Im ersten Teil ihres Beitrages schildert Lisa Strassberger das Anliegen der Dichterinnen und Komponistinnen der Romantik, in der Öffentlichkeit sichtbar und wahrgenommen zu werden.
„Nichts soll meine Schritte fesseln“[1] schreibt die junge Dichterin Karoline von Günderrode. Geboren 1780, gestorben 1806 – sie hat sich am Rheinufer unweit des Landhauses der Familie Brentano erdolcht. Aber auch ohne das Gewicht dieser tragischen Biographie versprüht diese Verszeile das Aufbegehren einer jungen Generation um die Wende zum 19. Jahrhundert. Die französischen Revolutionäre haben es in der Ferne vorgemacht und der Ruf nach „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ hat auf der anderen Rheinseite viele elektrisiert, auch und vielleicht besonders Frauen, die sich aus der Enge ihrer gesellschaftlichen Position befreien wollten, „aus dem engen dumpfen Leben“. Wieder Karoline.
Die Öffentlichkeit ist einer der Sehnsuchtsorte dieser Romantikerinnen
„Wär‘ ich ein Jäger“[2], schreibt Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848), „Wär‘ ich ein Mann doch mindestens nur“. Eigentlich sind die Frauen in dieser Epoche der erschütterten feudalen Ordnung auf Ehemann, Haus und Familie orientiert. Die Säuglingssterblichkeit ist hoch. Die Sterblichkeit im Kindbett auch. Sophie Mereau-Brentano, eine der wenigen Frauen, die von den Einkünften aus ihren Veröffentlichungen leben kann, stirbt 1806 an der Totgeburt ihres vierten Kindes im Alter von 36 Jahren. Sie war ein Star – ihre Texte gedruckt, sie selbst umschwärmt, berühmt, geschieden, in zweiter Ehe mit Clemens Brentano verheiratet, der sie zum Verzicht auf ihre Selbständigkeit zwingt.[3] Diese adeligen und bürgerlichen Frauen aus gutem Hause lesen, schreiben Briefe, sind musikalisch versiert, in ihren literarischen Zirkeln und Salons geachtet und religiös verankert. Konsequenterweise wollen sie mit ihren Talenten, Ansichten und Kunstwerken an die Öffentlichkeit.
Die Öffentlichkeit ist einer der Sehnsuchtsorte dieser Romantikerinnen, die deswegen als Mütter der Emanzipation gesehen werden können. Hinaustreten. Sichtbar sein. Sich Überblick verschaffen. Im poetischen Bild steht für diese Sehnsucht der Turm bei Droste-Hülshoff, der hohe Fels bei Günderrode, „auf diesem Hügel überseh ich meine Welt“, schreibt Bettina von Arnim.
Viele Frauen kämpften darum, die Grenzen der vorgefundenen Frauenrolle zu sprengen
Im gesellschaftlichen Leben musste dieses Hinaustreten erneut mühsam erstritten werden. Denn gegen den erweiterten Spielraum von Frauen in der Aufklärungszeit formierte sich Widerstand und eine Neubefestigung des Weiblichkeitsbildes. „Warnend zitiert Herder seiner Verlobten Caroline Flachsland das arabische Sprichwort: ‚Eine Henne, die da krähet, und ein Weib, das gelehrt ist, sind üble Vorboten: Man schneide beiden den Hals ab‘, und er ermahnt sie, sich als Muse auf die ‚Verfeinerung‘, auf die ‚Belebung‘ und die ‚Aufmunterung‘ des Mannes zu beschränken.“[4] Viele Frauen kämpften darum, die Grenzen der vorgefundenen Frauenrolle zu sprengen und auch der wieder aufkommenden Ausgrenzung der jüdischen Teile der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Fanny Mendessohn-Bartholdy (1805-47)
