Zurzeit ist es ruhig geworden mit Gewaltausbrüchen in der Folge von Karikaturen im religiösen Bereich, mit Mohammed-Karikaturen. Hubertus Lutterbach geht der Frage nach, was die unterschiedliche religiöse Schmerzempfindlichkeit im Christentum und im Islam begründet und wie eine christliche Haltung aussehen könnte.
Unvergessen ist die Karikatur Mohammeds mit einem Turban als Bombe. Sie führte 2005 unter den MuslimInnen zu weltweiten gewaltsamen Protesten. Auf den Zeichner Kurt Westergaard setzte man ein Kopfgeld aus.
Das erste Heft von „Charlie Hebdo“ nach dem Pariser Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins im Januar 2015 – seinerseits ein Vergeltungsakt für die vorangegangenen zeichnerischen Beleidigungen des Propheten – zeigt den Propheten, auf den die drei Attentäter von Paris im Paradies treffen und der ihnen auf ihre Frage nach den versprochenen 72 Jungfrauen antwortet: Die würden sie deshalb nicht treffen, weil die schon mit den Kerlen von Charlie Hebdo [also aus der Perspektive des Satiremagazins mit den eigentlichen Märtyrern] um die Häuser zögen. Auch hier folgten weltweite Unruhen mit vielerlei Gewalttätigkeiten sowie heftige Drohungen gegen die Karikaturisten.
Karikaturen Mohammeds, Kopfgeld und Gewalt
Immer wieder nehmen sich die KarikaturistInnen auch das Christentum und seine Repräsentanten in bisweilen attackierender Weise vor. Erinnert sei an Papst Benedikt XVI., der in der „Titanic“ mit seinem weißen Papstgewand mit gelbem Inkontinenzflecken vorne und braunem Ausscheidungsflecken hinten dargestellt wurde – eine Anspielung auf die Vatileaks-Affäre, bei der wichtige Unterlagen auf unklare Weise aus dem Vatikan verschwanden.
Der Künstler Martin Kippenberger kreierte seinen „Frosch am Kreuz“, der einen prominenten Platz im Kunstmuseum Bozen fand. Die Reaktion in beiden Fällen: Kurzzeitige öffentliche Diskussion bis hin zu einiger verbaler Empörung.
Warum reagieren muslimische und christliche Gläubige unterschiedlich auf bildhafte Angriffe auf ihre religiösen Repräsentanten?
Da in den letzten zwölf Monaten keine neuen Mohammed-Karikaturen aufgetaucht sind, die Muslime und Muslimas als schmerzlich, weil beleidigend erleben, sei diese aktuell beruhigte Atmosphäre für eine Reflexion darüber genutzt, warum muslimische und christliche Gläubige so unterschiedlich auf die zeichnerischen Attacken gegen ihre religiösen Repräsentanten reagieren.
Die Identifikation von Bild und Prophet
Aus kunst- und kulturgeschichtlicher Sicht ist grundsätzlich herauszustellen, dass die meisten Muslime und Muslimas in ihrer Wahrnehmung von Bildern des Propheten weder zwischen dem Bild und dem Propheten noch zwischen dem Bild des Propheten und seinem Körper unterscheiden. So sehen sie die Karikatur des Propheten als identisch mit dem Propheten selbst an. Sie identifizieren die Satirezeichnung des Propheten mit dem Körper des Propheten. Und nicht selten werden sie sich auch selbst mit dem Propheten identifizieren, so dass sie auf diese Weise den Schmerz, den sie dem Propheten ausgeliefert sehen, auch am eigenen Körper erleiden.
Schmerzhafte Identifikation mit der bildhaften Beleidigung: Wenn ein Angriff auf das Göttliche als direkter Angriff auf die Glaubensgemeinschaft erlebt wird.
Angesichts einer solchen Wahrnehmung kommt jede satirische Darstellung des Propheten einer menschlichen Manipulation am heiligen Propheten und damit seiner Schmähung gleich. So ist eine satirische Präsentation des Propheten aus der Perspektive der meisten muslimischen Gläubigen nichts Anderes als ein dem Menschen niemals zustehender Übergriff auf das Göttliche – und in der Konsequenz: auf die ihm anhängende Glaubensgemeinschaft. In diesem Zusammenhang so stellt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp unter vergleichender Berücksichtigung der europäischen Religionsgeschichte heraus, dass der „kollektive Mord an Künstlern, weil sie Bilder erzeugt haben, ein Novum“ sei.
Die Reichweite des monotheistischen Bilderverbots
Die Unterscheidung zwischen einer gezeichneten Person und der Person selbst – einerlei ob es sich um eine weltliche oder eine heilige Person handelt – hat sich in der abendländischen Kultur unter Rückgriff auf die griechische Philosophie über Jahrhunderte hinweg mühsam entwickelt. Selbst wenn Bilder Menschen zeigen, halten wir sie noch lange nicht für identisch mit den abgebildeten Figuren. Eben deshalb können wir Bildern und Skulpturen ein Eigenleben zugestehen. Sie wirken auf autonome Weise, im Freiraum der Kunst und der Phantasie.
