die Kirchlichkeit des Anliegens infrage gestellt ist.
An dieser Stelle ist es nicht möglich, umfassend auf die im Raum stehenden kontroversen Positionen einzugehen. Es seien im Hinblick auf diese Debatte jedoch einige Aspekte zu bedenken gegeben. Im Wesentlichen – und im Voraus zu allen Einzelargumenten – scheint es mir hier um das Aufeinanderprallen verschiedener Glaubensstile und religiöser Kulturen zu gehen; letztlich stehen sich großkirchlich verfasstes Gemeindechristentum und vom charismatischen Aufbruch geprägte, teils mit Evangelikalen und Freikirchen in Kontakt stehende Strömungen gegenüber.
Hier prallen religiöse Kulturen aufeinander.
Reminiszenzen an verschiedene Konstellationen im Verlauf der Kirchengeschichte drängen sich unmittelbar auf, denn Spannungen zwischen Erneuerungsbewegungen und etablierten Gestalten des Christentums sind keineswegs neu. Immer wieder ging es um Austarierungsprozesse und letztlich um die Frage nach der pluralen Gestalt von Kirche; um es katholisch zu formulieren: Es ging idealerweise um das et – et, um die Verbindung unterschiedlicher Glaubensströmungen unter einem ekklesialen Dach. So hat sich im Laufe der Zeit in der Kirche eine auffallende Breite unterschiedlicher Ausprägungen christlichen Lebens mit je unterschiedlichen Akzentuierungen herausgebildet. Dabei realisiert nicht jede Einzelströmung die ganze Fülle kirchlichen Lebens – und sie muss es auch nicht.
Das Katholische ist gerade das et – et: das sowohl – als auch, die Verbindung unterschiedlicher Glaubensströmungen.
So treten beispielsweise die Kartäuser nicht gerade durch sozial-diakonisches Engagement hervor, sie sind aber ebenso Teil dieser Kirche wie die Missionarinnen der Nächstenliebe oder das Kolpingwerk. Wenn also das „Mission Manifest“ sich pointiert das Verkündigungsanliegen auf die Fahnen schreibt, so kann man dies durchaus im Sinne einer spezifischen und legitimen Akzentsetzung innerhalb des gesamtkirchlichen Rahmens deuten. Nebenbei bemerkt: Von einem gänzlichen Ausfall der diakonischen Dimension im „Mission Manifest“ kann keine Rede sein. Zumindest ist in der programmatischen Präambel zu lesen: „‚Mission‘ steht nicht in Konkurrenz zu Caritas […]. Das eine ohne das andere wäre keine christliche Antwort auf die existentielle Not der Menschen.“[3]
In der gesamten Diskussion wird es letztlich darum gehen, ob sich die jeweiligen Anliegen miteinander in Beziehung setzen und austarieren lassen, ja, ob man überhaupt zu einem Gespräch miteinander findet. Dies scheint angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe keineswegs selbstverständlich zu sein. Die Kirchenpolitik von Papst Franziskus steuert indes genau auf diesen Austausch zu. Denn er hat mehrfach und in verschiedenen Kontexten deutlich gemacht, dass er ein Gespräch zwischen den benannten Glaubensstilen als Gebot der Stunde ansieht.
Die Kirchenpolitik von Papst Franziskus steuert auf diesen Austausch der Glaubensstile zu.
Ein solcher Dialog setzt natürlich zwingend voraus, dass keine der beiden Seiten die eigene Position verabsolutiert und womöglich gar als einzig legitime Spielart des Christseins betrachtet. Doch vom Gelingen dieses Dialogs und einer Vermeidung der Selbstzerfleischung in innerkirchlichen Grabenkämpfen hängt vieles ab. Denn vermutlich lassen sich nur in einem solchen konstruktiven Austausch die zukunftsfähigen innerkirchlichen Kräfte bündeln und ihre gemeinsamen Ressourcen für das Thema Erneuerung fruchtbar machen.
[1] Vgl. etwa Jörg Stolz, Entwurf einer Theorie religiös-säkularer Konkurrenz. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 65 (2013), 25–49.
[2] https://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/das-mission-manifest-bedeutet-eine-versektung-der-kirche.
[3] Michael Prüller, Präambel. In: Johannes Hartl/Karl Waller/Bernhard Meuser (Hgg.), Mission Manifest. Die Thesen für das Comeback der Kirche, Freiburg/Basel/Wien 2018, 21–51, hier: 34.
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Thomas Schumacher ist Professor für Exegese des Neuen Testaments an der Universität Fribourg. Er gehört zur Gruppe Fribourger Theologen, die sich mit dem Thema Kirchenerneuerung befassen.
Am 12. Dezember 2018 wird dort eine Tagung stattfinden, die eine kritisch-konsruktive Einordnung des „Mission Manifest“ versucht.
Bild: stihl024 / pixelio.de
Bisherige Beiträge in der Monatsserie zum Thema „Kirchenerneuerung“:
Steinernes Herz: Kirche erneuern in Zeiten der Selbsterhaltung?