Deutlich vernehmbar haben die beiden großen Kirchen Kritik an den jüngsten migrationspolitischen Initiativen der Unionsfraktion geäußert. Sie haben damit nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern substantiell zur Debatte beigetragen, kommentiert Jonas Maria Hoff.
„Tun Sie es nicht, Herr Merz“[1] hatte die Holocaust-Überlebende Eva Umlauf noch an den Parteivorsitzenden der CDU appelliert. Getan hat es die Unionsfraktion dennoch. Dass die gemeinsame, kalkulierte Abstimmung mit der AfD eine Zäsur darstellt, zeigt nicht zuletzt die Intervention Angela Merkels. Merz‘ Vorgehen sei „falsch“ gewesen.[2]
Auch in kirchlichen und theologischen Kreisen hat die Abstimmung vom 29. Januar für Unruhe gesorgt. Eine neuerliche Debatte um das „C“ in den Parteinamen von CDU und CSU ist in vollem Gange.[3] Aus dem Stimmengewirr hallt eine Positionierung besonders nach. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben das Katholische Büro und die Bevollmächtige der EKD bei der Bundesrepublik deutliche Kritik an der Initiative der Union geübt. In der Plenardebatte wurde auf diese Stellungnahme wiederholt Bezug genommen – u.a. vom Bundeskanzler und der Saarländischen Ministerpräsidentin. Und auch danach bleibt sie Gegenstand einer intensiven Debatte, die Spannungen zwischen Union und Kirchen dokumentiert. Der demonstrative Austritt Annegret Kramp-Karrenbauers aus dem ZdK liefert dafür nur ein Indiz.
Interessant ist bei alldem nicht nur, dass sich die Kirchen so deutlich in die Debatte eingeschaltet haben. Das kirchliche Kritik-Papier enthält auch in der Sache wichtige Hinweise. Das betrifft insbesondere die Anmerkung, die Attentate von Aschaffenburg und Magdeburg seien von „offensichtlich psychisch kranken Personen begangen“[4] worden. Migrationspolitische Maßnahmen, wie sie die Union forderte, gingen deshalb an den eigentlichen Problemen vorbei. Die Kirchen zeigen sich überzeugt, „dass die nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen nach aktuellem Wissensstand keinen der Anschläge verhindert hätten.“[5]
Das kirchliche Kritik-Papier enthält wichtige Hinweise.
Genau diesen Anspruch erhebt die Union aber mit ihrer Initiative. Friedrich Merz hat das Vorgehen seiner Fraktion im expliziten Bezug auf die schrecklichen Attentate von Magdeburg und Aschaffenburg vorgestellt. Um solche Taten zukünftig zu vermeiden, hat die Union in einem ersten Schritt am 29. Januar einen Entschließungsantrag mit fünf Maßnahmen eingebracht, auf den am 31. Januar ein Gesetzesentwurf zur „Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“ folgte. Ersterer wurde mit Stimmen der AfD angenommen, Letzterer abgelehnt.
Im Fall des Täters von Aschaffenburg erscheint die Verknüpfung zur Migrationspolitik auf den ersten Blick plausibel, war der Täter doch ausreisepflichtig. Auf diesen Fall reagiert die Unionsfraktion mit der Forderung, Abschiebungen zu forcieren. Diese „müssen täglich stattfinden“, wie es im Entschließungsantrag heißt. Inwiefern die Maßnahmen das Attentat von Magdeburg hätten verhindern sollen, ist dagegen unklar. Der Täter war – nach jetzigem Erkenntnisstand – als Arzt in einem Klinikum tätig. Er stammt aus Saudi-Arabien und erhielt 2016 Asyl aufgrund politischer Verfolgung. Er verfügte über einen unbefristeten Aufenthaltstitel.
Sein Verbrechen wird dadurch natürlich um nichts weniger schrecklich. Was bedeutet es aber, wenn die Unionsfraktion den Anspruch erhebt, auch diese Tat hätte durch ihre verschärfte Asyl- und Migrationspolitik verhindert werden können? Es ist wohl kein Zufall, dass dies im Entschließungsantrag nicht näher benannt wird. Es fehlt damit auch eine Differenzierung zwischen den Attentaten und ihren Hintergründen. Diese Leerstelle löst Unbehagen aus, weil sie den Eindruck ermöglicht, die Taten seien allein auf die Nationalität bzw. den Einwanderungs- oder Asylstatus zurückzuführen. Dass sich die Union dabei von einer nationalistisch-rassistischen Partei unterstützen lässt und dies alles am 29. Januar als dem internationalen Holocaust-Gedenktag stattfindet, verstärkt dieses Unbehagen erheblich.
Es fehlt eine Differenzierung zwischen den Attentaten und ihren Hintergründen.
Der Einspruch der Kirchen gegen dieses Vorgehen ist konsequent – und übrigens auch keineswegs unkritisch. Sehr deutlich weist das Papier nämlich „auf ein Defizit hinsichtlich des Informationsaustausches unterschiedlicher Behörden und einen eklatanten Mangel an adäquater Versorgung psychisch Kranker“[6] hin. Die Kirchen bestehen mit ihrem Schreiben auf die Notwendigkeit von Differenzierungen. Damit leisten sie auch einen wichtigen Beitrag gegen eine gefährliche Verschiebung des gesellschaftlichen Diskurses. Umso bitterer ist es da, dass sich Teile des deutschen Episkopats gleich im Anschluss von dem Papier distanziert haben.
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Jonas Maria Hoff vertritt im Wintersemester 2024/25 den Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität des Saarlandes und ist Redaktionsmitglied von feinschwarz.net.
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[1] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-01/unionsantrag-afd-holocaust-ueberlebender-bundesverdienstkreuz-rueckgabe
[2] Erklärung von Bundeskanzlerin a. D. Dr. Angela Merkel zur Abstimmung im Deutschen Bundestag am 29. Januar 2025, online abrufbar unter: https://www.buero-bundeskanzlerin-ad.de/erklaerungen/erklaerung-von-bundeskanzlerin-a-d-dr-angela-merkel-zur-abstimmung-im-/
[3] Vgl. dazu allein den differenzierten Beitrag von Andreas Püttmann: https://www.katholisch.de/artikel/59297-nach-afd-abstimmung-und-kirchen-streit-unter-merz-quo-vadis-union
[4] Gemeinsame Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland (Zustrombegrenzungsgesetz) BT-Drs. 20/12804, online abrufbar unter: https://kath-buero.de/stellungnahme/stellungnahme-entwurf-zustrombegrenzungsgesetz
[5] Ebd.
[6] Ebd.