Erfahrungen aus Wien und Eichstätt zur „Langen Nacht der Kirchen“ von Alexius J. Bucher, Philosoph und Priester – inklusive zweier Erinnerungen an Jorge Bergoglio und Karl Lehmann.
Die Nacht liegt im Trend. Nacht der Kultur, Nacht der Wissenschaft, Nacht der Museen. Warum nicht auch Nacht der Kirchen? Sakralisiert sich marktorientiert ein säkularer Event? Gab es nicht auch schon eine „Nacht der Schöpfung“, eine „Osternacht“, eine „Weih-Nacht“?
Kein Kreuzweg durch eine gottlose Weltstadt, sondern ein Kirchenjumping.
In Wien wurde ich mit Hochglanzpapier und attraktiven Veranstaltungen zu einer Nachtwanderung angeregt: kein Kreuzweg durch eine gottlose Weltstadt, sondern ein Kirchenjumping von romanischen, gotischen, barocken bis modernsten religiösen Kultstätten. Palestrina im Dom; Dichterlesungen in Maria am Gestade, orthodoxe Wohlklänge, Gregorianik in Ordenskutten.
Endlich mal Schubert ohne frommes Gerede und Aufsteh-Hinknie-Zwang.
Das kulturelle Niveau einer erzbischöflichen Weltstadt beeindruckte, Bilokation wäre dem Besucher willkommen gewesen. Der Stolz der Gemeinden auf ihre liturgischen, spirituellen präsentierten Kronjuwelen war berechtigt. Die örtliche Kultzeitung „Falter“, keineswegs Stammlektüre frommer Kirchenbesucher, informierte breite interessierte Kreise. „Endlich mal Schubert ohne frommes Gerede und Aufsteh-Hinknie-Zwang“ raunte einer, mühsam in schiefer Kirchenbank eingezwängt. Sein Begleiter: „Ich lasse mich gerne an stimmungsvolle Mystik meiner Kindheit erinnern; damals als braver Ministrant.“ Warum nicht. Was die Orchestermitglieder vorne im Chor von ihrem Auftritt hielten? Jedenfalls lagerte mancher seinen Geigenkasten auf dem Altar ab. Tisch ist Tisch.
In meiner Provinzdiözese Eichstätt lockten die Großstadtvorbilder zur Nachahmung. Mit freundlicher Unterstützung ortsüblicher Sponsoren wurde ein Programm erstellt, von Angestellten des Ordinariats penibel organisiert, so liebevoll wie plagiatorisch. Auch die Gema schaltete sich ein.
Ordensbrüder konkurrieren erfolgreich gegen Schwestern der Biermösel-Brüder.
Im Dom wurde georgelt, in der Schutzengelkirche gesungen, in der Kreuzkapelle gebetet, in „Heilig Geist“ vorgetragen, im Priesterseminar herumgeführt, die Auerbacher Schulschwestern beteten Rosenkranz nach Rosenkranz, auch Beichthören und Trommeln mit Gesang wurden geboten. Attraktiver als das, was üblicher Weise sonntags früh angeboten wurde? Unter den Besuchern und Besucherinnen auch mancher, der sichtbar fremdelte. Ein verwischtes Kreuzzeichen, eine überrasche Feststellung: „Ach ja! Weihwasserbecken!“ Tags darauf zur Freude der Eichstätter Zeitung: „Der Saal der kirchenkritischen Gegenveranstaltung im Stadttheater“ sei halb leer gewesen. Ordensbrüder konkurrieren erfolgreich gegen Schwestern der Biermösel-Brüder.
Wie müsste das Angebot einer Nacht der „offenen Kirche“ gestaltet werden?
Mich überraschte der Titel: „Nacht der offenen Kirchen in Eichstätt“. Der Begriff ‚Kirche‘ im Plural. In der kleinsten Bischofstadt Deutschlands gibt es viele Kirchen, jedoch dem Glaubensverständnis der Eichstätter Hierarchie gemäß nur eine Kirche! Könnte es auch eine Nacht der „offenen Kirche“ geben? In Eichstätt? Wie müsste das Angebot einer Nacht der „offenen Kirche“ gestaltet werden? Ansätze konnten entdeckt werden. Gedanken von Khalil Gibran, Texte von Migrantinnen wurden vorgetragen; nicht in Pfarrkirchen, sondern in Kapellen! Konnte sich ein Pastoralassistent der pfarramtlichen Oberaufsicht vagabundierend entziehen?
