Ein Seminarist wagt mit Foucault einen kritischen Blick auf Priesterseminare und kirchliche Ausbildungsstrukturen. Ein Regens hat geantwortet. Paulina Pieper reagiert auf die Debatte aus dem nahegelegenen Außen.
Die nicht nur über dieses Medium stattfindende Debatte um Maximilian Heuvelmanns kritische Betrachtung des Münsteraner Priesterseminars ist nicht nur für Beteiligte äußerst interessant. Auch und gerade für den gesamt-theologischen Nachwuchs ist diese Debatte von Belang. Das schließt diejenigen ein, die viel mit Priesteramtskandidaten zu tun haben, aber nicht in den Prozess der Priesterausbildung involviert sind.
Es geht in dieser Debatte um’s Ganze der Kirche.
Denn es geht bei den tiefgreifenden Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden, um den Dreh- und Angelpunkt einer zukunftsfähigen Kirche: es geht um die Ausbildung derjenigen, durch die etwaige (notwendige!) Veränderungen in Gang gesetzt und umgesetzt werden müssen. Es geht in dieser Debatte also auch nicht nur um Erwartungen, Ansprüche und Wünsche von und an Priesteramtskandidaten und Regenten, sondern – wie fast immer – um’s Ganze der Kirche.
Daher möchte ich mich als junge weibliche Theologin für die Eröffnung einer solchen Debatte zwischen Maximilian Heuvelmann und Regens Wolfgang Lehner bedanken und im Sinne des Diskurses einige Punkte aus dem nahen Außen ergänzen.
Wer das Priesterseminar in Münster schon einmal als Außenstehende/r betreten hat, kann mitunter bestätigen, dass einige der durch die Foucaul’sche Brille betrachteten Überlegungen von Maximilian Heuvelmann auch für den nicht involvierten Betrachter nachvollziehbar sind. Ich selbst kam als Studentische Hilfskraft eine Zeit lang regelmäßig ins Borromaeum und bestätige die Beschreibung Heuvelmanns gerne auch aus Sicht der Besucherin: Nicht nur beim Eintreten durch den von Fenstern umgebenen Innenhof und die bewachte Pforte, an der man nach dem Anliegen des Besuches gefragt wird, fühlt man sich beobachtet. Man gewinnt auch auf dem Weg durch das Gebäude bald den Eindruck, dass man hier – insbesondere als Frau – im wahrsten Sinne des Wortes ein Fremdkörper im Inneren eines mitunter geschlossenen Systems ist.
Es geht um zwei Dinge: Macht und Freiheit.
Für mich geht es in dieser Debatte vor allem um zwei Dinge: Macht und Freiheit. Denn während einer der Autoren seine Freiheit zur Gestaltung des eigenen Lebens nicht aufgeben möchte, ist der andere Autor nicht bereit, sich aus den Machtstrukturen zu lösen, an denen er kraft seines Amtes Teil hat. Regens Lehner kann durchaus begründbar annehmen, dass es keinen zwischenmenschlichen Raum ohne Machteffekte geben kann. Der Kernpunkt ist jedoch, dass sich alle Beteiligten erstens jederzeit dieser Machteffekte bewusst sein sollten, und dass es zweitens jedem Menschen im Kontext jeder Rolle jederzeit freisteht, über die Weise und den Umfang der ausgeübten Macht zu entscheiden.
Dass der halböffentliche Raum, in dem Regenten und Seminaristen sich gemeinsam bewegen, nicht machtfrei sein kann, lässt sich wohl kaum bestreiten. Das wird allein anhand der Tatsache deutlich, dass beide Artikel aus der jeweiligen Rolle – und nicht aus der Position einer Person ohne Funktion – heraus veröffentlicht sind. Beide Seiten machen dabei ihre eigene Rolle auf je andere Art und Weise stark.
Der im System verhaftete Seminarist begibt sich in den Schutzraum der Öffentlichkeit.
Heuvelmann begibt sich (vielleicht sogar bewusst) in seiner Rolle als der im System verhaftete Seminarist in den Schutzraum der Öffentlichkeit. Dieser kann ihm zwar Gegenwind und Antipathie, aber auch Zuspruch, Bekräftigung und Sympathie einbringen. Der mögliche öffentliche Rückhalt ermutigt ihn darin, Wahrnehmungen zu formulieren, von denen er glaubt, dass er sie – auf Grund des Machtgefälles innerhalb der Seminarstrukturen – sonst nicht äußern kann.
Regens Lehner bedient sich ebenfalls dieser Öffentlichkeit. Meinen Vermutungen nach weiß er um den Rückhalt in der deutschen Regentenschaft, kennt den amtskirchlichen Raum, in dem diese Debatte früher oder später Auswirkungen haben wird, wahrscheinlich genauer. Er kann daher eine Erwiderung schreiben, die Macht ausübt, aber – trotz bedenkenswerter Punkte – auf Grund ihrer stellenweise polemischen und auf die nicht involvierte Leserin überzogen wirkenden Formulierungen leider apologetisch anmutet.
