Theresia Heimerl wird durch Werbung unvermutet auf den Begriff Moral gestossen und legt das konstruktiv anstössige Potential der Moral frei.
Moral, die: Hindernis auf dem Weg zur Macht
Diese Headline kommt man derzeit als online-Leserin einer halbwegs intelligenten österreichischen Tageszeitung nicht umhin zu sehen. Es ist indes nicht die Einleitung zu einer tiefschürfenden Analyse aktueller Innen- oder Weltpolitik, auch nicht die Wissenschaftsrubrik zum jüngsten Machiavelli-Kongress, sondern die Werbeeinschaltung eines großen US-Amerikanischen Internetfernsehanbieters, der für die jüngste Staffel eines Politdramas rund um den fiktiven Präsidentschaftsanwärter Frank Underwood und seine Ambitionen wirbt.
Moral, die: Frühere Generationen katholischer Theologen (-innen gibt es noch nicht so lange) hätten den Satz wohl anders ergänzt: Hindernis auf dem Weg zur Lust, Selbstentfaltung, Gottesbeziehung o.ä.
Selbst die Lehrstühle und ihre Inhaber sollen und wollen oft nicht mehr Moraltheologie bzw. Moraltheologe/in heißen, zu sehr klingt das nach Verboten und unverdünnter Moralinsäure. Theologische Ethik sagt man lieber. Ich eigentlich auch.
Theologische Ethik sagt man lieber.
Trotzdem: Würde der einleitend zitierte Werbespruch mit „Theologische Ethik, die“ noch funktionieren? Vermutlich nicht. Selbst ein Frank Underwood und erst recht seine realen Pendants in der Politik haben ihre Ethik-Beiräte und dort wohl auch einen Theologen.
Moral ist dank 2000 Jahren Christentum tatsächlich noch ein Hindernis. Im schlimmsten Fall wirklich für das private Glück, im besten Fall auf dem Weg zur skrupellosen Machtausübung. Durch die vielen schlimmsten Fälle in der Vergangenheit der katholischen Kirche und Theologie haben wir leider die Moral insgesamt recht unsexy gemacht.
Oder anders herum: Wir haben so lange gesagt, wie sexy (im wahrsten Sinn des Wortes) Unmoral und Laster sind, dass es noch immer alle glauben, auch wenn es gar nicht mehr um Sex geht. Mit der Ethik kommt man gegen diese Faszination auch nicht weit. Ethiken gibt es sogar im Religionsbuch viele und irgendeine geht immer und sexy ist keine von ihnen wirklich.
Moral, die: Für wen die Moral noch ein Hindernis ist, der weiß zumindest, dass es sie gibt und er möglicherweise unmoralisch handelt. Das gilt auch für die ZuseherInnen der beworbenen Serie, die, fernab jeglicher theologischen Belehrung, doch mitunter recht brutal daran erinnert werden, dass Unmoral nicht immer sexy, sondern destruktiv und sogar tödlich sein kann und sie anstelle des Protagonisten nicht jedes Hindernis ganz so locker nehmen würden.
Und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit lesen sich unter dieser Überschrift nicht wenige der politischen Beiträge rund um die Werbeeinschaltung ein klein wenig anders und bekommt so manche Wortmeldung eines gewählten Volksvertreters eine neue, dunklere Facette.
Moral, die: Hindernis auf dem Weg zur Macht. Man könnte anstatt des fiktiven Präsidentschaftsanwärters auch so manchen kirchlichen Würdenträger einblenden, der Schriftzug in Gold vor dessen Schwarz und Purpur.
PS: Im englischsprachigen Original lautet der Werbeslogan ganz anders: Bad for the greater good.
Weiteres Nachdenken erlaubt, ganz ohne moralische Hindernisse.
(Theresia Heimerl)