Die Synode der Orthodoxen Kirche auf Kreta hat schon vor deren Beginn viele Fragen aufgeworfen. Welche Bedeutung der Prozess und die Ergebnisse der Synode für die Orthodoxen Kirchen und die Ökumene mit den anderen christlichen Kirchen haben könnte, erörtert Ioan Moga.
„Key facts“: ein lang erwartetes Konzil und seine Dokumente
Zwischen dem 19. und 26. Juni, in der Pfingstwoche, tagte auf Kreta die „Heilige und Große Synode“ der Orthodoxen Kirche. Daran nahmen Delegationen von zehn der insgesamt 14 autokephalen orthodoxen Kirchen teil. Sie verabschiedeten sechs Dokumente, die auf bereits früher im vorkonziliaren Prozess redigierten Konzilsvorlagen beruhten, eine Enzyklika und eine Botschaft. Die Dokumente befassen sich mit folgenden Themen: Fasten, orthodoxe Diaspora, Ehesakrament und Ehehindernisse, Autonomie einer Lokalkirche, „Mission der Kirche in der jetzigen Welt“ und nicht zuletzt „Die Beziehung der Orthodoxen Kirche zum Rest der christlichen Welt“ (www.orthodoxcouncil.org).
Der Verlust des panorthodoxen Charakters und seine Hintergründe
Von einem „panorthodoxen Schock“ und einem „verstummelten Konzil“ sprachen orthodoxe Theologen (so Elias Kattan) im Zusammenhang mit der innerorthodoxen Krise, die einige Wochen vor dem programmierten Beginn des Konzils explosionsartig ausgebrochen ist. Vier Lokalkirchen verkündeten eine nach der anderen, dass sie an der Versammlung nicht teilnehmen werden. Eine fünfte (die Serbisch-Orthodoxe Kirche) schwankte bis zum letzten Moment, kam letztendlich zum Konzil. Die Tatsache, dass unter den nicht-teilnehmenden Kirchen auch das einflussreiche Moskauer Patriarchat die Flugtickets nach Kreta stornierte, glich einem Erdbeben. Bösen Zungen sahen darin einen vorprogrammierten Boykott seitens der russisch-orthodoxen Kirche, die sich der lokalen Probleme der Kirche von Antiochien und des konservativ motivierten Zögerns der Kirchen von Georgien und Bulgarien bediente, um das Lebenswerk des Patriarchen Bartholomaios von Konstantinopel zu torpedieren.
Vorbehalte
Man wird als Außenstehender die Kulissen der Kirchenpolitik kaum zu durchschauen vermögen. Man kann nur im Text der Pressekommuniques nach einer Begründung suchen. Zwei Elemente ragen heraus aus den Erklärungen der vier Kirchen, weshalb sie an der Synode nicht teilnehmen: eine methodologische Aporie und ein inhaltlicher Vorbehalt.
Erstens forderten die Kirchen von Bulgarien und Antiochien die Vertagung der Synode, weil inzwischen aufgekommene Korrekturvorschläge an den offiziellen Dokumententwürfen nicht berücksichtigt worden waren. Diese Kirchen erwarteten, dass der präsynodale Prozess verlängert wird, bis alle offenen Fragen geklärt wären. Demgegenüber präzisierte das Ökumenische Patriarchat, dass Änderungsvorschläge während der Synode selbst diskutiert werden. Alles in allem also ein verhängnisvolles Kommunikationsproblem, oder die Zuspitzung einer kirchenpolitischen Spannung zwischen Moskau und Konstantinopel? Oder doch die Subsummierung mehrerer unglücklicher Faktoren, die am Ende als trauriges Spiel der Eitelkeiten erschien?
Zweitens: Der eigentliche Knackpunkt, warum in der Zeit von Januar bis Mai 2016 einige Kirchen zurückgerudert sind, lag darin, dass ihnen einige Dokumentvorlagen plötzlich zu lax erschienen. Sprich: zu „ökumenisch“. Es ging um die Frage, inwiefern orthodoxe und heterodoxe ChristInnen kirchlich heiraten dürfen (was von der Kirche Georgiens abgelehnt wurde) und um die Denomination der anderen christlichen Konfessionen, wobei die Textvorlage die Benützung des Wortes „Kirchen“ vorsah. Dies wurde von den Kirchen von Bulgarien und Georgien strikt abgelehnt.
