In einer multireligiösen Gesellschaft will auch das Trauern neu gelernt sein. Wie geht das – gemeinsam einen Menschen zu Grabe tragen, rituell um ihn trauern, wenn die Trauergemeinschaft aus Angehörigen unterschiedlicher Religionen besteht? Katrin Visse und Larissa Gerg gehen dem nach.
Verstorbene würdig zu bestatten und Trauernde zu trösten, das gehört zum innersten Dienst einer Religion. Es ist ein Dienst am Verstorbenen und zugleich einer an den Trauernden. Die Trauergemeinde konstituiert sich durch die Verbundenheit mit dem oder der Verstorbenen und nicht durch einen gemeinsamen Glauben. Wenn nun mehr Religionen auf engerem Raum miteinander und in engerem Kontakt sind, gibt es Situationen, in denen neu zu bedenken ist, wie dieser Dienst ganz konkret gestaltet werden kann, beispielsweise bei einem christlich-muslimischem Ehepaar. Oder im Fall einer alleinstehenden Dame, die von muslimischen Freunden und Nachbarn versorgt wurde. Oder bei einem Vater, dessen Tochter konvertiert ist. Es geht also um die konkrete Trauer und Würde von Verstorbenen, die Angehörigen anderer Religionen in ihrem Leben sehr nahe gestanden haben.
Zwar wird grundsätzlich in der Religion, in welcher die Verstorbene „zu Hause“ ist, bestattet. Aber dabei werden auch die Beziehungen, die ein Mensch zu Lebzeiten hatte, geehrt. Und wenn in diesen Beziehungen ein anderer Glaube eine Rolle gespielt hat, dann ist es angemessen, diesem Glauben auch bei einer Beerdigung Raum zu geben. Dass dies nicht den Glauben der Verstorbenen verletzen darf und keine multireligiöse Alternative für Menschen, die keine tiefere Beheimatung in einer Religion haben, sein soll, versteht sich von selbst.
Vor allen Worten
Gesten und Taten sind für viele der auf einer Beerdigung anwesenden Trauernden oft die einzige und zugleich eine einfache Möglichkeit, sich irgendwie „tätig“ an der Liturgie zu beteiligen. Zumal bei vielen Trauerfeiern die Trauergemeinde gar nicht in der Lage ist, in einer bestimmten liturgischen Form tätig teilzunehmen (und zum Beispiel auf Wechselgebete entsprechend zu „antworten“). Außerdem erleben Menschen religiöse Feiern ja nicht nur über die gesprochenen Worte, sondern auch über die verschiedenen Sinne. Wie werden diese in der muslimischen Tradition angesprochen?
Tatkräftige Anteilnahme: Waschen, Sargtragen und Erdwurf
Für Muslime ist vor der Beerdigung die rituelle Waschung der Toten[1] geboten, die in der Regel von den engsten Angehörigen übernommen wird. Bestimmte Suren, die dabei zitiert werden, entlasten diese Angehörigen dabei, selbst die richtigen Worte und Gedanken zu finden. Diese – freilich nicht rituelle – Waschung und die Zärtlichkeit, die in diesem Dienst verborgen ist, wird in letzter Zeit auch immer mehr bei säkularen Bestattungen wiederentdeckt. Es spricht nichts dagegen, dass auch Christinnen und Christen diesen wiederentdecken oder muslimische Angehörige diesen Dienst erweisen lassen.
Auch den Sarg des oder der Verstorbenen zu Fuß zum Grab zu tragen, ist ein für Muslime ehrenvoller Dienst. Bei manchen Beerdigungen führt dies dazu, dass die Träger ständig wechseln, damit alle dazu Gelegenheit haben. Auf christlichen Beerdigungen in manchen Regionen wird dieses Tragen traditionellerweise von den Nachbarn des Verstorbenen erledigt. Anstatt, wie nun vielerorts üblich, bestellte Sargträger mit dieser Aufgabe zu betrauen, kann auch diese Tätigkeit wieder zurück in die Trauergemeinde gehen und von Menschen jeglichen Glaubens erfüllt werden.
Auf muslimischen Beerdigungen ist es zudem geboten, das Grab sofort ganz zuzuschaufeln. Vereinzelt berichten auch christliche Pfarrer davon, dass auch sie die Angehörigen noch während der Trauerfeier das Grab vollständig zuschaufeln lassen – einfach, weil sie verstanden hatten, dass dies für die Angehörigen ein wichtiger gemeinschaftlicher Dienst war, der sie den Tod der Verstorbenen besser begreifen ließ. Zudem ist dies eine der wenigen möglichen Gesten und Beteiligungen, die sich Menschen auch ohne Kenntnis eines fremden Ritus zutrauen. Dabei den „Schaufelnden“ (die die Geduld der anwesenden Trauergemeinde nicht überstrapazieren wollen) die entsprechende Zeit zuzugestehen, ist Aufgabe der Liturgen und dient auch der Andacht der nicht tätigen Trauernden, die in dieser Zeit zum Gebet oder stillen Gedenken eingeladen sind.[2] In der gemeinsamen Tätigkeit kann auch Fremdheit überwunden und eine Gemeinschaft im Trauern und Verabschieden entstehen.
