Zu einem Festmahl gehören Essen und Trinken. Bei den meisten Eucharistiefeiern bleibt die Kelchkommunion jedoch dem Priester und einigen Wenigen vorbehalten. Diese Praxis müsste gemäss Nicola Ottiger grundlegend verändert werden, damit wir auch tun, was wir sagen.
Katholikinnen und Katholiken haben sie verinnerlicht. Die Lehre der Konzile von Konstanz und Trient wirkt bis heute nach, unausgesprochen, unaufgeregt, selbstverständlich: Christus ist auch im Brot allein ganz gegenwärtig. Was als Gegenreaktion auf den reformatorischen «Laienkelch» zu verstehen ist – und als scholastische Denkform eine innere Schlüssigkeit hat –, ist bis heute Basis dafür, dass auf die Kelchkommunion scheinbar problemlos verzichtet werden kann. In den meisten Eucharistiefeiern wird der Kelch den Mitfeiernden nicht gereicht. Dies zu problematisieren, mag sich wie eine (liturgie-)theologische Spitzfindigkeit ausnehmen. Was aber, wenn sie das nicht ist?
Wir tun nicht, was wir sagen.
Wir tun nicht, was wir sagen. Vor allem aber tun wir nicht, was Jesus selbst uns sagt. Die Worte Jesu, der den Segen über Brot und Weinbecher spricht und alle auffordert, davon zu essen und zu trinken, verhallen ungehört. Nachdem im ersten christlichen Jahrtausend die Kommunion unter beiden Gestalten üblich war, wurde der Kelch, mitbegünstigt durch die mittelalterliche Frömmigkeit, die den Zorn Christi bei unwürdiger Kommunion fürchtete, zum priesterlichen Privileg. Als «Laienkelch» zum Zeichen der Reformation geworden und in konfessionalistischer Manier fortan verschmäht, hat das Zweite Vatikanische Konzil die Kelchkommunion grundsätzlich wieder zugänglich gemacht (SC 55). In lehramtlichen Texten findet sich leider bis heute Widersprüchliches, was die Reichweite dieser Erlaubnis angeht. Aus liturgiewissenschaftlicher Sicht aber wird unablässig angemahnt, dass die Kelchkommunion grundsätzlich zu jeder Eucharistiefeier gehört.[1]
Was fehlt, wenn der Kelch fehlt?
Kein anderes Sakrament verdankt sich einem so deutlichen Auftrag Jesu, wie die Eucharistie. Schon allein dies muss nachdenklich stimmen. Theologisch kommen dem Kelch verschiedene Bedeutungen zu, allen voran natürlich jene, die Jesus selbst nennt (vgl. Mt 26, 27-29; Mk 14,23-24; Lk 22,17-18.20; 1 Kor 11,25-26). Wird der Kelch nicht gereicht, gehen auf der Ebene der Zeichenhandlung das Trinken sowie das Symbol des Kelches als Zeichen des Neuen Bundes verloren. Fehlt das Kreisenlassen des Bechers nach frühchristlichem Vorbild, wird der Mahl- und Gemeinschaftscharakter der Eucharistie verdunkelt. Das Teilen des einen Brotes ist nicht dasselbe wie das Trinken aus dem einen Kelch. Mehr als die Einzelhostie bzw. ein Stück des gebrochenen Brotes widersetzt sich der Kelch einer Engführung der Eucharistie als ausschliesslich oder vor allem persönlicher Christusbegegnung. Aus demselben Kelch zu trinken, setzt einer individualistischen Frömmigkeit die unaufgebbare Dimension der Gemeinschaft, der tiefen Verbundenheit und Schicksalsgemeinschaft mit Christus und untereinander entgegen.
Den Kelch neu zum Sprechen bringen
Der faktisch dem Priester sowie bestimmten Personen vorbehaltene Kelch ist ein Relikt der als Priestermesse missverstandenen Messfeier. Die Möglichkeit einer dichteren Erfahrung von Eucharistiegemeinschaft wird – leichtfertig? – verspielt. Oder sind wir einfach müde geworden? Müde angesichts jener Reformbestrebungen des Konzils, die ebenfalls auf halber Strecke stecken geblieben sind? Was kümmert uns ein fehlender liturgischer Vollzug, wenn doch die Eucharistiefeier als Ganze aufgrund des dramatisch zunehmenden Priestermangels in Gefahr steht?
die stumm gewordene Zeichenhandlung wieder zum Sprechen bringen
In einer Zeit, in der wir um die Bedeutung von Symbolen und Ritualen wissen, gerade im Bereich des Glaubens, sollte die Kelchkommunion nicht als quantité négligeable aussen vor bleiben. Die Kelchkommunion ist keines dieser Dinge, die von den Glaubenden schmerzlich vermisst werden. In ihrem Wert verkannt, muss die stumm gewordene Zeichenhandlung erst wieder zum Sprechen gebracht werden.[2] Damit verbunden sind natürlich auch praktische Fragen. Wenn die Zeichenhandlung im Trinken aus demselben Kelch besteht, kann das Eintauchen der Hostie keine befriedigende Lösung sein. Es ist verständlich, dass Pragmatiker deshalb mit Blick auf die Konkomitanzlehre – Christus ist im Brot ganz gegenwärtig – die Kelchkommunion weglassen. Praktische Fragen aber lassen sich lösen. Selbstverständlich gehört dazu das bewusst sorgfältige Abwischen des Kelches während der Kommunionspendung. Es darf davon ausgegangen werden, dass Personen, die krank sind, eigenverantwortlich nicht zur Kelchkommunion hinzutreten – genauso wie jene, die eine mögliche Ansteckung fürchten.
Chancen – auch in ökumenischer Hinsicht
Auch mit Blick auf das Reformationsjubiläum wäre es ein sprechendes Zeichen, wenn die Kelchkommunion von katholischer Seite wiedergewonnen würde. Überall in diesem Jahr finden ökumenische Feierlichkeiten, Podien und Festgottesdienste statt als Bekenntnis zur ökumenischen Annährung der letzten Jahrzehnte. Zu denken ist ebenso an den Kelch, den Papst Franziskus 2015 in symbolträchtiger Geste der Lutherischen Gemeinde von Rom schenkte. Auch als Zeichen einer wiederzufindenden Einheit hat der Kelch eine Botschaft.
Katholiken und Katholikinnen geben mit der Kelchkommunion ihre Identität nicht auf. Im Gegenteil, wir finden sie neu, wenn wir den Stifterwillen Jesu endlich wieder ernstnehmen.
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Nicola Ottiger, Dozentin für Dogmatik, Fundamentaltheologie und Liturgik am Religionspädagogischen Institut (RPI) Luzern, Universität Luzern.
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[1] Vgl. Lumma, Liborius Olaf/Vonach, Andreas: Kommunionspendung, in: Jeggle-Merz, Birgit/Kirchschläger, Walter/Müller, Jörg (Hrsg.): Leib Christi empfangen, werden und leben. Die Liturgie mit biblischen Augen betrachten (Luzerner Biblisch-Liturgischer Kommentar zum Ordo Missae 3), Stuttgart 2016, 133–147, 146.
[2] Vgl. zum Thema auch den Fachblog der Autorin auf reli.ch, der auf die fehlende Kelchkommunion an der Erstkommunion fokussiert: Kein Wein an der Erstkommunion? Ein Diskussionsvorschlag.
Ebenfalls zur Praxis der Eucharistiefeier erschien unabhänig von diesem am 29. September 2017 ein Beitrag von Anneliese Hecht.