Phantastisch ausgebildet war die Pianistin und Komponistin mit ihrer Musik zunächst auf den häuslichen Rahmen verwiesen. Sie dehnte diesen Rahmen beeindruckend weit aus. Die Dirigentin Elke Mascha Blankenburg schreibt in ihrem Essay „Rosen für Fanny Mendelssohn“:
„Der ‚Gartensaal‘ war ein bedeutendes kulturelles Zentrum in Berlin, und von den vielen prominenten Gästen, für die Fanny musizierte, seien nur wenige genannt: Clara und Robert Schumann, Carl Maria von Weber, Jenny Lind, Franz Liszt, die Brüder Grimm, Clemens von Brentano, Bettina von Arnim, Moritz von Schwind, Ferdinand Hiller und Paganini, den Fanny ein ‚höchst wunderbares, unbegreifliches Talent‘ nennt, ‚der das Aussehen eines wahnsinnigen Mörders und die Bewegungen eines Affen hat, ein übernatürliches, wildes Genie.‘ Weitere Gäste waren Schleiermacher und Schlegel, die Brüder Humboldt, Meyerbeer, Louis Spohr, Fréderic Chopin und Heinrich Heine, der in einem Brief an Fannys Freund Droysen 1829 schrieb: ‚Und grüßen Sie mir Fräulein Fannys schöne Augen, die zu den schönsten gehören, die ich jemals gesehen.‘‘“[5]
Das „Oratorium nach Bildern der Bibel“
Für den „Gartensaal“ schrieb Fanny Mendelssohn zum Beispiel das „Oratorium nach Bildern der Bibel“. Diese Komposition wurde erst in den 1980er Jahren von Elke Mascha Blankenburg aufgefunden, abgeschrieben und am 27. Mai 1984 öffentlich uraufgeführt.[6] In ihrem Essay erinnert sie sich an diesen Fund: „Im Mai 1982 war ich nach Berlin gefahren. Bei meiner Suche nach Komponistinnen aus der Vergangenheit hatte ich entdeckt, dass im Mendelssohn-Archiv der Preußischen Staatsbibliothek Chor- und Orchesterwerke von Fanny Mendelssohn, Felix‘ älterer Schwester, den Dornröschenschlaf schlummerten. Der Archivleiter sah mich verwundert an, als ich ihm meinen Bestellzettel vorlegte: Fanny Mendelssohn MA.Ms.39. Fanny? Bisher kamen Musikwissenschaftler und Musiker, um die Autografen von Felix einzusehen! Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis er mir das unscheinbare Notenheft im Querformat auf den Tisch legte: es war mit Oratorium überschrieben und umfasste 78 Seiten. Aus der Datierung konnte ich sehen, dass das Werk vom 9.10.-20.11.1831, also in circa sechs Wochen komponiert worden war.
Mit Anspannung und Erregung schlug ich die erste Seite auf. Ihre Handschrift! Wie ähnlich war sie der des Bruders! Zum Verwechseln ähnlich. Diese Sechzehntelunruhe am Anfang der Ouvertüre! Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr. In mir sang und klang es, und ab und zu sang ich laut mit, verfiel dann wieder in Stummheit, Bewunderung, Stille. Erst als man mir sagte, dass die Bibliothek nun schließe, verabschiedete ich mich von Fannys Handschrift.“ [7]
In ihrem letzten Lebensjahr fand sie den Mut, (…) mit der Drucklegung ihrer Kompositionen zu beginnen.
Fanny Mendelssohn veröffentlichte zunächst unter dem Namen ihres Bruders Felix. Erst als verheiratete Frau Hensel war es ihr möglich, in den Jahren 1839/40 eine längere Italienreise zu unternehmen und bei dieser Gelegenheit neue Kontakte und Förderer im Bereich der Musik zu finden. Zurück in Berlin komponierte Fanny ihr bedeutendstes Klavierwerk, den biographisch geprägten Zyklus „Das Jahr“ (1841). In ihrem letzten Lebensjahr fand sie den Mut, auch gegen den ausdrücklichen Willen ihres Bruders systematisch mit der Drucklegung ihrer Kompositionen zu beginnen. Als sie kurz danach starb, führte Felix diese Drucklegung weiter.
