„Das ist kein Mord, das ist Mitzvah“. Was soll und darf Holocausterinnerung in aktueller Popkultur wie der US-Serie „Hunters“? Eine kritische Rezension von Laura Brauer.
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Heute, fast 80 Jahre später, steht dieser Tag im Zeichen des Gedenkens an den nationalsozialistischen Völkermord an 6,3 Millionen europäischen Juden. Mit nagender Vergänglichkeit, insbesondere mit dem Ableben der Generation Holocaust-Überlebender, wird die Erinnerungskultur mit neuen Fragen und Herausforderungen konfrontiert. So hängt nicht zuletzt von der „Verzeitlichung“ des Erinnerns auch das „Begreifbarmachen“ dieser historischen Zäsur in der Gegenwart ab. An Versuchen, die Schoah in aktuelle Erinnerungsformen und -formate zu überführen, mangelt es nicht. Einige Pilotprojekte, wie etwa der Instagramm Account „Eva stories“, welcher aus den Tagebüchern der ermordeten ungarischen Jüdin Eva Heymann gespeist wird, stießen heftige Kontroversen an.
Schoah-Erinnerung vs. Generierung maximaler Gewinnmargen
Abseits von Social Media scheint die Kinematographie im Hinblick auf breite öffentliche Aufklärung und Sichtbarmachung, Zielgruppen zugeschnittener Ansprechbarkeit, aber auch (internationaler) Reichweite, noch immer konkurrenzlose Erinnerungsmedien hervorzubringen. Zugleich folgt aus der thematischen Verarbeitung des Holocaust als immanent erinnerungskulturellem Medium auch eine besondere Verantwortung. Eine Verantwortung, die droht, vor dem Willen zur Generierung maximaler Gewinnmargen ins Hintertreffen zu geraten. Kurz vor dem Holocaust-Gedenktag diesen Jahres lief in Deutschland die zweite Staffel der Serie „Hunters“ an und bietet das jüngste Beispiel für pervertierte Schoah-Popkultur und misslungenen Erinnerungsauftrag.
Holocaust, Gewalt, Sexappeal: Fetischisierungen in der Serie „Hunters“
Wie schon der Titel der Serie nahelegt, geht es um die „Jagd“; genauer die Jagd auf Nazis, denen nach 1945 die Flucht aus Deutschland nach Amerika gelungen ist, wo sie nun unter Tarnidentität leben und in einem geheimen Netzwerk von Gleichgesinnten daran arbeiten, die amerikanische Gesellschaft zu unterwandern. Die Handlung wird in die USA des Jahres 1977 gelegt und spielt mit der Konstruktion eines halb-fiktionalen Raumes. So werden immer wieder historische Fakten wie etwa die „Operation Paperclip“, die problematische Kontinuität von rechtsradikalem Gedankengut in (amerikanischen) Institutionen wie auch Diskriminierungsmechanismen von Frauen und Schwarzen in den 1970ern eingeflochten. Welche grundsätzlichen Problematiken aus diesem Framing folgen, erörtere ich später.
Exzessive Gewalt als zentrales Thema der Serie
Schon die Pilotfolge der ersten Staffel greift exzessive Gewalt als zentrales Thema der Serie auf. Nachdem die Tarnidentität von Biff Simpson (Nazi-alias: „Der Schlächter von Arlav“) beim einem lockeren Garten-Barbecue aufzufliegen droht, sieht er sich genötigt seine komplette Familie inklusive Nachbarn und Freunden zu ermorden. In der heilen amerikanischen Familienidylle der 1970er treiben nun die Leichen von Frauen und Kindern im Pool. Und dem:r Zuschauer:in wird sogleich die nächste Schreckensfigur vorgestellt: Gretel Fischer alias Hannah von Schtaub. Bräsig sitzt die alte Frau auf ihrem tiefgelegten Sessel, Beine hoch und Süßigkeiten verzehrend, kommentiert sie gehässig das TV-Programm. Sodann bietet sie dem als Klempner getarnten Mörder an, in ihre Süßigkeitenschüssel zu greifen: „Wir haben alle einen Leckerbissen verdient“. In der nächsten Szene sieht man wie eben jene korpulente nackte Frau mit Badekäppchen in einem vollständig schwarz-rot gefliesten Badezimmer in die Dusche tritt und vergast wird. Später stellt sich heraus, dass Hannah von Schtaub als Chemikerin für die Nazis gearbeitet hat.
