Am 2. Dezember 2019 ist Johann Baptist Metz im Alter von 91 Jahren in Münster gestorben. Mit ihm verliert die deutschsprachige Theologie einen Giganten. Als Begründer der Neuen Politischen Theologie hat er das Nachdenken über Gott mit dem Engagement für Gerechtigkeit und Solidarität verbunden. Mit ihm hat sich das Jahr 1968 in den deutschen Katholizismus, die europäische Theologie sowie in die Weltkirche eingeschrieben. Ein Nachruf von Edmund Arens.
Der bekennende Oberpfälzer Johann Baptist Metz kam am 5. August 1928 in Welluck (heute Auerbach) in Bayern zur Welt. Ab 1948 studierte er zunächst in Bamberg, dann in Innsbruck und München katholische Theologie und Philosophie. In Innsbruck promovierte er 1952 mit einer philosophischen Arbeit über Heidegger. 1961 folgte ebendort seine theologische Promotion über Thomas von Aquin mit dem wegweisenden Titel „Christliche Anthropozentrik“.
1954 wurde Metz zum Priester geweiht. Von 1963 bis 1993 lehrte er als Professor für Fundamentaltheologe an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Von hier aus entfaltete er eine weltweite Vortrags- und Publikationstätigkeit. Viele seiner Buchtitel wurden zu geflügelten Worten wie „Theologie der Welt“, „Zeit der Orden?“, „Jenseits bürgerlicher Religion“ oder „Memoria Passionis“. Mit seinen messerscharfen, politisch kristallklaren, theologisch produktiven und spirituell dichten Texten hat der Politische Theologe Maßstäbe gesetzt für eine zeitsensible, politisch hellsichtige, kritisch eingreifende und kirchlich akzentuierte Gottesrede.
In Metzʼ bahnbrechendem Werk „Zur Theologie der Welt“ trat 1968 die Neue Politische Theologie auf die theologische Bühne. Ihr Anliegen war, die neuzeitliche Freiheitsgeschichte zu rezipieren, kritisch aufzunehmen und das kritisch-politische Potenzial des biblischen Verheißungsglaubens zur Geltung zu bringen. Für diese eschatologisch gepolte Theologie wurde das Verhältnis von Glaubensverständnis und gesellschaftlichem Handeln zum Grundproblem. Der Neuen Politischen Theologie geht es darum, die Privatisierung des Glaubens aufzubrechen und folglich Glaubenspraxis und Theologie zu Agentinnen gesellschaftlicher Veränderung und Hoffnung werden zu lassen.
In den siebziger Jahren spielte Metz eine wichtige Rolle bei der Würzburger Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Vornehmlich aus seiner Feder stammt der theologische Basis- und Bekenntnistext der Synode, „Unsere Hoffnung“. Diese Perle Politischer Theologie wurde 1975 zum Abschluss der Synode mit überwältigender Mehrheit angenommen. Darin werden die zentralen Glaubensinhalte weder liberal modernisiert, noch restaurativ konserviert, sondern „richtig adressiert“.
Die Konfrontation zwischen biblisch-christlichem Glauben und heutiger Lebenswelt führte zu ebenso zeitbezogenen wie widerständigen Erhellungen von Schöpfung und Umweltzerstörung, Sünde und Unschuldswahn, Gottes Gericht und ungerechte Verteilung der Güter. Dass „Unsere Hoffnung“ nach wie vor unerhört bleibt, zeigt sich auch darin, dass viele seiner Bekenntnisaussagen eins zu eins in Lehrschreiben von Papst Franziskus passen. Das gilt ganz besonders für den Schlüsselsatz: „Das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen!“
Metzʼ Politische Theologie war eine elementar negative Theologie. Ihre Negativität hat praktisch-ethischen Charakter. Sie impliziert die Weigerung, sich mit dem Leiden zu versöhnen. Das Beharren auf der Negativität steht in Solidarität zum jüdischen Bilderverbot. Es besteht darauf, dass die Leiden der Opfer der Geschichte unabgegolten sind und die Qualen der Vergessenen und Vernichteten nicht ad acta gelegt werden dürfen. Der Stachel der Negativität verbietet es, sich mit den gegebenen ungerechten Verhältnissen abzufinden, verhindert die Versöhnung mit dem Falschen und hält die schmerzende Wunde offen.
