Ein Projektteam von Theologinnen aus dem Kreis der Jungen AGENDA ist auf der Suche nach Erzählungen von Menschen, die die akademische Theologie verlassen haben. Das Projekt trägt den Titel „Leerstelle“ und läuft seit September 2021. Mehrere Erzählungen sind dem Team zugegangen und wurden bereits auf feinschwarz.net veröffentlicht. Im Folgenden erzählt Katharina Hellbach aus Berlin von ihrem Leben in und mit der Theologie und davon, dass die Faszination für dieses Fach sie nie verlassen hat.
Junge AGENDA: Du hast in Berlin im Bachelor Politikwissenschaft und Katholische Theologie mit der Option auf Lehramt studiert. Was hat Dich gereizt, Theologie zu studieren? Hattest Du schon zu Studienbeginn eine Ahnung oder Idee davon, was Du damit gerne machen möchtest?
Katharina Hellbach: Tatsächlich hatte ich gar keine Idee – und das war im Nachgang betrachtet auch gar nicht verkehrt. Die Lehramtsoption war damals die einzige Möglichkeit, diese Kombination an einer Berliner Universität zu studieren – auch wenn ich es schrecklich unauthentisch fand, Lehramt zu studieren, ohne eigentlich Lehrerin werden zu wollen. Was die Theologie anging, so wusste ich, dass ich das Fach studieren muss und will. Ich kann nicht einmal so genau sagen, warum. Ich bin katholisch aufgewachsen und sozialisiert, aber habe schon früh eine Art wissenschaftliches Interesse an dem Gebiet verspürt. Die Art und Weise theologisch zu denken, liegt mir unheimlich (ein merkwürdiges Talent!) und ich kenne kaum ein Betätigungsfeld, das interdisziplinärer ist als die Theologie. Politik dazu zu studieren, empfand ich als eine passende Kombination – theologische Inhalte sind ausnahmslos unendlich politisch und so griffen meine Studienfächer auch immer wieder ineinander über.
Für mich als erste in meiner Familie mit Abitur und Zugang zu einer Universität nahmen aber in erster Linie die Fragen, wie der Unialltag nun eigentlich funktioniert, einen beachtlichen Raum ein. Darüber hinaus machte ich mir damals keine Vorstellungen davon, was man als Theologin eigentlich beruflich machen kann. Ich wusste, dass ich Lehrerin werden konnte, und das gab mir Sicherheit. Überhaupt spielten die Themen Sicherheit – und auch Klassenzugehörigkeit – in der Uni eine große Rolle, vor allem wenn es darum ging, sich über das Studium hinaus freie Gedanken um einen passenden Job zu machen. Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb ich dann am Schluss trotz großen Interesses nicht in der Theologie geblieben bin.
Hast Du dann in Deinem Studium, insbesondere in der Theologie, gefunden, was Dich so gereizt hat? Hat sich das Gefühl bestätigt, dort richtig zu sein?
Ich glaube, dass es da einen großen Unterschied zwischen den ersten und letzten Semestern gab. Der Universitätsalltag ist für all jene, die ihn nicht gewohnt sind, und besonders für all jene, die nicht aus akademischen Familien kommen, sehr herausfordernd. Im ersten Jahr fühlte ich mich ziemlich verloren und war damit beschäftigt, die Uni als soziales Umfeld zu begreifen. In der Theologie war das erste Semester ein bisschen ernüchternd, auch weil man fachlich natürlich zunächst mal an seine Grenzen gestoßen ist. So richtig Fuß fassen konnte ich erst im dritten Semester, auch dank einer Professorin, die mir fachlich und persönlich dabei half, mich zu entfalten. Ab dann merkte ich, dass dieses Studium die richtige Wahl war, weil es mich tief begeisterte. Es ist ein wundervolles Gefühl, wenn man machen kann, was einen so richtig fesselt!
Du hast dann die Möglichkeit bekommen, Dich im akademischen Feld weiter mit der Theologie zu beschäftigen. Kannst Du Dich erinnern, wann und warum Du Dich dafür entschieden hast, diesen Weg nicht zu verfolgen?
In dieser Sache habe ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Klar ist, dass das Ganze ohnehin schwierig geworden wäre, mit einem „nur“ einjährigen Master of Science in Gender and Sexuality in der Tasche, den ich nach dem Bachelor in London absolviert hatte. Heute weiß ich: Der eigentliche Kampf rührte daher, dass mich irgendeine Gefühlsregung ganz stark in dieses Fach zurückzog, irgendetwas anderes mich aber noch viel stärker aus der akademischen Welt verscheuchte. Ich hatte, salopp gesagt, die Nase schlicht voll von der Uni. Mir erschien das endlose Reproduzieren von Wissen ohne praktischen Mehrwert ziemlich unsinnig – eine ziemlich kurz gefasste Ansicht. Damals wollte ich vor allen Dingen nicht meinen Fehler von früher wiederholen, und mich ohne Erfahrungen aus der außeruniversitären Welt wieder in die Uni stürzen. So habe ich einen anderen Beruf angefangen, der im politischen Bereich liegt. Zwischendurch kreisen meine Gedanken aber immer wieder mal um die Theologie. Ich gebe gerne zu, dass da bis heute eine Sehnsucht in mir besteht, das Fach nochmal anzugehen.
Du bist also aus der akademischen Welt hinaus in die Arbeitswelt gegangen und hast im politischen Berlin eine Stelle gefunden. Hattest Du auch darüber nachgedacht oder danach gesucht, als Theologin oder in einem theologischen Bereich zu arbeiten?