Die Uraufführung des „Oratoriums nach Bildern der Bibel“ war ein mitreißender Erfolg. Elke Mascha Blankenburg dokumentiert in ihren Erinnerungen Reaktionen auf das Oratorium:
Frankfurter Rundschau, 8.6.1984
„Das Erstaunlichste an der Musik Fannys ist die eigene Färbung, der authentische Gefühlsausdruck. Die in manchen Sakralwerken ihres Bruders störende Glätte der Problemlösung findet sich in Fannys dunkler getönter Klangsprache nicht.“
Neue Presse, Coburg, 31.5.1984
„Bereits die ersten Takte der Introduktion ließen eine Tausendschaft an Konzertbesuchern aufhorchen. Im Unterschied zu ihrem Bruder scheut sich Fanny nicht vor gerade exzessiven Ausbrüchen. Ihr Werk gräbt sich tief ins Bewusstsein ein, besitzt mehr innere, durch eine überaus originelle Harmonik und durch überraschende Polythematik faszinierende Glut. Bleibt das Fazit: ein bedeutendes Werk einer bedeutenden Komponistin.“
Clara Wieck (1819-96)
Anders als Fanny Hensel konnte die Komponistin und Pianistin Clara Wieck (1819-96) unter der sorgfältigen Anleitung ihres Vaters, des Theologen und Musikpädagogen Friedrich Wieck, schon als junge Frau sehr erfolgreich in der Öffentlichkeit auftreten. Er brachte sie in Kontakt mit den führenden Musikern seiner Zeit und sorgte für die Veröffentlichung ihrer Kompositionen. „Sie stand an der Schwelle einer internationalen Karriere, sichtbar durch die Ernennung zur k.k. Kammervirtuosin in Wien, am 4. März 1838, eine für die noch minderjährige Ausländerin und Protestantin ungewöhnlich hohe Auszeichnung. Dafür dankte sie mit dem ‚Souvenir de Vienne‘ op. 9, einem Impromptu über die Kaiserhymne.“[8] Als sie aber beschloss, den labilen und finanziell ungesicherten Robert Schumann zu heiraten, stellte sich der Vater quer. Sie musste die Eheschließung gerichtlich erkämpfen. Dafür schrieb ihr Robert im Juni 1839: „Erreiche ich nur das, dass Du gar nichts mehr mit der Öffentlichkeit zu tun hättest, wäre mein innigster Wunsch erreicht. Das bisschen Ruhm auf dem Lumpenpapier, was Dein Vater als höchstes Glück auf der Welt betrachtet, verachte ich.“[9]
Clara Wieck und Robert Schumann planten eine Künstlergemeinschaft nach frühromantischem Vorbild
Clara Schumann meisterte 10 Schwangerschaften in 14 Ehejahren und organisierte den Haushalt ebenso wie die Tourneepläne für gemeinsame Konzertreisen nach Norddeutschland (1842), Rußland (1844), Wien (1846) und Holland (1853), die für sie künstlerisch und finanziell überwiegend erfolgreich verliefen, für Robert aber hohe psychische und physische Strapazen darstellten.
