Die Kolumne für die kommenden Tage 53
Am 5. März war ich zu einer Besprechung am Zentrum für Digitale Innovationen Mainfranken (ZDI) eingeladen. Eine kleine Gruppe unterschiedlichster Akteur*innen überlegte, in welchem Rahmen wir ein Kirchenbarcamp veranstalten könnten. Am Ende ging es um einen konkreten Termin, möglichst an einem Samstag im laufenden Kalenderjahr. Schließlich meldete ich mich zu Wort: „Wenn ich dabei sein soll, geht es nur noch an zwei Samstagen dieses Jahr. Alle anderen Wochenenden sind schon belegt.“
Großes Erstaunen und Kopfschütteln. Auch ich war irgendwie peinlich berührt. Wie konnte es nur soweit kommen, dass ich für 2020 schon dermaßen verplant bin? In den darauf folgenden Wochen änderte sich auch für mich – Corona bedingt – vieles. Inzwischen habe ich das achte Wochenende in Folge ohne feste Termine verbracht. Die Umstellung auf die neue Freiheit fiel mir nicht schwer.
Normalerweise muss ich aus unserem Kloster fliehen, wenn ich unerkannt abschalten und mich erholen möchte. Durch Besuchsverbote, die Schließung der auf unserem Gelände befindlichen Schule und des Bildungshauses herrscht kaum noch Publikumsverkehr. Nun erlebe ich auf einmal zuhause, was Menschen empfinden, wenn sie zu uns kommen: Entschleunigtes Leben und klösterliche Ruhe. So konnte ich in meinem Homeoffice im Garten sitzend schon ein paar Artikel schreiben, deren Einsendeschluss noch Zeit gehabt hätte. Freilich ist diese Privatheit teuer erkauft. Einem Teil unserer Mitarbeiter*innen mussten wir Kurzarbeit verordnen.
Die enormen finanziellen Einbußen machen der Kongregation zu schaffen. Mit den Verantwortlichen unserer Konvente und Einrichtungen in Deutschland, USA und Südafrika habe auch ich Krisenpläne ausgearbeitet und Maßnahmen zum Schutz der Schwestern mit den überwiegend alten und hochbetagten Mitgliedern implementiert. Mit vielen Schwestern und Mitarbeiter*innen stehe ich per Telefon oder Videokonferenzen in Kontakt. Jede Woche, in der wir von Infektionen mit COVID-19 verschont bleiben, ist ein Grund zur Dankbarkeit und hilft uns, die neuen Abstände oder verstärkten Hygienevorschriften besser einzuhalten und uns so für den Ernstfall v. a. in den Einrichtungen der Jugend- und Altenhilfe zu rüsten.
Da es derzeit nicht so viel im Lokalteil zu berichten gibt, schaffte es vor kurzem ein Land in die hiesige Mainpost, über das es sonst nicht so viel zu lesen gibt: Eine ganze Seite Reportage über die Zentralafrikanische Republik. Ich war wie elektrisiert. In diesem wirtschaftlich armen Land im Herzen Afrikas hatte ich 1993/94 zehn Monate lang einen Freiwilligeneinsatz absolviert. Und ich habe dort vieles gelernt, woran ich jetzt in der von Unsicherheit geprägten Zeit anknüpfen kann: Das aufmerksame Leben im Hier und Jetzt. Menschen, die aufgrund ihrer bitteren Armut mit ständigen Bedrohungen durch Krankheit, Naturgewalten oder Krieg konfrontiert sind, können nur schwer planen. Sie sind darauf angewiesen, von der Hand in den Mund zu leben. Es macht nur bedingt Sinn, Vorsorge zu treffen für das Morgen.
Ich habe vierjährige Kinder an Wurmkrankheiten sterben sehen in den Armen ihrer Eltern, weil die nötigen Medikamente fehlten. Etliche Mütter überlebten die Geburt ihres x-ten Babys nicht. Junge Erwachsene konnten sich vor HIV nicht schützen. Selbst erkrankte ich dreimal an Malaria und wusste nicht, ob ich diese Art Fieber – 700 Kilometer von der Hauptstadt Bangui – entfernt, wohl überleben werde. Noch dazu ohne Telefon- und Internetverbindung. Wenn es drei Tage regnete, waren die Pisten so aufgeweicht, dass es unmöglich wurde, zur Erwachsenenbildung in die Dörfer zu fahren. Alternativen zum Auto gab es nicht. Da hieß es eben: Zuhause in Ndélé bleiben und mit den Schwestern und Brüdern der Missionsstation „Mensch-ärgere-dich-nicht“ spielen.
Die Menschen ertrugen existentielle Schicksalsschläge mit einer Mischung aus Fatalismus und Gottvertrauen. „Nzapa a yeke“, kommentierten sie die unvorhersehbaren Umstände in der Sprache Sango. „Nzapa a yeke“, das meint so viel wie „Gott ist“, „Gott lebt“, bedeutet aber auch „Gott ist Gott“ oder „Gott ist größer und erhabener als diese Situation“. Wer weiß, warum es so ist, wie es gerade ist.
Mich in diese größere Weite und Unergründlichkeit Gottes hineinzustellen, fühlte ich mich mehr und mehr eingeladen. „Nzapa a yeke!“ Das war keine Floskel, sondern eine tiefe Lebensweisheit von Menschen, denen ich für meine Lebenseinstellung und meinen Glauben viel verdanke. In diesem Sinn lautet mein weltumspannendes Gebet derzeit: „Nzapa a bata ala“ – „Gott, behüte sie alle!“
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Sr. Katharina Ganz OSF, Dr. theol., Dipl. Soz.päd (FH) ist Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen im Kloster Oberzell bei Würzburg.
Bild: Rainer Bucher