Im November 2016 hat die ruandische Bischofskonferenz um Entschuldigung für die Beteiligung der Kirche am Genozid von 1994 gebeten. Dafür erntet sie Gegenwind – aus der Politik und den eigenen Reihen. Ein Kommentar von Katharina Peetz.
1994 wurde Ruanda von einem Genozid erschüttert, bei dem in nur drei Monaten zwischen 800.000 und 1.000.000 Menschen ermordet wurden. Die Rolle der Katholischen Kirche war dabei höchst ambivalent: Viele Kirchenangehörige setzten sich unter Gefährdung des eigenen Lebens für Verfolgte ein, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Jedoch waren katholische Priester, Ordensleute und Laien auch direkt am Morden beteiligt und Kirchenräume wurden zu Schauplätzen von Massakern. Die Kirche als Institution – so die Wahrnehmung vieler Überlebender – zeichnete sich vor allem durch tatenloses Zuschauen aus. Zum Abschluss des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit, am 20. November 2016, äußerte die Katholische Kirche in Ruanda nun eine Entschuldigungs- und Vergebungsbitte, die in allen ruandischen Gemeinden verlesen wurde.
Im Namen aller Christen
In dem etwa drei Seiten umfassenden Dokument heißt es: „Wir entschuldigen uns im Namen aller Christen für die verschiedenen Verbrechen, wir sind traurig darüber, dass einige der Unseren ihr durch die Taufe eingangenes Gelübde brachen. […] Wir entschuldigen uns für alle Sünden des Hasses und der Spaltung, die in unserem Land geschaffen wurden, bis dahin, dass wir unsere Landsleute wegen ihrer Volkszugehörigkeit hassten. Wir bitten um Vergebung […] Wir entschuldigen uns für alle Hirten, die Konflikte schürten und die Saat des Hasses säten.“ [1] Die Verbrechen, die während des Genozids begangen wurden (Morde, Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Plünderungen…) werden zwar nicht näher bezeichnet. Dass aber die Täter*innen aus der Kirche selbst stammten, ja auch Priester („Hirten“) daran beteiligt waren, wird klar benannt. Täter*innenschaft wird dabei gleichgesetzt mit dem Brechen des Gelübdes, das jede*r Christ*in im Sakrament der Taufe gegenüber Gott abgelegt hat sowie mit dem Ungehorsam gegenüber seinen Geboten. Als Ursachen für den Genozid werden „ethnischer Hass“ und „Spaltung“ genannt, die auch von Priestern und Ordensleuten der Kirche „geschürt“ und „gesät“ wurden.
Täter und Täterinnen stammen auch aus der Kirche. Auch Priester waren beteiligt.
In den Blick genommen werden die Ermordeten und die Überlebenden und insofern auch die Folgen des Genozids. Sie sind der Adressat der Vergebungsbitte, die zugleich auch an Gott gerichtet, also theologisch verortet ist. So wird sie gerahmt von einem einleitenden Dank an Gott für Leben, Vorfahren, Land und Kultur sowie einem Versprechen auf eine bessere Zukunft hin. „Wir wollen unser Christentum echter leben und gegen jedwede Ideologie auftreten, die zu so einem Völkermord führen kann.“ [2] Die Verabschiedung der Erklärung zum Abschluss des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit zeigt zudem an, dass die Bischöfe ihr Bekenntnis von Schuld und ihre Bitte um Vergebung ganz bewusst in den Kontext von Gottes je größerer Barmherzigkeit stellen.
Unangemessene Vergebungsbitte?
In der ruandischen Öffentlichkeit wurde vor allem der späte Zeitpunkt der Vergebungsbitte kritisiert: „[…] why this statement now? It has been 22 years since the horrors befell our country. Why didn’t this mea culpa come when the wounds were still fresh?” [3] Auch die ruandische Regierung reagierte ungehalten auf den Text der Bischofskonferenz. So hätten sich die Bischöfe lediglich in einer allgemeinen Art und Weise für einige Verbrechen entschuldigt, die von einigen nicht namentlich genannten Mitgliedern der Katholischen Kirche während des Genozids gegen die Tutsi begangen worden seien.
Dies sei zwar als individuelle Bezeugungen von Reue willkommen, jedoch verweise das darauf, wie weit die Katholische Kirche noch von einem ernsthaften Eingeständnis ihrer moralischen und rechtlichen Verantwortung für den Genozid entfernt sei. Unangemessen sei die Erklärung, weil sie im Namen einiger, nicht namentlich genannter Individuen um Vergebung bitte und so versuche, die Katholische Kirche als Ganze von jedweder Schuld für den Genozid freizusprechen. [4] „Everything in the historical record contradicts this divisive claim.“
[5] Zudem hätten sich einige Priester geweigert, die Erklärung der Bischöfe in ihren Gemeinden zu verlesen und sich somit sogar von diesem lauen Ausdruck des Bedauerns distanziert. Schließlich biete das Ausmaß der genozidären Verbrechen genügend Rechtfertigung für eine Entschuldigung des Vatikans, wie dies in anderen Fällen geringeren Ausmaßes wiederholt geschehen sei.
