Am 1. Juli wurde Esther Strauß´ Skulptur „crowning“, sie zeigt eine gebärende Maria, im Linzer Mariendom der Kopf abgeschlagen. Judith Klaiber erinnert an eine in der männlich geprägten Theologie meist übergangene anthropologische Tatsache: Alle Menschen sind unter Schmerzen von Frauen geboren.
Der Vandalismusakt – oder theologisch präziser: der Häresieakt[1] – Anfang Juli im Linzer Dom wurde in den vergangenen Tagen zum Kristallisationspunkt einer aufwühlenden und polarisierenden Diskussion: Neben (Kunst-)Kritikern, die die Skulptur der Künstlerin Esther Strauß stilistisch nicht schön finden und schon gar nicht in einer Kirche ausgestellt sehen wollen, finden sich Personen, die die Tat fundamentalistisch glorifizieren und dadurch die Integrität Mariens wiederhergestellt sehen. Mein Beitrag fügt sich in jene Stimmen ein, die sich affirmativ mit der ungewohnten Darstellung der Maria auseinandersetzen und betonen, wie sehr sie die Theologie anregt, darüber nachzudenken, was Inkarnation eigentlich bedeutet.
Ein Akt der Häresie (Maria Kathariana Moser)
Die Skulptur „crowning“ zeigt die Gottesgebärerin im Akt einer vaginalen Geburt: Die Vulva Mariens legt sich „wie ein Heiligenschein“[2] um den gerade geborenen Kindskopf. In diesem Moment befindet sich das Kind zwischen zwei Welten, noch versorgt durch die Nabelschnur mit der Plazenta, muss es eine letzte Drehung vollziehen, um den ganzen Körper in die Welt zu bringen. Ein faszinierend-mystischer Augenblick, eine „Unterscheidung durch Ununterschiedenheit“ (Meister Eckhart) als „eine sich ständig rückkoppelnde Bewegung: bei sich selber sein und sich doch aus der Beziehung verstehen.“[3] Dieser Augenblick, der – vermutlich erstmalig[4] – kunstvoll in bildende Gestalt gebracht wurde, führt an eine Grenze des Erlebens: den Übergang von der Gebärmutter zum In-der-Welt-Sein, einer Schwangeren zum Mutter-Sein.
Die Zerstörung der Skulptur in Linz, ihre „Köpfung“, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine im theologischen Kontext vergessene anthropologische Schlüsselkategorie, die es wieder aus dem Diskursarchiv zu holen gilt. „Trotz der Reflexion auf das Menschsein Jesu wird die Bedingung der Möglichkeit Mensch sein zu können, nämlich das Auf-die-Welt-Kommen, das Geboren-Werden, (theologisch) ausgeblendet.”[5] Hingegen wird der Prozess zur Geburt, die Schwangerschaft, im theologischen Kontext oft mit (bio-)ethischen Fragen etwa hinsichtlich pränataler Diagnostik und deren Konsequenzen konnotiert oder in reduktionistischer Weise rund um das komplexe und vielschichtige Phänomen von Schwangerschaftsbeendigungen thematisiert. Verwunderlich ist das Schweigen zur Geburt umso mehr, da die Natalität des wahren Gottes als wahrer Mensch im Christentum mit die herausragendste Differenzierung in monotheistischen Entwürfen ist.
Eine (fast) vergessene anthropologische Schlüsselkategorie: Geburtlichkeit (Hannah Arendt)
Aber es gibt sie, die Abhandlungen über Theologie(n) der Geburt(-lichkeit). Sie sind freilich nur marginal rezipiert worden und in eine Phase theologischer Nicht-Beachtung und Vergessenheit geraten – bis zu diesem 1. Juli 2024. Exemplarisch werden nachfolgend vier Autorinnen[6] benannt.
