„Eine Politik der Gemeinsamkeiten“, wie sie Doris Strahm fordert, würde eine Solidarität und Offenheit unter den Feminist*innen erfordern. Dass der Weg dahin noch lang ist und welchen Herausforderungen sich eine feministische katholische Theologin im „real life“ stellen muss, beschreibt Berenike Jochim-Buhl.
Während meines Studiums galt für mich: „Wenn man mir ansieht, was ich studiere, höre ich damit auf.“ Ich habe Latein, katholische Theologie und Philosophie studiert. Heute geht es mir manchmal ähnlich, allerdings mehr in der Art: „Hoffentlich fragt er oder sie mich jetzt nicht, was ich beruflich mache.“ Die Antwort „Ich promoviere in Theologie“, löst wahlweise Erschrecken, Erstaunen oder Unverständnis aus. Manchmal flackert noch ein Fünkchen Hoffnung in der Folgefrage auf: „Aber dann in evangelischer Theologie, oder?“. Wenn die Betroffenheit ganz schlimm ist, kann ich mich noch damit retten, dass ich erkläre, im Grunde meines Herzens eigentlich Philologin zu sein, daher der Fachbereich Altes Testament. Alte Texte und so.
Wenn man mir ansieht, was ich studiere, höre ich damit auf.
Kaum ein anderes Studienfach, kaum eine wissenschaftliche Disziplin lässt einen so schnell in eine Situation der Rechtfertigung geraten wie katholische Theologie. Vielleicht spielt dabei auch der Umstand eine Rolle, dass man mir mein Metier nicht ansieht und dass ich mich außerhalb der katholischen Fakultät in eher kirchenfernen Kreisen aufhalte. Grundproblem scheint bei all dem ein Schubladendenken zu sein. Schon die Vorstellung, man könnte am Äußeren ablesen, in welcher Berufssparte jemand arbeitet, ist natürlich höchst stereotyp. Und doch bestätigt sich ein solcher erster Eindruck in vielen Fällen.
Grundproblem: Schubladendenken
Ich habe grundsätzlich kein Problem damit, Theologin zu sein und leide auch nicht unter einem Selbstwertkomplex. Aber es stört mich, wenn Menschen in meinem Umfeld denken, ich hätte die gleiche Position zu Sexualität, Homosexualität, zu Gender, Queerness und Transidentitäten, zu unehelichen Kindern oder Fragen der Verhütung wie das katholische Lehramt. Es geht dabei nicht um so Spitzfindigkeiten wie die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion – von solchen Details haben meine Bekannten und Freund*innen keinen blassen Schimmer.
In queeren Gruppen ist es mir peinlich, mich als Theologin zu „outen“. Das ist irgendwie absurd. Wenn ich anfange, mich zu rechtfertigen – „Ich bin total eurer Meinung und finde das Kondomverbot auch das Letzte, bin als Feministin Kämpferin für die Gleichberechtigung, kann den Zölibat nicht gutheißen und nein, ich halte euch auch nicht für krank oder unwürdig, weil ihr gleichgeschlechtlich liebt“ – , dann habe ich trotzdem das Gefühl, als wäre ich keine „echte“ Feministin. Würde die sich wirklich mit den Gegebenheiten des Systems katholische Kirche arrangieren? Ich habe das Gefühl, ich werde trotz erleichtertem Lächeln der Anwesenden irgendwie als verdächtig und suspekt eingestuft. Achtung, Feind hört mit!
In queeren Gruppen ist es mir peinlich, mich als Theologin zu „outen“.
Passt auf, was ihr vor der frommen Moralapostelin von euch gebt! (Apostelin, schön wär’s!) Erst neulich erzählte mir eine plastische Chirurgin begeistert von ihrem ersten selbst gebauten „Penoid“. Dann ein betretener Seitenblick auf mich, unsicher, was ich als Theologin von geschlechtsangleichenden Operationen halte. Sie war überrascht und erleichtert, dass ich es großartig finde, wenn sie dabei helfen kann, dass Menschen sich in ihrem Körper wohlfühlen und ein glückliches, selbstbestimmtes Leben führen können. Dank eines funktionierenden Penoids sogar mit erfülltem Sexleben!
Kräuterhexe, Pfarrerin oder katholische Theologin? Worin bitte besteht der Unterschied?
Ich fühle mich schizophren, wenn ich auf der einen Seite kirchenfernen Freunden, die sich von mir verheiraten lassen wollen, bei der Absage auf diese naiv vorgetragene Bitte erst einmal den Unterschied zwischen Kräuterhexe, Pfarrerin und katholischer Theologin erklären muss, andererseits aber den Wunsch eines befreundeten lesbischen Paares, für sie eine freie Trauung zu gestalten, wenn sie heiraten, gerne von Herzen erfüllen möchte. Ich fühle mich nicht authentisch, wenn ich als Privatperson über Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs fassungslos bin, meine Lektüre sich mit den Themen Genderqueerness und Non-Binarität, mit alternativen Familienmodellen zwischen Transgeschlechtlichkeit, Homosexualität und Patchwork beschäftigt, ich mich mit Freund*innen über den positiven Effekt von Masturbation während des Geburtsprozesses und die #metoo-Debatte unterhalte, während ich in kirchlichen Kreisen schon mit dem Wort „Gender“ entsetzte Blicke auslöse (ausgenommen Tagungen, auf denen sich eine Art eingeweihter „Geheimbund“ von Theolog*innen trifft, die von Gender keinen Ausschlag kriegen). Und ja, all die genannten Themen haben etwas mit Feminismus zu tun. Es geht um Geschlechterordnungen, Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Menschenwürde. Feminismus ist nicht nur die Frauenfrage. Selbst Feminist*innen geraten des Öfteren in das oben genannte Schubladendenken, wenn sich Vertreter*innen der sogenannten Dritten Welle – Stichwort Netzfeminismus, Riot-Grrrls, Slutwalk – abfällig gegen „Emma-Emanzen“ der Alice-Schwarzer-Generation äußern.