[6]
Wäre nicht eine Vergebungsbitte des Vatikan erforderlich?
Die ruandische Regierung hält also an der These von der institutionellen Schuld der Katholischen Kirche am Genozid fest. Diese institutionelle Schuld müsse zunächst bekannt werden, bevor man von einem ernsthaften Eingeständnis der moralischen und rechtlichen Verantwortung der Katholischen Kirche für den Genozid sprechen könne. In ihrer Erklärung, die in ganzer Form bisher nur auf Kinyarwanda erschienen ist, lehnen die Bischöfe eine institutionelle Schuld der Kirche aber ab: Es war nicht die Kirche, die Menschen mit Waffen in der Hand losgeschickt hat, um Menschen zu ermorden. Dennoch sehen sich die Bischöfe in der Verantwortung, sich zu entschuldigen: „Obwohl die Kirche niemanden losschickte, um Böses zu tun, entschuldigen wir, der katholische Klerus, uns für einige Kirchenmitglieder, Kleriker, Diener Gottes und Christen im Allgemeinen, die eine Rolle beim Völkermord an den Tutsi 1994 spielten.“ [7] Die Debatte in Ruanda dreht sich damit um die Frage, ob die heilige Kirche als Kirche Schuld auf sich laden und damit sündig werden kann.
Ein angemessener Schritt im Friedens- und Versöhnungsprozess!
Ich möchte – gegen die Kritik der ruandischen Regierung – dafür argumentieren, dass die Vergebungsbitte der Bischöfe ein wichtiger und angemessener Schritt im Friedens- und Versöhnungsprozess Ruandas war.
Für eine solche Position spricht zunächst, dass es sich nicht um die erste Vergebungsbitte handelt, die angesichts des Genozids von kirchlichen Akteuren in Ruanda ausgesprochen wurde. Vor allem rund um das Heilige Jahr 2000 haben einzelne Bischöfe, aber auch die Gesamtheit der Bischöfe Vergebungsbitten geäußert. Am 30. Dezember 1999 bat der Bischof von Kibungo öffentlich um Vergebung für alle Fehler, Sünden, Versäumnisse und Handlungen, die von Ruander*innen und insbesondere Christ*innen seiner Diözese begangen worden seien und die gespeist durch ethnischen Hass letztlich zu Massakern und Genozid geführt hätten. Anlässlich des Gottesdienstes zur Feier des einhundertjährigen Bestehens der Katholischen Kirche in Ruanda im Jahr 2000 bat der Erzbischof von Kigali im Namen unterschiedlicher Kategorien von Täter*innen um Vergebung und schloss dabei alle Geweihten ein, die in Zeiten der Spaltung und des ethnischen Hasses nicht für Einheit und Brüderlichkeit eingestanden seien. Ebenso bat er um Vergebung für diejenigen Verantwortlichen der Kirche, die in ihren Beziehungen zum Staat nicht weitsichtig genug gewesen seien, die Bevölkerung nicht aufgeklärt und nicht genug Mut gehabt hätten, Böses zu benennen und diejenigen zu verteidigen, die unter Ungerechtigkeiten gelitten hätten. [8]
In ihrer Vergebungsbitte, die die ruandischen Bischöfe im Februar 2001 in einem Gottesdienst im Stadium Amahoro öffentlich aussprachen, nahmen sie zunächst die Söhne und Töchter der Kirche in den Blick, die sich von ihrem Glauben abgewendet hätten und nicht Zeug*innen der Liebe Gottes gewesen seien: „à un moment donné, ils devaient fustiger le mal et […] ils ne l’ont pas fait“ [9]. Daneben baten die Bischöfe aber auch um Vergebung für die Priester, die sich nicht durch Barmherzigkeit ausgezeichnet, sondern Christ*innen gegeneinander aufgestachelt hätten [10]. In den unterschiedlichen Bitten wird damit insgesamt nicht nur ein Versagen von Laien, sondern auch ein Versagen der Verantwortlichen in der Kirche benannt. Eine Stärke der Vergebungsbitte von 2016 liegt daher auch darin, dass sie unterschiedliche Ebenen menschlicher Verantwortung für den Genozid unterscheidet und betont, dass Christ*innen auf allen Verantwortungsebenen schuldig geworden seien: Laien, Ordensleute und Priester haben gemordet, den Genozid ausgeführt und geplant.
Die entscheidende Frage: Wer verkörpert Kirche?