Mehrdeutige Zeichen und Gesten
Manche zeichenhaften Elemente, die scheinbar universal sind, sind anfällig für Missverständnisse. So sind für viele Muslime beispielsweise Kerzen, und auch das liturgische „Schreiten“, christlich konnotiert. Gesang, selbst wenn der Text theologisch passend ist, wäre auf einer muslimischen Trauerfeier eher fehl am Platz. Blumen hingegen sind in der islamischen Tradition zwar unüblich, da sie dem Prinzip wiedersprechen, dass alle Toten gleich behandelt werden sollen. Aber als Ausweis interkultureller Verständigung werden sie vielerorts toleriert.
Noch auszuloten als Möglichkeit einer gemeinsamen tätigen Teilnahme ist der Einsatz von Weihrauch: Wäre es denkbar, eine Schale mit glimmenden Kohlen aufzustellen, auf die die Trauernden als Zeichen bzw. Sichtbarmachen ihres Betens Weihrauchkörner streuen?[3] Theologisch knüpft dies an die Tradition an, den Leib der Verstorbenen als „Tempel des Heiligen Geistes“ zu ehren und daran zu erinnern, dass unsere Gebete zu Gott aufsteigen – egal in welcher Form und Sprache sie verfasst sind.
Es gibt bereits gute Erfahrungen
Für christliche Beerdigungen, an denen auch Muslime tätig teilnehmen und umgekehrt, gibt es bereits eine Handreichung[4] und einen Erfahrungsbericht[5] der reformierten Pfarrerin Kathrin Rehmat – die aber zugleich betont, dass es kein einheitliches Ritual für solche Fälle geben kann, weil die Situationen der Trauernden und die der Verstorbenen so unterschiedlich sind. Vielmehr ist mit viel Feingefühl jeweils ein entsprechendes Vorgehen neu zu finden. Entsprechende Texte[6] sind genau zu prüfen – ob sie vorschnell vereinnahmen oder auch einander widersprechen. Ohnehin gelten die üblichen Empfehlungen für liturgische Sprache; beispielsweise, dass Verben besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Also: „Wir beten/sprechen ein Bittgebet“ statt „Wir machen Duʿa (=Bittgebet)“. Liturg:innen beider Religionen kennen die Not, die richtigen Worte zu finden und zu unterscheiden, welche davon Phrasen sind, welche wirklich tragen und welche von den Trauernden überhaupt verstanden werden können.
Viele Gebetsanliegen und Wünsche sind in beiden Religion üblich und können von Angehörigen beider Religionen mitgesprochen werden – so auch die Wünsche, dass der oder die Verstorbene in Frieden ruhen möge, und dass Engel ihn oder sie zum Paradiese geleiten mögen – und dass wir, nämlich alle Menschen, vom Herrn kommen und zu ihm zurückkehren.[7]
Nichts erspart es den Liturg:innen, konkret nachzufragen und ein Feingefühl dafür zu entwickeln, wie welche Elemente in der jeweils anderen Religion wahrgenommen werden – und dann auf die vorliegenden Bedürfnisse kreativ und einfühlsam zu reagieren. Möglicherweise entdecken sie dabei in der eigenen Religion etwas wieder, das sie dem Geheimnis des Beerdigungsdienstes näher bringt.
[1] Welche Gesten, Gebete und Riten für eine muslimische Beerdigung unabdingbar sind und wie Imame und Bestatter dies ganz konkret umsetzen, wird beispielsweise hier dargestellt und erläutert: https://www.youtube.com/watch?v=Yz0SU1a5rMg&t=1s und auch hier: https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/7392/file/kwiah23.pdf und ebenso hier: http://ditib-bonn.de/DITIB_sterbebegleitung.pdf
[2] https://freitagsworte.de/
[3] Vgl. Jürgen Bärsch: In Zeichen den Tod und die Auferstehung verkünden – Zur Bedeutung der Gestalt der Zeichensprache in der Totenliturgie, in: Ders. und Beate Kowalski (Hrsg): Trauernde Trösten, Tote beerdigen. Biblische, pastorale und liturgische Hilfen im Umkreis von Sterben und Tod; Stuttgart 1997, S. 97.
[4]https://www.refbejuso.ch/fileadmin/user_upload/Downloads/OeME_Migration/Migration-Integration/OM_Christlich-muslimische_Trauerfa__lle.pdf
[5] https://www.youtube.com/watch?v=LrbCrDK4EF4&t=3s
[6] Als mögliche zu rezitierende Suren werden genannt 3:185; 1, 1ff (Fatiha); 10:9f.; 10:56; 10:62ff; 11:123; 36:79 und für während des Erdwurfs ggf. 20:55. Auf eine gute und ästhetisch ansprechende Übersetzung achten!
[7] Ganz konkret wird der Sterbesegen („Dein Leben ist einmalig und kostbar / Es sei gesegnet im Angesicht Gottes / Alles, was dir in den Sinn gekommen ist …“) meiner eigenen Erfahrung nach, freilich ohne trinitarische Formel, auch von Muslimen sehr geschätzt.
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Dr. Katrin Visse ist katholische Theologin und Islamwissenschaftlerin. Larissa Gerg ist evangelische Theologin und beendet gerade ihren Master of Religion and Culture. Beide arbeiten an der Katholischen Akademie in Berlin.
Bild: Jörg Sabel – pixelio.de