Ein anderes Bild- und Kunstverständnis in der abendländischen Kultur
Um die Frage nach dem Verhältnis von Gott und seiner bildnerischen Darstellung gar nicht erst aufkommen zu lassen, vertraten die monotheistischen Religionen das Bilderverbot: Ihr sollt euch kein Bildnis machen von Gott, weil es keinen Gott neben mir geben kann! Diese mosaische Vorschrift, die die Gleichsetzung von Bild und Gott unterstellt, findet sich zwar nicht im Koran, lässt sich aber in der Hadith-Literatur seit dem 8. Jahrhundert nachweisen. Im Christentum ist sie unter Berufung auf die Traditionen des Judentums (Ex 20,4-5) in den Zehn Geboten festgeschrieben. So kennen wir trotz der Bilderfreundlichkeit der antiken Kulturen aus dem Christentum der ersten zwei Jahrhunderte praktisch keine Bilder.
Nach zwei Jahrhunderten christlicher Bildabstinenz…
Tatsächlich stammen die frühesten Christusdarstellungen (Bilder von Christus als Hirte oder Schafträger) erst aus dem 3. Jahrhundert. Bald folgten Bilder mit Christus als Philosoph, mal mit glatten, mal mit lockigen Haaren, mal als weiser alter Mann. Wandmalereien der römischen Katakomben zeigen ihn als bartlosen jungen Mann mit kurzen Haaren. Diese bildlichen Darstellungen von Christus – ebenso wie die Märtyrer- und Heiligenbilder – hatten zur Folge, dass das Verhältnis von Bild und Gott bzw. Bild und Heilige neu festgelegt werden musste. Keinesfalls durften sie identisch sein.
… musste das Christentum sein Verhältnis zu Bildern des Göttlichen klären.
Das Mühen um die Klärung des Verhältnisses von Gott und Bild, das im Mittelalter eine auch theologisch breite Spur hinterließ, führte zu zwei bedeutenden zivilisatorischen Errungenschaften. Erstens schrieben die Konzilsväter von Trient 1563 fest, dass Bilder im katholischen Raum wohl verehrt, aber nicht angebetet werden dürfen. Nicht länger galten Bilder als adäquater Ersatz für Gott. Vielmehr sah man sie als ein Medium, das zu Gott hinführt. Damit reagierte man auf die protestantische Kritik, dass die Katholiken Gott in Bildwerken und Skulpturen anbeteten. Nicht weniger bedeutsam als die Trennung von Gott und Bild ist zweitens die im Westfälischen Frieden von 1648 getroffene Festlegung, dass kein Mensch wegen seines Glaubens getötet werden darf. Horst Bredekamp hält diese beiden Festschreibungen für die „Grundpfeiler der Bild- sowie der Menschenrechtspolitik Europas“. Sie wurden in der Zeit der Aufklärung weiter spezifiziert und vertieft.
Geteilte Schmerzempfindlichkeit als Weg zum Frieden?
Wenn Menschen der westlich-aufgeklärten Welt heutzutage mit den beiden zuletzt genannten zivilisatorischen Errungenschaften ihren Alltag selbstverständlich gestalten, stellt sich umso mehr die Frage, ob sie daraus fraglos das Recht ableiten können, mit diesem Maßstab der Aufklärung auch alle Völker anderer Traditionen und Wertsysteme zu beurteilen. Ist es legitim, unsere westlichen Werte bis hin zu einem von allen geforderten „Je suis Charlie“ absolut zu setzen, ohne die Welt aus der Perspektive einer anderen Bildauffassung überhaupt einmal in den Blick genommen zu haben?
Erlaubt es der abendländische Weg in der Bildkultur die damit verbundenen westlichen Werte absolut zu setzen? Oder gibt es eine Alternative?
Papst Franziskus – wie übrigens auch zahlreiche andere Menschen in den westlichen Gesellschaften – scheint genau diese Weise des Eurozentrismus in Frage zu stellen, wenn er sich den Slogan „Je suis Charlie“ nicht zueigen gemacht hat und stattdessen friedvoll jenen Schmerz wahrnimmt, den Muslimas und Muslime empfinden, wenn sie ihren Propheten durch Karikaturen attackiert sehen. Ob auch solcherart geübte Solidarität ein Beitrag sein kann, dass Beleidigungen des Propheten zukünftig nicht mehr mit Terror und Gewalt beantwortet werden?
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Hubertus Lutterbach, Prof. Dr. Dr., ist Professor für Christentums- und Kulturgeschichte (Historische Theologie) an der Universität Duisburg-Essen.
Bild: ginover / pixelio.de