Ochs und Esel dürfen bei einer Krippe nicht fehlen, sie gehören einfach dazu. Dabei werden in der Bibel gar keine Tiere an der Krippe erwähnt. Eine Spurensuche von Martin M. Lintner.
Ebenso die Schafe und bei vielen Krippen auch die Dromedare oder Elefanten der Weisen aus dem Morgenland! Obwohl der Evangelist Lukas, der die Geburt Jesu in Betlehem überliefert, mit keinem Wort irgendeines dieser Tiere erwähnt. Bei den Schafen ist es leicht verständlich, dass sie ihren Platz bei der Krippe gefunden haben, weil ja von den Hirten die Rede ist, die bei ihren Herden Nachtwache hielten. Aber Ochs und Esel und die anderen Tiere?
Bereits in der frühchristlichen Zeit wurden an der Krippe ein Ochse und ein Esel dargestellt, und zwar noch vor Maria und Josef. Der Hintergrund ist ein theologischer und hat mit der Vorstellung einer „Stall-Idylle“, wo Ochs und Esel in einer kalten Winternacht das Jesuskind mit ihrem Atem wärmen, nichts zu tun. Beim Propheten Jesaja findet sich folgender Vers: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis“ (Jes 1,3). Die Kirchenväter haben ausgehend von diesem Vers die Frage erörtert, ob die Menschen Jesus Christus als ihren Herrn erkennen und annehmen. Sie haben den Esel sinnbildlich als Symbol für die Heidenvölker und den Ochsen für das Volk Israel verstanden. Diese beiden Tiere vergegenwärtigen an der Krippe also alle Völker und machen deutlich, dass Christus der Erlöser aller Menschen ist: des jüdischen Volkes ebenso wie der heidnischen Völker. Nachdem die erwähnte Jesaja-Stelle im ursprünglichen Kontext Ausdruck der Kritik am damaligen Volk Israel war, uneinsichtig zu sein und sich von Gott abgewandt zu haben, werden Ochs und Esel an der Krippe auch als Mahnung verstanden, sich nicht törichter zu verhalten als diese beiden Tiere, sondern im neugeborenen Kind von Betlehem den Erlöser der Welt anzuerkennen und anzubeten. Ausdrücklich wird diese Verbindung im sogenannten Pseudo-Matthäus hergestellt, einer nichtkanonischen Schrift aus dem 6./7. Jahrhundert. Dort heißt es in den Marienlegenden, die die Kindheit Jesu beinhalten: „Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigten ihm. Da ging in Erfüllung, was der Prophet Jesaja gesagt hatte: Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“[1]
Ochs und Esel – Symbole der Armseligkeit des Stalls
Jahrhunderte später ist diese theologische Bedeutung von Ochs und Esel an der Krippe weitgehend in Vergessenheit geraten. Jedenfalls hat der hl. Franziskus den beiden Tieren eine andere Funktion gegeben. Franz von Assisi war der erste, der zu Weihnachten ein Krippenspiel veranstaltet hat.[2] Im kleinen Dorf Greccio bei Rieti im Latium wollte er zu Weihnachten 1223 den Menschen die Botschaft von Weihnachten näherbringen, indem er die Dorfbewohner:innen einlud, die Betlehemszene selbst nachzuspielen – mit Leuten aus den eigenen Reihen, ein neugeborenes Kind durfte dabei nicht fehlen. Durch dieses Krippenspiel wollte er im Gegensatz zu den festlichen Pontifikalmessen in den damaligen Kathedralen die Einfachheit und Armut, aber auch die Nähe der Herabkunft des Erlösers mit Händen greifbar machen und so den Menschen zeigen: „Die Geburt Jesu ist nicht nur ein fernes historisches Ereignis, sondern sie passiert wieder, hier und jetzt, mitten unter uns, wo immer wir ihm unser Herz öffnen und als Gemeinschaft zusammenhalten.“ Ochs und Esel sollten die Aufgabe erfüllen, die Armseligkeit eines Stalles darzustellen. Franz von Assisi wollte damit sinngemäß vermitteln: „Wir sind arme Leute und leben oft in schäbigen Behausungen. Auch unser Inneres gleicht oft einem Stall – da gibt es Mist und Unrat, aber auch heimelige Wärme. Jesus ist sich jedenfalls nicht zu minder, bei uns einzukehren.“
Die Leute begannen zu singen … Ochs und Esel stimmten ein.