Ein Abgrund der Negativität tat sich für Metz mit Auschwitz auf. In der Katastrophe von Auschwitz erkennt er nicht nur ein monströses Verbrechen des Nationalsozialismus, sondern auch das Versagen des Christentums. „Nach Auschwitz“ darf christliche Theologie nicht länger mit dem Rücken zu Auschwitz geschehen. Von daher verlangt Metz, „keine Theologie mehr zu treiben, die so angelegt ist, dass sie von Auschwitz unberührt bleibt“.
Metz treibt die Negativität bis hin zu einem Leiden an Gott, der Gottespassion und dem Gottvermissen. Damit bringt die Politische Theologie in radikaler Weise den eschatologischen Vorbehalt gegen jedes Positive zur Geltung. Das „Bewusstsein von dem, was fehlt“ (Jürgen Habermas) ist der Politischen Theologie ebenso schmerzlich wie fundamental eingeschrieben. Es führt dazu, die prophetische Klage und Anklage gegenüber dem passiven Geschehenlassen zu profilieren und vor Gott und den Menschen Recht, Leben und Zukunft für die Verlorenen einzuklagen.
Kirche kam bei Metz vornehmlich als Gemeinschaft zur Sprache: als Erinnerungs-, Erzähl- und Hoffnungsgemeinschaft. Diese befindet sich ihm zufolge im epochalen Übergang von einer kulturell monozentrischen Kirche Europas zur weltweit verwurzelten, kulturell und pastoral polyzentrischen Weltkirche. Die Politische Theologie verbindet Gemeinschaft freilich nicht mit der Vorstellung einer gegenkulturellen communio, sondern sie plädiert für eine aus der Mystik des Widerstandes und der Unterbrechung gespeiste ecclesia. Letztere hat ihre ambivalente Ursprungsgeschichte, ihre manifeste Schuldgeschichte und ihre unterbrechende Aufbruchsgeschichte zu erinnern, zu vergegenwärtigen und weiterzuführen.
Ein subjektorientiertes Kirchenverständnis des Volkes Gottes machte sich bei Metz für die überfällige Subjektwerdung in der Kirche stark. Jenes setzt sich für die Anerkennung der Anderen in ihrem Anderssein ein. Es findet sich in den Befreiungskämpfen und Erfahrungen derer, denen das Subjektsein vorenthalten wird. Institutionell entspricht eine solche Kirche dem Abschied von der Westkirche hin zu einer Weltkirche, in der die Aufgaben, Lasten und Hoffnungen gerecht und solidarisch geteilt werden.
Bei Metz wurde die compassion zum „Reformprogramm der Kirche ex memoria passionis“. Sie wird gegen die kirchliche Selbstprivatisierung gerade in pluralistischer Öffentlichkeit reklamiert. Die Kirche der compassion erkennt die Autorität der Leidenden an; sie bewahrt sich einen Vorrat an überlebenswichtigen Einsichten, die sie sowohl zur Gesellschaftskritik als auch zur öffentlichen Selbstkritik motivieren und mobilisieren.
Der „Gott der Lebenden und der Toten, der alle ins Subjektsein vor seinem Angesicht ruft“, schenke dem im beinahe biblischen Alter von 91 gestorbenen Johann Baptist Metz die Fülle des Lebens.
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Edmund Arens ist emeritierter Professor für Fundamentaltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Er hat bei Johann Baptist Metz studiert, promoviert und sich bei ihm habilitiert.
Photo: Von Lambiotte – Stadtmuseum Münster, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75204611