Mit Foucault im Seminar? Einwürfe zu den Gedanken von M. Heuvelmann
Durchaus richtig liegt Regens Lehner dabei mit dem Gedanken, dass es in der Priesterausbildung wohl einer „differenzierten Sichtbarkeit“ bedarf. Dass Berufung und Eignung in einem längeren Prozess vom Kandidaten selbst und den verantwortlichen Ausbildungsleitern begutachtet und überprüft werden müssen, muss ebenso wenig diskutiert werden. Ebenso steht es um die Tatsache, dass die Ausbildungsleiter dafür natürlich einen möglichst umfassenden Einblick in die Entwicklung und Entfaltung des Kandidaten benötigen.
Es wäre in diesem Kontext äußerst wünschenswert, wenn es intersubjektiv nachvollziehbare Regelungen, Kriterien und Maßnahmen gäbe, die einerseits für die Kandidaten einsehbar, kritisierbar und anfechtbar sind und andererseits auf alle Kandidaten gleichwertig angewendet werden.
Die Ausbildungsbedingungen deuten darauf hin, dass es nicht nur um Sichtbarmachung, sondern um „durchsichtig werden“ geht.
Doch was Heuvelmann meines Erachtens – und hier mangelt es leider an terminologischer Unschärfe – eigentlich kritisiert, ist nicht, dass die Kandidaten an bestimmten Stellen Einblick in ihr Leben und ihre Entwicklung gewähren sollen. Die Ausbildungsbedingungen deuten, so wie die Architektur des Münsteraner Priesterseminars, darauf hin, dass es nicht nur um Sichtbarmachung, sondern um „durchsichtig werden“ geht.
Unabhängig davon, dass es ein Unterschied ist, ob jemand sich sichtbar macht oder sichtbar gemacht wird, sollen die Kandidaten nicht sichtbar werden, sondern möglichst durchscheinend. Ich habe Heuvelmanns Anlehnung an Foucault nicht so verstanden, dass es keine Privatsphäre im bürgerrechtlichen oder soziologischen Sinne gäbe (die gibt es im Gefängnis im Übrigen auch), sondern interpretiere sie vielmehr dahingehend, dass es seinem Eindruck nach faktisch keine physischen und psychischen Bereiche des Lebens gibt, die die Priesteramtskandidaten nicht sichtbar machen müssen.
Eine durchsichtige Person ist kontrollierbar und durchscheinend für fremde Drahtzieher und Amtsinhaber.
Priesteramtskandidaten müssen, um zur Weihe zugelassen zu werden, nicht sichtbar, sondern möglichst durchsichtig werden. Eine solche Durchsichtigkeit hat zwei Konsequenzen: Eine durchsichtige Person ist erstens kontrollierbar und zweitens durchscheinend für fremde Drahtzieher und Amtsinhaber – wo wir wieder bei der Frage nach amtskirchlicher Macht im Inneren und Äußeren wären.
Ebenso träumt Heuvelmann in meinen Augen nicht von einem machtbefreiten Raum insofern, als dass in der Ausbildung jegliche autoritativen Mechanismen negiert werden sollen. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Macht und Autorität. Denn gerade die Theophanie – Gott, der sich in Jesus Christus für uns Menschen sichtbar macht – zeigt uns doch, dass Macht, die mit repressiver Amtsgewalt einhergeht, keine Chance hat gegenüber einer Autorität, die durch zwischenmenschliche Beziehungen ermöglicht, entfaltet und vertieft wird, und somit das Wachsen der Menschen und der Beziehung möglich macht.
Konkret möchte Heuvelmann sagen: In dem Moment, in dem zu einer Veranstaltung eingeladen wird, muss diese Einladung auch genau das bleiben – und niemand sollte im Nachhinein dafür in die Mangel genommen werden, wenn die Einladung nicht angenommen wurde.
Kandidaten müssen in Freiheit entscheiden können, was sie sichtbar machen möchten, ohne dabei durchsichtig werden zu müssen.
Ich selbst halte es – als Stimme aus dem nahegelegenen Außen – für notwendig, dass die Ausbildung der Priesteramtskandidaten dahingehend überdacht wird, dass es dringend solcher Ausbildungsrichtlinien und -orte (!) bedarf, die Machtstrukturen zu vermeiden suchen, aber unter der Autorität der Ausbildungsleiter stehen und dadurch ein gewisses Maß an Freiheit ermöglichen.
Wenn intersubjektiv nachvollziehbare, offengelegte Kriterien, kritisierbare und auf Gleichbehandlung ausgelegte Maßstäbe und ein offener Umgang mit Debatten, Herausforderungen und Problemen etabliert werden, dann eröffnen sich Spielräume, in denen die Kandidaten in Freiheit entscheiden können, was sie sichtbar machen möchten, ohne dabei durchsichtig werden zu müssen.
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Paulina Pieper ist Pastoraltheologin in Innsbruck.