Hanspeter Schmitt kommentiert die Forderungen nach Obergrenzen für Asylsuchende.
Es gibt Worte, die wie Zauberformeln daherkommen. Sie machen die Runde, ziehen Gutgläubige in ihren Bann, weil sie vorgeben, jedes Problem im Handumdrehen zu lösen. Der Begriff „Obergrenze für Asylsuchende“ zählt derzeit zum Zauberinventar bestimmter politischer wie gesellschaftlicher Kreise und prägt die Debatte. Er wird seit Wochen grenzüberschreitend gehandelt, obschon er darauf zielt, Grenzen dicht zu machen und nationale Interessen gegen elementare Bedürfnisse fremder Menschen abzuschotten.
Zauberformel „Obergrenze“?
Sarkastisch kommentiert zeigt sich hier der fatale Rest einer ansonsten bröckelnden europäischen Einheit, indes sich alle wieder in ihre alten nationalistischen Denkmuster einmauern. Dass dies der Menschenrechtskultur zuwiderläuft, auf die man sich übrigens bei eigener Not selbstverständlich berufen würde, muss in einer solchen Situation entschieden festgehalten werden. Unabhängig von Herkunft, Stellung und sozialer Lage ist die Würde jedes Menschen zu wahren; in jedem Fall zu schützen sind von Krieg, Gewalt und Terror Bedrohte – so das europäische wie das schweizerische Recht!
Aber leben wir nicht in bedrohlichen Zeiten? Braucht es jetzt nicht einen fixen Zauberspruch wie die Kontingentierung auch des Asylrechts, selbst wenn es widersprüchlich und gegen die Menschenrechte ist: um wenigstens die nationale Wohlfahrt im Griff zu behalten?
… wenigstens die nationale Wohlfahrt im Griff behalten?
Niemand bestreitet, dass die aktuellen Flüchtlingsbewegungen eine enorme Herausforderung darstellen: mehr denn je leben Menschen bedroht und fliehen; die Zielländer scheinen heillos überfordert mit der effizienten wie rechtskonformen Gestaltung ihrer Anerkennungsverfahren; internationale Solidarität bei der Aufnahme und Verteilung asylberechtigter Personen gibt es kaum; die damit einhergehende politische Rat- und Tatenlosigkeit macht Bürger wie Amtsträger zunehmend nervös und für den Zauber nationaler Obergrenzen anfällig.
Politische Rat- und Tatenlosigkeit macht Bürger wie Amtsträger zunehmend nervös.
Wie bei jeder Zauberformel bleibt aber zu prüfen, ob sie mehr ist als nur „Hokuspokus“, eine Scheinlösung also, die viele begeistert oder beruhigt, aber keine echte Substanz hat. Wäre es – einmal abgesehen von Menschenrechten – nicht doch ein Weg mit zahlreichen positiven Effekten? Doch positiv für wen?
Zweifellos ist die nationale Sicherheit ein hohes Gut und die Sicherung der Grenzen daher eine hoheitliche Aufgabe des Staates. Die Grundidee dabei ist aber nicht Abschottung, sondern der geregelte Austausch zwischen Nationalitäten und Kulturen, so dass überall Räume humaner Entfaltung und Integration entstehen können.
Konkreter überlegt: Wohin sollen die zu uns kommenden Menschen zurückgedrängt werden, wenn der „Obergrenzen-Zauber“ greift: In die Arme von Frau Merkel, die aus humanitären Gründen Tausende vom Stacheldraht wegholte? Oder in einen benachbarten Staat, der sich dann um alles kümmern soll? Oder – wenn der Schengen-Raum einmal dicht ist – zurück ins Meer, zurück ins nackte Elend, so wie es all die Jahre „funktionierte“, als uns die Flüchtenden noch nicht leibhaftig, sondern nur via Fernsehen „zugemutet“ wurden?
Sicherung der Grenzen:
Die Grundidee ist nicht Abschottung, sondern der geregelte Austausch zwischen Nationalitäten und Kulturen, so dass überall Räume humaner Entfaltung und Integration entstehen können.
Solche „Argumente“ zeigen, dass dieser Zauber nicht nur faul, sondern menschenverachtend ist. Er mag dem Versuch geschuldet sein, kollektive Angst abzubauen, verrät jedoch nicht selten das Kalkül derer, die diesen Zauberstab schwingen und ihr „politisches Mütchen“ kühlen. Auf Dauer geholfen ist damit keinem.
Dabei hat die definitiv nur am Rand betroffene Schweiz ein besondere Chance, menschen-rechtlich überzeugende Impulse nach Europa zu senden: Sie kann – auch wenn es rechte Scharfmacher ungern hören – eine beispielhafte Tradition der Aufnahme bedrohter Menschen und Integration unterschiedlichster Kulturen vorweisen.
Die internationale Verursachung von Konflikten und Notlagen angehen
Sie besitzt zudem die Freiheit wie das politische und kulturelle Gewicht, über die internationale Verursachung regionaler Konflikte und Notlagen zu sprechen: unkontrollierbarer Waffenhandel, Stellvertreterkriege, weltwirtschaftlich organisierte Ausbeutung, profitgierig erzeugte Armut, ökologische Ignoranz und vieles mehr. Dies anzugehen schafft Hoffnung, die nicht auf faulem Zauber, sondern auf nachhaltigen Entwicklungen zum Wohl aller beruht.
(Hanspeter Schmitt, Bild: Siegfried Fries / pixelio.de)
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