Darüber nachgedacht habe ich. Danach gesucht habe ich nicht. Noch heute weiß ich gar nicht so recht, welche Betätigungsfelder für Theolog*innen außerhalb des Kirchengebildes existieren. Dass ich nicht für die Kirche arbeiten möchte, ist Grundvoraussetzung für mein Tun, denn diese Institution schreckt mich ab und macht mich wütend. Ich bin nicht sicher, ob ich eine derartige emotionale Auseinandersetzung in meinem beruflichen Umfeld auf lange Sicht hin aushalten würde. Wohl aber habe ich großen Respekt für all jene, die von innen heraus in irgendeiner Art und Weise mit oder in der Kirche arbeiten und bestrebt sind, in ihr etwas zu verändern.
Was bräuchtest du denn von Kirche oder von der akademischen Theologie, damit es für dich möglich wäre?
Wenn ich daran denke, für die Kirche zu arbeiten, wird mir schnell klar: Das wäre nichts als ein Ab-arbeiten an festen Strukturen, die in ihren Ausgestaltungen unsagbar problematisch sind. Mir fehlt zum jetzigen Zeitpunkt ehrlich gesagt eine Vision einer wirklich gerechten Kirche, obwohl man im Kleinen oft erkennen kann, dass es sie gibt – zum Beispiel in einzelnen Gemeinden oder Zusammenkünften. Aber ob es möglich ist, solche Gemeinschaften im großen Stil zu halten, ohne in die Machtfalle zu tappen, ist mir schleierhaft. Das berührt natürlich weiterhin die Frage des Gatekeeping – wo gibt es einen niederschwelligen Zugang zu solchen Communities? Fragen über Fragen… Was die Auseinandersetzung mit all diesen Fragen so schwierig und gleichzeitig so packend macht, ist, dass man nicht umhinkommt, das eigene persönliche Verhältnis zur Kirche zu erforschen. Dahinter steckt in den allermeisten Fällen und – insbesondere, wenn man so aufgewachsen ist wie ich – auch die Frage nach dem eigenen Glauben und wie man im Katholizismus verwurzelt ist. Vielleicht gefiel mir die Theologie auch deshalb so sehr, weil sie meine intellektuelle mit der emotionalen Welt verknüpft.
Wie geht es Dir heute damit, dass du diesen Weg nicht weiterverfolgt hast? Bist du fertig mit der Theologie?
Ich bin jedes Mal aufs Neue überrascht, wenn ich diese Frage gestellt bekomme, weil meine Antwort so eindeutig ist: Nein, ich bin nicht fertig mit der Theologie. Dafür berühren mich theologische Fragestellungen zu sehr und zu tief. Im Alltag beschäftige ich mich kaum mit theologischen Themenkomplexen, auch weil ich aus der Kirche ausgetreten bin und überhaupt keine Bande mehr zu einer Kirchengemeinschaft in irgendeiner Form habe. Wenn aber in Gesprächen plötzlich Fragen auftreten zum Thema – und das passiert ja durchaus häufiger in der letzten Zeit –, entzündet sich in mir ein Funke und es begeistert mich völlig, wenn ich eine Gelegenheit bekomme, mich zu theologischen Fragen auszutauschen. Ich habe jedoch nach wie vor Angst davor, dass diese impulsive Begeisterung geschmälert würde, wenn ich mich wieder auf lange Sicht hin akademisch mit der Theologie auseinandersetzen würde.
Ein anderer Gedanke, der womöglich eine Rolle spielt, wenn es darum geht, ob ich in die Wissenschaft zurückkehre, ist auch der ewige Rechtfertigungszwang, dem man als Mensch, als Frau, mit Interesse an katholischer Theologie unterliegt. Ich habe mich davon nie einschüchtern lassen und doch nimmt es – bewusst oder unbewusst – Einfluss darauf, wie wir unsere Faszination für das Fach leben. Man gerät wahnsinnig leicht zwischen die Mühlsteine der Rechtfertigung: Einerseits vor all jenen, die berechtigterweise große Probleme mit der Kirche haben und nichts anfangen können mit allem, was damit zusammenhängt – andererseits vor jenen, die zwar Interesse für das Fach signalisieren, aber ein toxisches System vertreten. Mein Weg in und mit der Theologie fühlt sich oft an wie eine Art Parcours. Ein Parcours, an dem man eben auch scheitern kann. In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff des Scheiterns gar nicht unpassend – doch vielleicht heißt ‚scheitern‘ in dem Moment nicht, dass ich den Parcours nicht bewältigen kann, sondern womöglich bin ich noch mittendrin und fluche vor der Übung sitzend erstmal richtig, bevor ich wieder Kraft und Motivation schöpfe, um weiterzumachen.
Sammlung der Texte: Projektteam der Jungen AGENDA. Die Junge AGENDA ist ein Netzwerk junger katholischer Theologinnen in AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.
Bisherige Veröffentlichungen auf feinschwarz.net:
- https://www.feinschwarz.net/ich-waere-gerne-theologin-geworden-aber-nicht-unter-diesen-umstaenden/ (23.09.2021)
- https://www.feinschwarz.net/ich-waere-gerne-theologin-geworden/ (03.03.2022)
- https://www.feinschwarz.net/ich-bin-theologin-geworden-echt/ (21.04.2022) https://www.feinschwarz.net/ich-habe-keine-wahl/ (09.05.2022)
Das Projekt ist nicht am Ende: Wenn sich Personen angesprochen fühlen, sind weitere Zusendungen an oder Kontaktaufnahmen über jungeagenda@agenda-theologinnen-forum.de herzlich willkommen! Die Anfragen werden vertraulich behandelt.
Bild: Katharina Hellbach, Photo. privat