Krasse Komplexitätsreduktion auf die Ambivalenz von Böse und Gut
Die sexuelle Konnotation von Gewaltkontexten erstreckt sich als Programmatik nicht nur auf die Gejagten. In der Vorstellung der Jagenden wird eine Protagonistin gänzlich in dieser Programmatik erschaffen: Schwester Harriet; Harriet, “die Herrscherin des Heims” oder “die Hausherrin”. Eine Nonne, in hautanliegender schwarz-weißer Ordenstracht, ihr blondiertes Haar guckt unter dem Velan hervor, in ihrem Dekolleté ein großes Kreuz, immer mit mindestens zwei Schusswaffen ausgestattet. Sie handelt auffallend roh und zieht die Verwirklichung ihrer persönlichen Rache vor, wo die anderen der Gruppe bereits zurückschrecken. Die Verbindung von Holocaust, Gewalt und Sexappeal tritt personalisiert mithin in zweifacher Funktion auf: zur Herausstellung des Boshaften der Gejagten und zur Coolness, Rechtfertigung bzw. Sympathisierung der Jagenden. Die Szenen werden begleitet von Rückblenden, die auf Grundlage der Vermischung historischer Sachverhalte und rezeptioneller Imagination Authentizität zu erzeugen suchen. So z.B. die „historische Rückblende“, die die Menschenexperimente des NS-Arztes Josef Mengele thematisiert. Grundsätzlich entstand doch der Eindruck einer krassen Komplexitätsreduktion auf die Ambivalenz von Böse und Gut. Eine Arendt’sche Analyse der „Banalität des Bösen“ darf man in diesem Aktionthriller nicht erwarten.
Neben den agierenden Personen, sind auch die Instrumente überschießender Gewalt prominent inszeniert: Schusswaffen, Messer, Gift, Knebelwerkzeug aber auch Feuer, Wasser, Überschall, Hungern werden zu Medien der Vergeltungsfolter und Befriedigung tiefer Rachephantasien. Gerade die Verbindung von Holocaust und Gewalt entgleist allzu oft zu einer Fetischisierung. Wie der Anführer der Jagd Meyer Offerman (alias Wilhelm Zuchs, verkörpert von Al Pacino) zu Beginn klarstellt: „That isn’t murder, that is mitzvah.“ – Pervertierung eines zentralen Gebots in der Tora.
Pervertierung eines zentralen Gebots in der Tora
Das Anliegen scheint in einer verspäteten „Täter-Opfer-Umkehr“ die Holocaustüberlebenden als aktiv handelnde Subjekte zu inszenieren. Ein auf menschlicher Ebene naheliegendes, vielleicht gar nachvollziehbares Bedürfnis. Welcher Rahmen schiene geeigneter als der fiktionale Film, um diese „Sehnsucht“ zu verarbeiten. Es darf nicht unterschlagen werden, dass unter den „Nazi-Jägern“ sehr wohl kontrovers um die Frage nach „ausgleichender Gerechtigkeit“ gerungen wird. Die kurzen Dialoge sowie Einblicke in die Psyche der Charaktere in Form von Träumen, inneren Monologen und Erinnerungsrückblenden wirken im schillernden Framing und der gewaltsamen Inszenierung der „Jagd“ jedoch fahl und unvernehmlich. Es scheint, als könne sich die Serie nicht entscheiden, was sie sein möchte: Actionthriller oder Drama, Auge-um-Auge oder individuelle Suche nach Heilung. Im Durcheinander von Familientragödie und Folter bleibt die Frage unbeantwortet, wie seriös sich die Serie eigentlich selbst nimmt. Der Generemix führt in der semi-historischen Kulisse auch dazu, dass sämtliche politischen Probleme der 1970er aufgegriffen werden (Segregation von Arm und Reich, Diskriminierung von Frauen und Schwarzen, Sozialkontexte religiöser Gemeinschaften usw.) und dabei die Grundproblematik des Fortwirkens des Holocaust in Menschen und Institutionen nicht ausreichend Platz einräumt. Die Konzentration auf den Facettenreichtum der Erscheinungsformen dieser Grundproblematik wäre vollkommen ausreichend, teil zur Entwicklung der Protagonisten notwendig gewesen. So bleiben hingegen auch die Lebenswirklichkeiten anderer marginalisierter, teils verfolgter Gruppen eindimensional.
Spiel mit Verschwörungserzählungen
Meines Erachtens krankt „Hunters“ bereits an einer der Serie zu Grunde gelegten Prämisse: Hitler und weiteren Gliedern der NS-Führungsriege sei nicht nur die Flucht nach Amerika gelungen, sondern sie versuchten zudem, die amerikanische Gesellschaft durch rechtsradikale Ideologie zu infiltrieren. Dies entspricht einer Reproduktion einer Reihe, besonders in rechten Kreisen wirkmächtiger Verschwörungserzählungen.