Mein Wirkungsort ist eine Friedhofskapelle, seit 35 Jahren. Für manche Besucher und Besucherinnen ist er Fluchtgemeinde, Flucht aus oft enttäuschenden Sonntagsangeboten in der Domstadt.
Vor einigen Jahren wehrte ich mich noch gegen diese „Nacht der Kirchen“. Ich war nicht überzeugt, dass moderne Schwellenangst vor Kirchen so und über Nacht kuriert werden könnte. Verdoppelungsangebote als ‚niederschwellige‘ pastorale Konzepte zu etikettieren unterschätzt die Zielgruppe. Wenn eine „Nacht der offenen Kirche“ sinnvoll sein soll, dann nur, wenn sie nicht als eine Herausforderung an eine kircheneigene „Wach- und Schließgesellschaft“ missverstanden wird. Wie präsentiert sich Kirche als ‚offene Kirche‘?
Weltumspannend offen, aber auch mit offenen Armen nah
Die Gottesdienstbesucher und -besucherinnen der „Montagsgemeinde in der Friedhofskapelle“ wollten das wissen und entwickelten ein Konzept. Die unterschiedlichen Lebensalter wollten offen und ehrlich von ihren Freuden und Ängsten, Hoffnungen und Enttäuschungen erzählen. Vom Erstkommunionkind bis zur Greisin kam jede Generation zu Wort: Eine Mutter: „Freude an der globalen Weltkirche, an Maria Maggiore in Rom, aber auch Freude an einer geschwisterlichen Gemeinschaft um den Altartisch in Eichstätts ‚Maria Schnee‘. Weltumspannend offen aber auch mit offenen Armen nah.“
Ein Kind: „Die um den Altar Stehenden zu kennen und fragen zu können finde ich toll“. Ein evangelischer Pastor: „Eine Tischgemeinschaft mit allen vom Herrn Geladenen zelebriert offene Kirche“! Ein kostbarer Schatz Lebens- und Kirchenerfahrung teilte sich mit. Später lasen Migranten selbstverfasste Texte. Glaubenszeugnisse in berührender Offenheit wurden mitgeteilt.
In einer zweiten Stunde habe ich eingeladen zum offenen Gespräch: „Was Sie schon immer (in) der Kirche sagen wollten! – wir hören“. Zugegeben: Vor der Veranstaltung war diese ‚Provokation‘ Thema auf dem Wochenmarkt. Beim Termin nachts nur sehr brave Anfragen. Ich war nicht enttäuscht, eher belehrt, wie wenig ich die Demarkationslinien selbst unserer ‚interessierten Laien‘ in den Sperrgebieten des Glaubens kenne. „Wo hört im Evangelium die Wahrheit auf und beginnen fromme Märchen?“ „Wie viel Wahrheit erzählt eine Legende?“ „Mehr Botschaft, was dann zu tun ist überlasst uns!“
Karl Lehmann: „Sein Leben lang trat er für eine offene Kirche in einer offenen Gesellschaft“ ein.
Vor vielen Jahren durfte ich einmal länger in Buenos Aires mit dem jetzigen Papst sprechen. Seine Offenheit gegenüber einer damals noch sehr verpönten „Theologie der Befreiung“ hat mich beeindruckt. Bei seinem Besuch in Eichstätt vor einigen Jahren fand er damit keine sehr offenen Türen an der Katholischen Universität. Während meiner Vorbereitung zur „Nacht der offenen Kirchen“ schrieb ich einen Brief an den sterbenskranken Freund Kardinal Lehmann. Vor einer möglichen Antwort ereilte ihn der Tod. Gregor Maria Hoff schrieb in einer Würdigung in der „Furche“ über Karl Lehmann: „Sein Leben lang trat er für eine offene Kirche in einer offenen Gesellschaft“ ein. Ein Wunsch 5 vor 12 Uhr in der „Nacht der offenen Kirchen“: eine offene Kirche Tag und Nacht. Die Kapelle des Ortsbischofs blieb übrigens verschlossen in der „Nacht der offenen Kirchen“.
Alexius J. Bucher ist emeritierter Professor für Philosophie an der Katholischen Universität Eichstätt, lebt ebendort und in Wien und wirkt als Priester seelsorglich in Kirchhofkapelle, Schwesternheim und Gefängnis.
(Beitragsbild: Ausschnitt des Covers der Programmhefte der Langen Nacht der Kirchen 2018)