Für mich ist auch das Verständnis von Kirche, das hinter der Forderung der ruandischen Regierung nach einer offiziellen Entschuldigung des Vatikans steht, problematisch: Eine Vergebungsbitte durch die Repräsentanten der Ortskirche erscheint demnach weniger angemessen als durch den Repräsentanten der Weltkirche. Nach Stephan Jütte steht es in der Tat nicht jedem zu, stellvertretend um Vergebung zu bitten. Wer das dennoch tut, ist darauf angewiesen, dass er in den Augen der Adressat*innen dazu berechtigt ist. Die Adressat*innen der Vergebungsbitte sind für mich primär die Opfer, die Überlebenden und Gott, nicht die ruandische Regierung. Es kommt also darauf an, ob sie sich durch die Vergebungsbitte angesprochen fühlen. So bitten die Bischöfe um Vergebung für etwas, das sie nicht selbst getan haben, sie übernehmen Verantwortung in ihrer Funktion als Bischofskonferenz. Sie werden so zur Verkörperung der Kirche, die durch ihre Bitte um Vergebung ein anderes Verhältnis zu den Opfern und Überlebenden des Genozid zum Ausdruck bringen will. So übernimmt die Bischofskonferenz als Verkörperung der Kirche in ihrem Akt der Verantwortungsübernahme die Perspektive der Opfer und darin könnte anfängliche Genugtuung für die Opfer liegen. [11]
Nicht jedem steht es zu, stellvertretend um Vergebung zu bitten.
Dass die Vergebungsbitte von ihren Adressat*innen als angemessen eingeschätzt werden kann, zeigt sich exemplarisch an den folgenden Überlegungen einer Überlebenden aus dem Raum Rukoma-Remera. „For me, I think it is a good step forward and this is also a good example because this showed even if not all of the Catholic Church members committed genocide there are some of them who did. So this is a very good practice that they decided to ask for forgiveness because of what those people had done. I think it was very good to be a model, so that people may repent because in Churches people died there, many people died there. This prevented even some people from going to Church, because they were saying Churches were for praying, but now people were killed inside. So it is an example for all the churches. Especially as people sought refuge in those churches hoping to have peace there but unfortunately they found themselves killed in that holy place. This is a good example for asking for forgiveness because anyway the Church has had some role in what happened. Because the Church involves all the people, it includes all the citizens, so this has been a very good practice.“[12]
Schließlich ist die Erklärung kein Abschluss, sondern Teil eines Prozesses, der weitergehen wird. Philippe Rukamba betont, dass die Kirche auch 2019 wieder um Vergebung bitten werde, wenn sich das Gedenken an den Genozid zum 25. Mal jährt. [13] Diese Aussage deute ich so, dass die katholischen Bischöfe in Ruanda ihre Verantwortung für den Friedens- und Versöhnungsprozess ernst nehmen. Es geht nicht darum, mit einer einzelnen Vergebungsbitte einen Schlussstrich zu ziehen. Immer wieder neu sind Akte symbolischer Reparation zu setzen. Angesichts bleibender Unversöhntheit und menschlicher Unvollkommenheit tut eine kirchliche Haltung gut, die nicht abschließen, sondern im pastoralen Einsatz für Opfer und Täter*innen und durch symbolische wie materielle Reparationen Zukunft eröffnen will.
Anmerkungen:
[1] Dominik Johnson, Völkermord: Katholische Kirche entschuldigt sich, in: taz.de vom 22.11.2016, http://www.taz.de/!5356242/
[2] Radio Vatican Beitrag “Ruanda: Mea Culpa der Bischöfe“ vom 23.11.2016, http://de.radiovaticana.va/news/2016/11/23/ruanda_mea_culpa_der_bisch%C3%B6fe/1274137
[3] Sunny Ntayomby, The Catholic Church: When an apology isn’t an apology, in: The NewTimes vom 22.11.2016, http://www.newtimes.co.rw/section/article/2016-11-23/205617/
[4] Republic of Rwanda, Ministry of Local Government, Statement on the message of Rwandan Catholic Bishops vom 23.11.2016, http://www.minaloc.gov.rw/index.php?id=469&tx_ttnews[tt_news]=502&cHash=d27136e84289eea685dece5c0d576f64
[5] Ebd.
[6] Vgl. ebd.
[7] Dominik Johnson, Völkermord: Katholische Kirche entschuldigt sich, in: taz.de vom 22.11.2016, http://www.taz.de/!5356242/
[8] Vgl. Tharcisse Gatwa/ Laurent Rutinduka (Hg.), Histoire du christianisme au Rwanda. Des orignies à nos jours, Yaoundé 2014, 320-321.
[9] Ebd. 322.
[10] Vgl. Ebd. 322.
[11] Vgl. Stephan Jütte, Kollektivsubjekte: Schuld oder Verantwortung? in: Julia Enxing/Katharina Peetz (Hg.), Contritio. Annäherungen an Schuld, Scham und Reue, Leipzig 2017 [im Erscheinen].
[12] Überlebende des Genozids von 1994, Interview mit der Autorin im Raum Rukoma-Remera am 04.01.2017.
[13] Les évêques rwandais demandent pardon pour le génocide, in: Urbi & Orbi Africa vom 22.11.2016, http://urbi-orbi-africa.la-croix.com/afrique/jubile-de-misericorde-pardon-eveques-rwandais-genocide/
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Dr. Katharina Peetz ist Theologin und arbeitet an einem Forschungsprojekt zu „Gelebter Theologie“ am Beispiel Ruandas. Für dieses Vorhaben hat sie soeben mehrere Monate im Land verbracht.