Hanna Strack arbeitete eine Neukonzeption zur Schöpfungsspiritualität heraus, die Frauen als Mit-Schöpferinnen denkt und damit Frauen-und Körpererfahrungen symbolwürdig für das Göttliche sein lässt.[7] Schwangerschaft, Gebären und Nähren sind (Schwer-)Arbeit – das zu betonen wird Ina Praetorius dankenswerterweise nicht müde, darüber hinaus arbeitete sie die Verbindung zum Naturbegriff (lat. nasci, geboren werden) präzise aus sowie den Verweis der Mystifizierung von Tätigkeiten, die weiblich-fraulich konnotiert sind.[8] Karin Ulrich-Eschemann legte 2000 eine umfassende Darstellung zum Phänomenbereich Geborenwerden und geschöpflichen Lebens als fundamentalanthropologischen Sachverhalt vor.[9] Elisabeth Moltmann-Wendel betont das Gewicht der Geburtlichkeit als Auftrag für politisches Nachdenken sowie Handeln, und ordnet den Diskurs zugleich in den religiösen Kontext jüdisch-christlicher Tradition ein.[10]
Allen Denkerinnen ist gemein, dass sie Hannah Arendts Reflexion über Menschen, nicht als Geworfene, sondern als Geborene reflektieren: Menschen, die Initiative ergreifen, Anfänger:innen werden und Neues in Bewegung setzen können, eine Begabung für das schlechthin Unvorhersehbare haben.[11] Im Original von Arendt heißt es: “Das ‘Wunder’ besteht darin, dass überhaupt Menschen geboren werden, und mit ihnen der Neuanfang, den sie handelnd verwirklichen können kraft ihres Geborenseins. Nur wo diese Seite des Handelns voll erfahren wird, kann es so etwas geben wie ‘Glaube und Hoffnung’ – also jene beiden wesentlichen Merkmale menschlicher Existenz (…) Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien ‘die frohe Botschaft’ verkünden: ‘Uns ist ein Kind geboren’.“
Vergessen, weil „Frauensache“?
Weshalb diese Arbeiten zu Geburt(-lichkeit) und Natalität im theologischen Kontext nur marginal rezipiert wurden, darüber kann man nur spekulieren. Die positive Lesart der Spekulation wäre die Fokussierung anthropologischen Nachdenkens und der Bestimmung der conditio humana innerhalb der Theologie auf Sterblichkeit und Tod, da diese Zäsur alle Menschen ereilt – die Geburt erlebt jedoch nicht jede (Stichwort: pregnancy loss). Die negative Lesart der Nicht-Rezeption könnte darin begründet sein, dass Schwangerschaft und Geburt an sich ein genuines Frauenthema sind und damit männlicher Aktivität enthoben, mit der möglichen Konsequenz in patriarchaler Denkart, dass ohne männliche Aktivität das Phänomen nicht wert genug ist, weiter reflektiert und rezipiert zu werden.
Das Theologumenon „incarnatus est“ ist bei Arendt ins Wort gekommen und Strauß hat es mit ihrer Skulptur sichtbar, begreifbar und dadurch wieder besprechbar gemacht. Zwar wird bei Arendt die fürsorgliche und fürsorgeabhängige Bezogenheit angedeutet, allerdings fehlt der Blick auf die Person, die gebärt. Die Möglichkeit und Potentialität der Geburtlichkeit führt jedoch unweigerlich zum Akt der Geburt selbst und zu Gebärenden: zu Frauen, zu Körpern mit Uterus, die eine Schwangerschaft bis zur Entbindung durchstehen. Kurz: Zu Gebärmüttern. Damit sind vielfältige, existentielle Erfahrungen, positiver, aber auch quälender Art – „unerfüllte Kinderwünsche, Schöpfungswonne“ (Hanna Strack), Gewalterfahrungen bei Geburten, die Reduktion auf (Re-)Produktion und Gebärfähigkeit – verbunden.
