Über den „Agenten ihrer Majestät“ und den Wandel der Geschlechterrollen, von Theresia Heimerl.
Keine Figur führt uns so unterhaltsam und gleichzeitig chronologisch eindrücklich die Entwicklung westlicher, vermeintlich hegemonialer Männlichkeit vor Augen wie James Bond. Zwischen seinem ersten Leinwandauftritt 1962 (DR. NO) und dem jüngsten Abenteuer, SPECTRE, derzeit in den Kinos zu sehen, liegen nicht nur mehr als 50 Jahre, sondern auch sexuelle Revolution, Zusammenbruch des Kommunismus, Feminismus und Gendertheorie, totale Digitalisierung und Islamismus – kein Wunder also, dass der britische Agent ihrer Majestät einige Martinis mehr braucht, um noch im Dienst zu bleiben, wie er selbst in SPECTRE ohne Umschweife zugibt. Geschüttelt mit einer gehörigen Portion Selbstironie, die Bond nicht erst in den jüngeren Filmen beweist, wenn es um seine männliche Identität als waffentragendes Sexobjekt geht: „I’ve a slight inferiority complex“ begründet er die innige Beziehung zu seiner „Walter PPK“ bereits in GOLDFINGER 1964. Zweifellos kein geringer Trost für Männer, die schon in den 60er-Jahren nicht ganz so souverän in blauer Badehose und Smoking auftraten wie Sean Connery, und in den folgenden Jahrzehnten wirklich nur noch auf der Leinwand sich Aufreißer-Sprüche erlauben konnten wie Roger Moore, ohne dafür eine Abfuhr oder gar Anzeige bei der Gleichbehandlungskommission zu kassieren.
„Sie sind ein sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier“
1995 brach dann sogar über den tapferen Agenten im Dienst heterosexueller (und vermutlich auch homoerotischer) Männerphantasien die geschlechtergerechte Wirklichkeit herein: M, Leitung des MI6, war ab sofort eine Frau, die ihn mit der vernichtenden Diagnose seiner veralteten Existenz konfrontierte: „Sie sind ein sexistischer, frauenfeindlicher Dinosaurier“ (GOLDENEYE). Andererseits hat eine Frau, die es an die Leitung des britischen Auslandsgeheimdienstes schafft, natürlich auch die nötige Geduld für die Eskapaden ihrer Jungs und, bei entsprechendem Altersunterschied wie er dann ab 2006 mit Daniel Craig als Bond gegeben war, unverkennbar mütterlichen Stolz. Bond Girls kommen und gehen, die Übermutter bleibt, und mit ihr, nicht mit einer der zahllosen Schönheiten im weißen, orangen oder gemusterten Bikini, war James Bond jahrelang bei Madame Tussaud’s in London zu bewundern – schade, dass Sigmund Freud schon 1938 dorthin emigriert und gestorben war.
Bei aller selbstbewussten Zugehörigkeit zur populären Unterhaltung hatten und haben die Bond-Filme die Fähigkeit, ihre eigenen narrativen Abgründe zu reflektieren, so dass die ödipale Beziehung irgendwann nicht mehr Subtext, sondern „overtone“ wurde: In SKYFALL (2012) endet der Streit des verlorenen mit dem braven Sohn ganz unbiblisch mit dem Tod der strengen Mama in den Armen von James (braver Sohn), der fortan, so insinuieren uns bereits die letzten fünf Minuten dieses Films, wieder wie in den glorreichen 60er-Jahren unter männlicher Führung und mit Miss Moneypenny hinter dem Schreibtisch für Königin und Vaterland seine Lizenz zu töten einsetzen darf. Spätestens mit SPECTRE ist aber klar: Der stilvolle Sexismus der frühen Bondfilme ist im Jahr 2015 bereits derart weit weg von jeder Realität, dass er liebevoll zusammen mit einer ganzen Reihe anderer Reminiszenzen dieser vergangenen Epoche und mit nostalgischem Augenzwinkern zitiert werden darf.
Denn: So sehr vom Titelhelden erwartet wird, in gut sitzendem Anzug, der den durchtrainierten Körper entsprechend zur Geltung bringt, wie eh und je Frauen zu retten, so wenig sind die Geretteten noch mit der schmachtenden Honey im weißen Bikini von 1962 oder ihren Nachfolgerinnen, deren Daseinszweck bereits an den Namen (Goodnight, Pussy) deutlich gemacht wurde, vergleichbar. Im besten Fall facettenreich zwischen Gut und Böse oszillierend wie Bonds große Liebe Vesper Lynd (CASINO ROYALE), benutzen sie schon einmal den Helden zur Erfüllung der eigenen Rachefantasien (Camille in EIN QUANTUM TROST), ohne dabei, wie noch in GOLDFINGER, selbst im ersten Drittel des Films das Leben zu verlieren, oder sie stellen als konsequent unabhängige, gebildete Frauen den Bindungsphobiker Bond vor die Wahl „ich oder der Job“ wie Madeleine Swann im jüngsten Opus.
postmoderne Unübersichtlichkeit der Geschlechterrollen
James Bond scheint sich mit der postmodernen Unübersichtlichkeit der Geschlechterrollen und dem Verlust seiner selbstverständlichen Überlegenheit ganz gut arrangiert zu haben. Gerade in der rasanten Mischung aus alten Stilelementen mit stillschweigend selbstverständlichen emanzipatorischen Veränderungen ist die Figur des britischen Geheimagenten der beste Beweis dafür, dass ikonische Maskulinität auch in der Welt von heute noch sexy sein kann, wenn sie sich ihrer selbst zwar bewusst ist, die Frauen aber halbwegs, sich dafür nicht immer ganz ernst nimmt. Mama M kann stolz sein auf ihren Buben.
Postskriptum: Wer wissen will, wie James Bond in einem politisch inkorrekten Paralleluniversum heute agieren würde, dem sei die TV-Serie ARCHER (FX, seit 2010) ans Herz gelegt. Achtung: Definitiv nur für Erwachsene mit sehr viel schwarzem Humor und mindestens so viel geschlechtsspezifischem Selbstbewusstsein, wie es Bond und die neuen Frauen um ihn haben.
(Theresia Heimerl; Bild: http://billdesowitz.com/wp-content/uploads/2015/08/Spectre-Lea.jpg)