Pippi Langstrumpf, dieser Steh-auf-Wildfang, gilt als Paradebeispiel für Resilienz. Helga Kohler-Spiegel nimmt den Gedanken einer „Politik der Gemeinsamkeit“ säkularer und religiöser Feminist_innen[1] auf der Basis psychologischer Erkenntnisse der Resilienzforschung auf und führt ihn weiter.
„Nicht vereinzeln, nicht verstummen“. Es sagt sich so leicht. Ich lenke damit den Blick auf eine bedeutsame menschliche Fähigkeit, die zu entwickeln und zu stärken ständig begleitende Aufgabe ist. Mir ist das sehr wichtig geworden: „Nicht vereinzeln, nicht verstummen“.
Bahnbrechende Forschungen einer Frau
Emmy Werner (auch Emmy Elisabeth Werner-Jacobsen), geboren am 26. Mai 1929 in Eltville am Rhein, ist eine US-amerikanische Entwicklungspsychologin. Sie ist international bekannt geworden mit ihrer Längsschnittstudie an 698 Kindern auf der Hawaiinsel Kauai. Die 1977 veröffentlichte Studie zeigt, dass sich Kinder mit biologischen oder sozialen Risikofaktoren (wie zum Beispiel Armut, Krankheit oder Suchtmittelmissbrauch der Eltern, Vernachlässigung, Gewalt) im Durchschnitt negativer entwickelten als Kinder, die keinen solchen Risikofaktoren ausgesetzt waren. Kinder mit diesen Risikofaktoren waren psychisch und körperlich weniger gesund, beruflich weniger erfolgreich, häufiger delinquent. Das mag nicht sehr überraschen.
Das zentrale Ergebnis
Das meistbeachtete Ergebnis von Emmy Werners Studie ist jedoch, dass es auch circa ein Drittel Kinder gab, die sich trotz dieser Risikofaktoren positiv entwickelten. Sie waren erfolgreich in der Schule und später im Beruf, waren sozial integriert und zeigten keine Auffälligkeiten. Diese Kinder waren „resilient“. Damit verbunden war die entscheidende Frage: Was macht es aus, dass sich diese Kinder trotz so widriger Umstände positiv entwickeln konnten?
Was macht es aus, dass sich diese Kinder trotz so widriger Umstände positiv entwickeln konnten?
Emmy Werner und Ruth Smith fanden in dieser Kauai-Studie heraus, was entscheidend für die positive Entwicklung der Kinder trotz solcher Risikofaktoren war: „Zumindest eine enge Bezugsperson, die sich liebevoll um sie kümmerte und auf ihre Bedürfnisse reagierte, die Grenzen setzte und Orientierung bot.“ (Berndt 2013, 67) Auf der Basis dieser Forschungen von Emmy Werner entwickelte sich die Resilienzforschung mit den zahlreichen Studien zur Frage, wie Resilienz im Verlauf des Lebens aufgebaut oder durch Begleitung gestärkt werden kann.
Psychisch widerstandsfähig
Der Begriff Resilienz stammt aus der Physik und bezeichnet in der Werkstoffkunde die Fähigkeit eines Werkstoffes, sich verformen zu lassen und dennoch in die ursprüngliche Form zurückzufinden. Im lateinischen Wort „resilire = zurückspringen, abprallen“ oder im englischen Wort „resilience = Elastizität, Spannkraft“ wird diese Bedeutung sichtbar.
Resilienz ist „… die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“.
Übertragen bedeutet Resilienz dann: „…die psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken.“ (Wustmann/Fthenakis 2004, 18). Es ist die Fähigkeit einer Person oder einer Familie bzw. Gruppe, erfolgreich mit belastenden Lebensumständen umzugehen.
Resilienz ist kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal eines Menschen, sondern sowohl die Person selbst als auch die Umwelt sind an der Entwicklung des resilienten Verhaltens beteiligt. Resilienz wird geübt, auch für Resilienz gilt: „Use it oder loose it.“
Was Menschen schützt
Es lassen sich sehr viele Schutzfaktoren nennen, die die Resilienz bei Kindern und Erwachsenen fördern, nach Edith Grotberg werden diese eingeteilt in:
- „Ich habe“: soziale Ressourcen, Familie, Freunde, Lehrpersonen, Unterstützungssysteme…
- „Ich bin“: personale Ressourcen, Gefühle, Verhaltensweisen…
- „Ich kann“: soziale und interpersonale Fähigkeiten des Kindes, von und mit anderen gelernt (vgl. Grotberg 2011, 51ff.).
Ich habe…, ich bin…, ich kann…
Konkret kann ein resilienter Mensch sagen: Ja, ich kann mit anderen sprechen, wenn mich etwas ängstigt oder mir Sorge bereitet. Ich kann Lösungen für Probleme finden, mit denen ich konfrontiert werde, ich kann mein Verhalten in schwierigen Situationen kontrollieren. Ich kann spüren, wann es richtig ist, eigenständig zu handeln oder ein Gespräch mit jemandem zu suchen, ich kann jemanden finden, der mir hilft, wenn ich Unterstützung brauche. (Vgl. exemplarisch Wustmann/Fthenakis 2004, 118).