Dieser antiökumenische Vorbehalt wurde mit Stringenz formuliert und zeigt, dass die stärkere Gewichtung der orthodoxen Ekklesiologie gegenüber der Ökumene zu einer Art Barometer der Ausrichtung in der Moderne geworden ist. Die ultrakonservativen Strömungen sind in einigen Orthodoxen Kirchen so stark geworden, dass man hier nicht mehr nur von einem Randphänomen sprechen kann. Es wäre aber viel zu einfach, die ferngebliebenen Kirchen als „konservativ“ oder „antiökumenisch“ zu brandmarken und die an der Synode teilnehmenden Kirchen als „moderat“ oder „ökumenisch“ zu bezeichnen. Die Orthodoxe Kirche vertritt zwar insgesamt eine traditionelle Linie, d.h. sie betont die Einheit mit der Alten Kirche und die Kontinuität mit der Glaubenstradition des ersten Jahrtausends. Die Mehrheit der Bischöfe ist sich aber in allen Orthodoxen Lokalkirchen bewusst, dass es keine Alternative gibt zum Dialog. Der Brief des Patriarchen Kyrill an die versammelten Bischöfe in Kreta vom 17. Juni 2016 ist dafür ein gutes Beispiel: Die Meinungsverschiedenheiten zur Abhaltung des Konzils zerstören nicht die Einheit der orthodoxen Familie, so Patriarch Kyrill. Sprich: die kirchenpolitischen Divergenzen dürfen nicht als prinzipieller Ausrichtungsstreit der Orthodoxen Kirche ausgetragen werden. Auch in einer späteren Stellungnahme (17. Juli) bemühte sich Moskau um Schadensbegrenzung: Man wolle die Entscheidungen der Synode prüfen.
Die Präsenz der Abwesenden: die „Kirchen“, die doch keine Kirche sind
Diese Sorge um die orthodoxe Einheit war auch bei den teilnehmenden Delegationen sehr präsent, wie die verabschiedeten Dokumente zeigen. Zwar waren die vier erwähnten Kirchen nicht auf der Synode anwesend, doch ihre inhaltlichen Einwände waren präsent und wirkungsvoll. Man rang in den strittigen Formulierungen um eine Konsenslösung, die auch von den nicht-teilnehmenden Kirchen akzeptiert werden könnte.
Der strittige Passus im Dokument über die Beziehung zur christlichen Welt wurde so angepasst, dass jede theologische Stringenz dem Wort „Kirche“ im Zusammenhang mit den anderen christlichen Konfessionen abgenommen wurde. Die Orthodoxe Kirche akzeptiert die historische Tatsache, dass die anderen christlichen Konfessionen sich „Kirche“ nennen; d.h. sie akzeptiert ihre Selbstdenomination als eine soziologische Tatsache. Damit wurde die Chance verpasst, eine theologische Klärung dieser schwierigen Frage zu wagen. Wenn sie nicht Kirchen sind, was sind sie aus orthodoxer Sicht? Welche Konsequenzen folgen daraus für die Gültigkeit der Sakramente zumindest in den Kirchen mit apostolischer Sukzession? Zwischen einer starken dogmatischen Selbstbestimmung – „die Orthodoxe Kirche als die eine, wahre, heilige und apostolische Kirche“[1] – und dem im selben Dokument betonten Engagement für ökumenische Zusammenarbeit und Dialog, im Sinne der „Wiederherstellung der christlichen Einheit“[2], bleibt eine gewisse theologische Erklärungsnot bestehen. Indem es sehr allgemein formuliert und damit ein salomonisches Gleichgewicht sucht, erreicht das Dokument nicht die von vielen TheologInnen erwartete Differenziertheit.
Willen zum Dialog mit den anderen Kirchen
Das Dokument betont jedoch, gerade angesichts der starken innerorthodoxen Widerstände, den Willen, den theologischen Dialog und die praktische Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen fortzusetzen, wobei mit Ökumene das Zeugnis des altkirchlichen Glaubens vor den anderen ChristInnen verstanden wird[3]. Die Bedeutung des Dokuments liegt aber auch in seinen Konsequenzen für die innerorthodoxe Zusammenarbeit im ökumenischen Prozess (§ 10-15): das Fernbleiben einer oder mehrerer autokephaler Kirchen von einem bilateralen Dialog kann das Weiterführen jener Dialoge nicht verhindern oder in Frage stellen. Darin wird die Koordinierungsrolle des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel betont. – Diese prozeduralen Klarstellungen dürften in Zukunft in den bilateralen Dialogen für mehr Effizienz sorgen.
Ein anderes Dokument, das mit gewisser Spannung erwartet wurde, war der Text über die Mission der Kirche in der Welt. Auch hier müsste man – trotz gewisser Unschärfen und der inhaltlichen Kürze – die Bemühung würdigen, eine Standortbestimmung in der säkularen, modernden Welt zu formulieren. Zu bemerken sind die starke theologische Einbettung der sozialethischen Prinzipien, die Betonung der Person, der Freiheit und der Verantwortlichkeit. Es wäre unangemessen, dieses Dokument mit ähnlichen Dokumenten in der Römisch-Katholischen Kirche (Gaudium et Spes) zu vergleichen, dafür ist es – wie alle Dokumente der Synode auf Kreta – vom Umfang her (und dadurch auch von der Intention her) nur eine richtungsgebende Präambel zu einer weiteren Reflexion.