„Clara Wieck und Robert Schumann planten eine Künstlergemeinschaft nach frühromantischem Vorbild, die eine Verschmelzung beider Individuen im künstlerischen Prozess imaginierte. Sie sollte dem prosaischen Alltag standhalten. (…) Zwischen 1841 und 1854 gebar sie acht Kinder, von denen sieben das Erwachsenenalter erreichten. Trotzdem inszenierte sie mit Felix Mendelssohn-Bartholdys Hilfe am 31. März 1841 ihr erfolgreiches Come-back als Virtuosin unter ihrem neuen Namen Clara Schumann.“[10]
Clara Schumann wurde erst von der Frauenmusikforschung in den 1970er Jahren wiederentdeckt
Nach dem Tod Roberts 1856 komponierte sie so gut wie nichts mehr. In späteren Jahren lehrte sie am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main.[11] Ihr Markenzeichen war „eine bestimmte Interpretationshaltung, die man schon im 19. Jahrhundert als ‚Werktreue‘ bezeichnete. Sie war geprägt durch Textgenauigkeit und eine intensive Beschäftigung mit der Autorenintention.(…) Clara Schumann in Frankfurt am Main, Johannes Brahms in Wien und Joseph Joachim in Berlin bildeten seit Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein so wirkungsmächtiges Trio, dass die Namen noch lange nach ihrem Tod synonym für eine wertkonservative Haltung standen, die sich unverbrüchlich am ‚Meisterwerk‘ orientierte, und gegen die die Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts Sturm liefen.“[12]
Als Komponistin geriet Clara Schumann nach ihrem Tod rasch in Vergessenheit und wurde erst von der Frauenmusikforschung in den 1970er Jahren wiederentdeckt. Besonders ihr Klavierkonzert überzeugt durch seinen lebhaften, teils schwärmerischen Gestus und hat Spuren im Klavierkonzert Robert Schumanns hinterlassen. Der künstlerische Austausch mit dem Ehemann zeigt sich auch in Clara Schumanns Klavierliedern, die durch phantasievolle melodische Erfindung und einfühlsam auf den Text bezogene Klavierbegleitung gekennzeichnet sind. Sie führten nicht nur ein gemeinsames Tagebuch. Ihnen „gelang das erste (und einzige) Projekt unter einer Kollektivsignatur, nämlich die Vertonung von zwölf Gedichten aus Friedrich Rückerts Zyklus ‚Liebesfrühling‘. Die Lieder erschienen 1841 unter beider Namen als Clara Schumanns op. 12 und Robert Schumanns op. 37, ohne dass die Autorschaft der einzelnen Lieder preisgegeben wurde.“[13]
Lisa Strassberger / Bild: Tim Reckmann/pixelio.de
(Zweiter Teil folgt)
[1] Günderode, Karoline von: Sämtliche Werke und ausgewählte Studien. Historisch-Kritische Ausgabe; hg. von Walter Morgenthaler; Basel, Frankfurt am Main: Neuauflage 2006.
[2] Droste-Hülshoff, Annette von: Sämtliche Gedichte. Frankfurt am Main: Insel Verlag 1988, vgl. http://www.wortblume.de/dichterinnen/amturme.htm
[3] Stephan, Inge: Kunstepoche, in: Deutsche Literaturgeschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2008, 182-238, S.211.
[4] Stephan, Kunstepoche, 209f.
[5] Blankenburg, Elke Mascha: Rosen für Fanny Mendelssohn, http://www.mascha-blankenburg.de/fanny_mendelssohn.html, aufgerufen am 26.2.2016.
[6] http://www.mascha-blankenburg.de/biografie.html, aufgerufen am 26.2.2016
[7] Blankenburg, Elke Mascha: Rosen für Fanny Mendelssohn, http://www.mascha-blankenburg.de/fanny_mendelssohn.html, aufgerufen am 26.2.2016.
[8] http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Clara_Schumann, aufgerufen am 26.2.2016.
[9] Goertz, Wolfram: Das eiskalte Genie, in: Zeit online, 10. Februar 2005, zitiert Preiß, Friederike: Der Prozess. Diss 2005, auf http://www.zeit.de/2005/07/R_Schumann , aufgerufen am 26.2.2016.
[10] http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Clara_Schumann, aufgerufen am 26.2.2016.
[11] Vgl. Klassen, http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/clara-schumann-geb-wieck/, aufgerufen am 26.2.2016
[12] Klassen, http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Clara_Schumann, aufgerufen am 26.2.2016.
[13] Klassen, http://mugi.hfmt-hamburg.de/Artikel/Clara_Schumann, aufgerufen am 26.2.2016.