Fazit: Vernetzung statt Verletzung
Filmische Holocaust-Rezeption und mit ihnen verbundene Kontroversen drohen nicht außer Mode zu geraten; von „Kapò“, „The Night Porter“, die Serie „Holocaust“, „Schindlers Liste“ bis „Inglourious Basterds“ und „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Meines Erachtens ist die Thematisierung der Schoah im Rahmen kinematographischer Unterhaltung nicht wegzudenken; soll und muss sogar insbesondere im Hinblick auf die Erreichbarkeit jüngerer Generationen in ihr vorkommen. Allerdings befinden sich jüngere Konsument:innengruppen vielleicht noch in einem Lernprozess der Sensibilisierung; einem Erlernen des reflektierten Sprechens über die Schoah. Wenn die unreflektierte, gar politisch instrumentalisierte Unterhaltung am Holocaust in den Vordergrund der Inszenierung tritt, dann ist und darf dies nicht unkommentiert bleiben. Natürlich können solche Negativbeispiele, auf die eine oder andere Art, ebenfalls diskursive Auseinandersetzung anstoßen. Das Lernen am Negativum führt jedoch nur dann zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Ambivalenz von kontextgebundenem und überkontextuellem Un/Recht, Moral, (Massen-)Psychologie sowie Selbst- und Fremdbetroffenheit, wenn sie aus dem Modus der Skandalisierung gehoben wird.
Lernen abseits des Modus der Skandalisierung
In den vielen „Hunters“-Rezensionen im deutsch- und englischsprachigen Raum ergibt sich ein relativ eindeutiges Bild: die Serie trifft weitläufig auf Ablehnung. Auch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau zeigte sich in einer Twitter-Stellungnahme insbesondere von den Gewaltszenen und der Vorspann-Inszenierung als Schachbrett betroffen. Sie warnten, dass die Serie anstatt kritisch aufzuklären, Leugner auf den Plan rufen könnte. Doch gerade die Verbindung von Holocaust, Gewalt und Sexualisierung ist unterbeleuchtet geblieben. In dieser Verbindung liegt ebenfalls eine historische Kontinuität (etwa um die Berichterstattung über die Nürnberger Prozesse). Die in ihr schlummernde popkulturelle Attraktion bietet das Potential, die kinematographische Er- und Verarbeitung des Holocaust zur Reproduktion geschichtsklitternder Generalisierung zu missbrauchen. Denn hinter der Verbindung von Holocaust, Gewalt und Sexappeal versteckt sich vor allem ein Begriff: Macht. Um den Dekaden der Aufarbeitung dieses diffizilen Konstrukts gerecht zu werden und auch in der Zukunft die notwendige Fortsetzung der Aufarbeit zu leisten, muss Schoah im Film personalisierte Schicksale zeigen, ohne immanent der Reproduktion anderer Vorurteile Vorschub zu leisten.
Macht in der Verbindung von Holocaust, Gewalt und Sexappeal
Es scheint sich ein Grundproblem in der kinematographischen Verarbeitung und Gestaltung des Holocaust durchzuziehen: die vordergründige Orientierung an Popularität und Verkauf. Anstelle im Vorfeld auf Austausch und Vernetzung mit erinnerungskulturellen Einrichtungen und Betroffenen(-repräsentationen) zu setzten, wird an vermeidbaren Verletzungen verdient. Schließlich tragen selbst nachträglich ausgelöste Kontroversen und berechtigte Empörung zur Popularität der Serie – in diesem Fall – bei. An kompetenten Ansprechpartner:innen mangelt es nicht (z.B. AJC, Zentralrat der Juden, Bildungsstätte Anne Frank, Moses Mendelssohn Zentrum, AMCHA).
Wer sich näher mit kinematographischer Erinnerung an die Schoah auseinandersetzten möchte, sollte sich in die vielfältigen Empfehlungen auf den Webseiten jüdischer Initiativen informieren. Zwei interessante Projekte in diesem Zusammenhang sind z.B. die Jüdischen Filmtage 2024 oder das in Deutschland relativ junge interdisziplinäre Forschungsfeld zur jüdischen Filmgeschichte.
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Laura Brauer lebt und arbeitet seit nunmehr sechs Jahren in Berlin. Ihre Passion für verschiedenste Arten der Textproduktion spiegelt sich auch in ihren Fächern Geschichte und ev. Theologie wider, die sie an der Humboldt-Universität studiert.
Bild: Laura Brauer