Die Synode von Kreta: erste Sitzung eines länger dauernden panorthodoxen Konzils?
Nur wenn dieser synodale Reflexionsprozess in absehbarer Zeit fortgesetzt wird, können die Dokumente von Kreta an Relevanz gewinnen. Sie wären dann der Anfang eines synodalen Prozesses, der regelmäßig stattzufinden hat. Diese Einsicht geht auf einen Vorschlag des rumänisch-orthodoxen Patriarchen Daniel beim Treffen in Chambésy bereits Anfang 2016 zurück und wurde auf Kreta wiederholt. Damit könnte ein Ausgang aus der jetzigen Sackgasse gefunden werden, zumal die abwesenden Kirchen nicht bereit scheinen, das Konzil als „panorthodox“ anzuerkennen. Die ersten Stellungnahmen sind ernüchternd und weisen eher auf eine Blockade hin.
nach der Synode ist vor der Synode
Wäre aber die Synode von Kreta der Anfang eines synodalen Weges der Orthodoxen Kirche im 21. Jahrhundert, könnten ihre Entscheidungen als Teil eines größeren Konzilsprozesses die Rolle des Eisbrechers haben. Wenn aber diese Synode und ihre Dokumente als triumphaler Gipfelpunkt einer langen Vorbereitungszeit verherrlicht und die damit verbundene Krise des innerorthodoxen Dialogs nur als Begleiterscheinung degradiert wird, dann droht die Synode in Vergessenheit zu geraten. Damit es nicht soweit kommt, müssten sich die abwesenden Kirchen redlich bemühen, sich mit den Ergebnissen differenziert auseinanderzusetzen. Zugleich sollten alle orthodoxen Kirchen versuchen, den synodalen Prozess weiterzugehen. Das Motto könnte nur lauten: nach der Synode ist vor der Synode.
Die Enzyklika der Synode: der eigentliche Kern der Synode
Wenn man über all diese Spannungen hinwegsieht und sich die Arbeit der Synode anschaut, dann muss man trocken feststellen: Die Synode von Kreta war viel zu kurz, damit ein schöpferischer, synodaler Dialogprozess möglich sein kann. Manches Unvollendete und Unscharfe in der Formulierung war dadurch vorprogrammiert. Auch die Nicht-Einladung aller orthodoxen amtierenden Bischöfe, aber auch das Nicht-Einbeziehen von geistlichen Autoritäten (die im Kirchenvolk eine wichtige pastorale aber auch meinungsbildende Funktion haben), TheologInnen und Laien sorgten zu Recht für Missverständnis. Diese Elemente wären nicht nur für einen fruchtbaren synodalen Dialogprozess, sondern auch für die spätere Rezeption von großer Bedeutung gewesen. Die Konzilsvorlagen waren zum Teil in ihrer Struktur ein Tribut an einen alten, jahrzehntelangen und sicherlich redlichen vorkonziliaren Prozess. Sie waren aber deshalb mehr darauf bedacht, Schon-Erreichtes abzusegnen, als Strittiges zu lösen.
Doch alle diese kritischen Bemerkungen würden am Ende keine zentrale Rolle mehr spielen, wenn man die Synode als Beginn einer Entwicklung in der Orthodoxen Kirche ansieht. Als Gewähr für eine positive Rezeption des Konzils steht vor allem die Enzyklika, die sowohl stilistisch, als auch inhaltlich herausragt. Sie liest sich einerseits als ein Resümee der Konzilsentscheidungen, schafft es aber andererseits, eine Sprache zu finden, die verständlich, vermittelbar und zugleich theologisch gut formuliert ist. Die sieben Themen der Enzyklika (1. Kirche – Leib Christi und Ikone der Hl. Trinität, 2. Die Mission der Kirche in der Welt; 3. Die Familie: die Ikone der Liebe Christi zur Kirche; 4. Erziehung in Christus, 5. Die Kirche vor der aktuellen Herausforderungen, 6. Die Kirche vor der Globalisierung, der extremen Gewalt und der Migration; 7. Die Kirche – Zeugnis durch Dialog) lesen sich wie die echte Agenda des Konzils.
Sie wäre ausserdem – neben der Botschaft des Konzils – der Text, den auch theologisch nicht eingeweihte Laien (das Kirchenvolk) in seiner pastoralen Relevanz rezipieren könnten. Die Enzyklika ist somit der Beweis, dass die Synode in Kreta (panorthodox oder nicht) den richtigen Ton gefunden hat. Sie macht Mut, nach vorne zu schauen.
Ioan Moga arbeitet am Institut für Historische Theologie, Fachbereich Theologie und Geschichte des christlichen Ostens, an der Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien.
Bild: Orthodox Academy of Crete, Tagungsort der Synode
[1] Vgl. Heilige und Große Synode, Relations of the Orthodox Church with the Rest of the Christian World, §1.
[2] Ebd. § 24.
[3] Ebd. § 9 und 24.