Wenn Frauen sich ein Thema zurückholen
Was durch den Linzer Häresieakt bleibt, sind die beeindruckend vielen Texte, Kommentare, Anmerkungen, Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen zur Skulptur „crowning“ über die interessierte Öffentlichkeit hinweg. Es ist beeindruckend, wie theologiegenerativ dieser Moment wirkt, wie Frauen- und Marienbilder weiter dekonstruiert und neu zusammengesetzt werden, wie relevant Körperlichkeit bzw. Leibhaftigkeit zur Sprache kommen, wie sich Frauen das Thema – ihr Thema – wiedererobern: Ermächtigungen durch große Erzählungen im krönenden Beginn rund um Geburt und Gebärende.
Eine Geburt ist eine schmerzhafte, archaische und ja auch dreckige Naturgewalt, die Frauen seit Anbeginn der Menschheit durchstehen. Sie sind alles andere also als unbefleckt, wie jahrhundertelang tradiert. Enthoben von den ganz weltlichen, ganz menschlichen Realitäten werden die tatsächlichen Erfahrungen von Schmerzen, Blut, Schweiß und Schreien verschleiert rezipiert und patriarchal geprägt. Dieser Verschleierung setzt die Skulptur „crowning“ ein anderes Bild entgegen – und entbildet von überkommenden Traditionen. Ob (universitäre) Theologie ihre mäeutische Funktion für eine feministische Volksfrömmigkeit – incarnatus est per uterum – aufnimmt und damit rezipiert, was Frauen erfahren, reflektieren und darüber sagen, das bleibt kritisch zu beobachten.
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[1] Moser, Maria Katharina, Gebärende Maria in Linz. Von der Geburt und ihrer Würde, online abrufbar: https://www.furche.at/religion/gebaerende-maria-in-linz-von-der-geburt-und-ihrer-wuerde-13760082, 11.07.2024).
[2] Ebd.
[3] Mieth, Dietmar, „Idemität“. Zum Konzept Meister Eckharts in seinem selektiven Kommentar zum Johannesevangelium. In: Journal of the Bible and its Reception, 7 (2020), 91–113 (https://doi.org/10.1515/jbr-2019-0015).
[4] Die britische Fotografin Natalie Lennard hat in ihrer fiktionalen Serie die ungestörte Geburt „Creation of Man“ bereits ins fotografische Bild gebracht: https://www.birthundisturbed.com/the-creation-of-man, 11.07.2024.
[5] Laubach, Thomas: Die Moral der Geburt. Anmerkungen zur Natalität aus theologisch-ethischer Perspektive, in: Bruckmann, Florian/Dausner, René (Hrsg.), Im Angesicht der Anderen. Gespräche zwischen christlicher Theologie und jüdischem Denken (FS J. Wohlmuth), Paderborn u.a. 2013, 633-648, 634.
[6] Die Erinnerung an Karin Ulrich-Eschemann und Elisabeth Moltmann-Wendel verdanke ich Maria Katharina Moser. Und nach Veröffentlichung des Beitrags wurde ich noch aufmerksam auf den Beitrag von Isabella Bruckner: Geburtlich denken vom 9.3.2023.
[7] Strack, Hanna, Die Frau ist Mit-Schöpferin: Eine Theologie der Geburt, Rüsselsheim 2026.
[8] Praetorius, Ina, Geburtlichkeit als neues anthropologisches Paradigma, in: Fehle Hans Jörg/Langenbacher Andrea (Hrsg.), Dass die Welt wohnlich für alle wird. Klartexte, Anfragen, Perspektiven. Ostfildern 2021, S. 58–66.
[9] Ulrich-Eschemann, Karin, Geborenwerden des Menschen. Theologische und philosophische Erkundungen, Münster 2000.
[10] Moltmann-Wendel, Elisabeth, Natalität und die Liebe zur Welt in: Evangeliche Theologie (58)1998, 283-295.
[11] vgl. Arendt, Hannah: Vita activa. oder Vom tätigen Leben. 4. Aufl. München 1985 (orig. 1958), S. 166f.
Beitragsbild: Tom Adriaenssen (https://www.flickr.com/photos/inferis/110652572/, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=639667)