Sieben Schutzfaktoren
Unter den vielen Schutzfaktoren gibt es sieben, die auch „die sieben Säulen“ der Resilienz genannt werden. Es sind Handlungsmöglichkeiten, Handlungsbereiche, die entwickelt und gepflegt werden wollen.
Die ersten drei beschreiben nach Monika Gruhl (Gruhl 2010, 23ff) die Grundhaltungen: Optimismus, Akzeptanz und Lösungsorientierung.
- Ich sehe auch in schwierigen Situationen das Stärkende.
- Ich akzeptiere, was nicht zu ändern ist.
- Ich suche nach Lösungen bzw. nach einem nächsten Schritt.
Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung
Aus diesen Grundhaltungen entwickeln resiliente Menschen vier erfolgreiche Fähigkeiten für ihr Denken, Fühlen und Handeln (Vgl. Gruhl 2010, 55):
- Ich kann mich selbst steuern, ich kann etwas tun…
- Ich „antworte“ auf die Situation und übernehme Verantwortung.
- Ich habe andere Menschen, mit denen ich verbunden bin oder mit denen ich mich verbinden kann. Ich habe Menschen, auf die ich mich verlassen kann.
- Ich mache mir Bilder von meiner Zukunft, ich plane meine Zukunft, ich bin offen für Neues.
Diese Schutzfaktoren gelten – wie oben beschrieben – für Einzelpersonen, Familien und für Gruppen, parallel zum „Ich“ in diesen sogenannten „Sieben Säulen“ kann auch „Wir“ stehen. Damit kann auch in einer „Politik der Gemeinsamkeit“ von säkularen und religiösen Feministinnen im Sinne von Doris Strahm, Resilienz gefördert werden.
Was fördert, was hilft?
Die Möglichkeiten, diese psychische Widerstandsfähigkeit zu entwickeln, zu fördern und zu üben, sind zahlreich. Sehr kurz gesagt: Hilfreich sind stärkende Gedanken, indem ich mich immer wieder daran erinnere: „Ich habe…, ich bin…, ich kann…“, sowie stärkende Handlungen, d.h. tatsächlich immer wieder ins Handeln, ins Tun kommen. Hilfreich sind stärkende Rituale, stärkende Abläufe im Tag und in der Woche sowie Stille, ruhige Zeiten für mich, in denen niemand etwas von mir will… Und wichtig sind stärkende Menschen, die unterstützen und Orientierung geben. (Vgl. Kohler-Spiegel 2017, 64f)
Zum Schluss
Eine ganz kurze Übung lege ich Ihnen ans Herz, Sie können diese Übung beim Aufwachen und vor dem Einschlafen machen, oder während des Zähneputzens: Es ist gut, sich am Morgen drei Minuten Zeit zu nehmen, um drei Punkte zu überlegen, worauf ich mich heute freue. Großes, Unscheinbares, Alltägliches… Und es ist gut, sich am Abend drei Minuten Zeit zu nehmen, um drei Punkte zu überlegen: Wofür bin ich heute dankbar? Wem bin ich heute dankbar?
Damit wir „nicht vereinzeln, nicht verstummen“.
—
Helga Kohler-Spiegel ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg im Fachbereich Human- und Bildungswissenschaften; Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin, (Lehr-)Supervisorin; Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bild: villa kunterbunt / pixabay.com
Literatur
Berndt, Christina (2013): Resilienz. Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burn-out. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag.
Fröhlich-Gildhoff, Klaus/ Rönnau-Böse, Maike (3. Auflage 2014): Resilienz. München: UTB.
Grotberg, Edith (2011): Anleitung zur Förderung der Resilienz von Kindern. In: Zander, Margherita, Hrsg.: Handbuch – Resilienzförderung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 51-101.
Kohler-Spiegel, Helga (2017): Jung und resilient. Bindungserfahrung und Persönlichkeitsentwicklung im Kontext religiöser Bildung. In: Boschki, Reinhold u.a., Hrsg.: Person – Persönlichkeit – Bildung. Aufgaben und Möglichkeiten des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen. Münster/New York: Waxmann, 55-67.
Welter-Enderlin, Rosmarie/Hildenbrand, Bruno, Hrsg. (2008): Resilienz – Gedeihen trotz widriger Umstände. Heidelberg: Carl Auer.
Welter-Enderlin, Rosmarie (2010): Resilienz und Krisenkompetenz. Kommentierte Fallgeschichten. Heidelberg: Carl Auer.
Wustmann, Corina/Fthenakis, Wassilios, Hrsg. (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim/Basel: Beltz.
[1] Vgl. „Nötig wäre z.B. eine ‘Politik der Gemeinsamkeit’ von säkularen und religiösen Feministinnen, die sich an gemeinsamen Zielen ausrichtet und versucht, einen wirksamen gesellschaftlichen Gegendiskurs aufzubauen.“ Doris Strahm, Ist Religion schlecht für Frauen? feinschwarz.net, 8.11.2017.