Feminismus ist nicht nur die Frauenfrage.
Von wegen „Solidarity, Sister!“. Wenn fehlender Support und mangelnde Zusammenarbeit schon zwischen den unterschiedlichen feministischen Gruppierungen und Generationen zu konstatieren ist, wie soll dann ein Netzwerk zu Feminist*innen innerhalb der Kirche und Theologie geknüpft werden? Wie soll eine Politik der Gemeinsamkeit gesellschaftlichen Einfluss nehmen, wenn schon Kirche an sich den säkularen Feminist*innen verdächtig erscheint? Patriarchal, hierarchisch, heteronormativ, konservativ mit einer inakzeptablen Sexualmoral und Körperpolitik.
Als Theologin bin ich außerhalb von Theologie und Kirche unter Verdacht. Als Feministin bin ich innerhalb der Kirche unter Verdacht. Wie kann ich beides sein und als Person authentisch bleiben?
Als Theologin bin ich außerhalb von Theologie und Kirche unter Verdacht.
In „Untenrum frei“ schreibt die Autorin und Journalistin Margarete Stokowski sehr persönlich, aber mit wissenschaftlichem Tiefgang über Sex, Macht und Feminismus. Es geht ihr um Ent-Opferung und sie zeigt: Das Private ist immer noch politisch. Die Freiheit im Kleinen und die Freiheit im Großen hängen so eng zusammen, dass sie im Grunde dieselbe sind. Eine Übertragung auf die Situation von Kirche, Gesellschaft und Feminismus würde bedeuten, ich kann nur „untenrum frei“ sein, wenn ich es auch „obenrum“ bin. Unter „untenrum“ subsummiere ich all die genannten Themenbereiche um Sex und Gender, das „Obenrum“ wäre nach Stokowski „unser Verständnis von uns selbst und den anderen“.[i] Die Abhängigkeit von Machtinstitutionen, von hierarchischer Ordnung, vom eigenen Denken und seinen Schubladen blockiert mich selbst in der Konfrontation verschiedener Haltungen, im Aufeinandertreffen dessen, was ich sein will und wie ich sein soll, es blockiert mein Denken, mein „Obenrum“, aber es hemmt auch meine Kommunikation zu anderen, innerhalb und außerhalb von Kirche und Theologie.
Ich kann nur „untenrum frei“ sein, wenn ich es auch „obenrum“ bin.
Ich habe katholische Theologie studiert, weil ich Futter für meinen Geist suchte. Dabei hat mich die Vieldimensionalität des Faches gereizt, die Bandbreite der Disziplinen herausgefordert, die Relevanz für Menschen und Gesellschaft gestern und heute überzeugt. Mit dieser Vieldimensionalität möchte ich in die Vielfalt der Welt eintreten. Als Theologin will ich nie aufhören, Futter für meinen Geist zu suchen und im Gegentausch Futter für den Geist anzubieten. Auch wenn das bedeutet, dass ich vielleicht nur vereinzelte Brosamen ausstreue oder meine Brocken niemandem schmecken. Als Theologin verstehe ich mich als transdisziplinäre kulturelle „Austauschperson“ in der Gesellschaft. Als Theologin bin ich auch im Privaten politisch. Meinen Glauben gebe ich nicht an der Garderobe ab, wenn ich abends in eine Bar gehe (so ähnlich hat das auch mal Frank Walter Steinmeier gesagt, als er noch Außenminister war). Zum geistigen Futter gehört auch mein Feminismus und auch ihn kann und will ich nicht an der Garderobe abgeben, egal ob vor der Bürotür oder dem Kirchenportal. Als Konsequenz daraus werde ich wohl noch einige unangenehme Rechtfertigungssituationen erleben, aber mit Sicherheit auch viele gewinnbringende, überraschende und lohnenswerte Begegnungen und Gespräche. Egal ob ich als feministische Theologin anecke oder als theologische Feministin irritiere: es geht um die stereotype Schublade, aus der mich der oder die Gesprächspartner*in gedanklich herausholen muss.
Als Theologin verstehe ich mich als transdisziplinäre kulturelle „Austauschperson“ in der Gesellschaft.
Wenn wir uns alle mehr aufeinander anstatt auf Klischees einlassen, geht es am Ende vielleicht sogar um das wirklich Wichtige: gemeinsam für Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Menschenwürde zu kämpfen. Solidarität ist in unserer zersplitterten postmodernen Welt nötiger denn je. Vielleicht müssen wir dazu ab und an unser Denken überdenken. Wenn wir so „obenrum“ frei sind, ist das mit dem „untenrum frei“ auch nicht mehr schwer. Das schönste Kompliment in diesem Fall ist für mich immer noch: „Du bist Theologin?! Das hätte ich jetzt gar nicht gedacht!“
Berenike Jochim-Buhl ist wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Altes Testament der Katholisch-Theologischen Fakultät in Tübingen.
Bild: Alice Donovan Rouse / unsplash.com
[i] Margarete Stokowski, Untenrum frei, Reinbek bei Hamburg 2016, 143.