Die Überlieferung berichtet, dass es unter den Bäuerinnen und Bauern der Umgebung einen richtigen Wettbewerb gegeben haben soll, wer Ochs und Esel für das Krippenspiel zur Verfügung stellen dürfe. Ein eigener Richter musste bestellt werden, um schließlich die Auswahl zu treffen. Als sich nun in der Heiligen Nacht eine große Schar einfand und mit der lebenden Krippe das Weihnachtsgeschehen betrachtete, soll es geschehen sein, dass in dem Moment, als die Leute zu singen begannen, auch Ochs und Esel – ob aufgeschreckt oder von der festlichen Stimmung angesteckt – lauthals zu brüllen bzw. zu iahen begannen! Der hl. Franz soll hoch erfreut ausgerufen haben: „Seht, auch die Tiere, ja die ganze Schöpfung freuen sich über die Geburt des Erlösers!“
Ochs und Esel vergegenwärtigen die ganze Schöpfung.
Von da an haben Ochs und Esel nicht mehr die vielen Völker an der Krippe vergegenwärtigt, sondern die ganze Schöpfung. Es gibt in der Bibel viele Stellen, die davon sprechen, dass die Tiere, die Pflanzen, ja die ganze Schöpfung Ausdruck der Liebe Gottes zu allen Lebewesen und seiner Freude am Leben sind und dass alle Geschöpfe ihrerseits ein lebendiger Lobpreis Gottes sind. Papst Franziskus greift diesen Gedanken in seiner Umweltenzyklika „Laudato si’“ auf, wenn er schreibt: „Wir sind aufgerufen zu erkennen, dass die Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen und ihn schon allein durch ihr Dasein preisen und verherrlichen, denn der Herr freut sich seiner Werke (vgl. Psalm 104,31)“ (Nr. 69).
Verantwortung und Fürsorge
Tiere sind eben keine Dinge, die wir lediglich benutzen können, wie es uns beliebt. Nach dem biblischen Weltverständnis stellen Mensch und Tier eine enge Schicksalsgemeinschaft dar. Menschen wie Tiere sind verletzlich und haben je eigene Bedürfnisse, die zu berücksichtigen sind, um ihr Wohl zu fördern. Der sogenannte Herrschaftsauftrag in Genesis 1,28 („Füllt die Erde und unterwerft sie, macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“) berechtigt uns nicht, Tiere auf ihren Nutzwert für uns selbst zu reduzieren. Die hebräischen Verben „unterwerfen“ bzw. „herrschen“ werden auch verwendet, wenn jemand Land in Besitz nimmt, um es zu bebauen, bzw. für das Hüten von Vieh – also für Tätigkeiten, die der bäuerlichen Bevölkerung wohl vertraut sind und die nichts mit willkürlicher Macht- oder Gewaltausübung zu tun haben. Gen 1,28 ist deshalb als Auftrag der Verantwortung und Fürsorge zu verstehen. Dies findet in der Bibel seine Verwirklichung nicht zuletzt in der besonderen Zuwendung zu den schwachen und notleidenden Lebewesen, zu denen Tiere oft gehören. Die Hilfe für ein in Not geratenes Tier kann deshalb sogar wichtiger sein als die Einhaltung des Sabbatgebots, das immerhin zu den wichtigsten Geboten zählt (vgl. Matthäus 12,11; Lukas 14,5). Die Arbeitstiere sollen nicht geschunden werden und sie sollen auch in den Genuss der Sabbatruhe kommen, wie beim dritten der zehn Gebote ausdrücklich betont wird (vgl. Exodus 20,10; Deuteronomium 5,14). Das ist eine starke Aussage, denn die Sabbatruhe erinnert an die Vollendung der Schöpfung am siebten Tag und soll uns Menschen beständig daran erinnern, dass wir nicht nur dafür bestimmt sind, ein arbeitsreiches, oft beschwerliches Leben zu fristen, sondern in der Gemeinschaft mit Gott die Fülle des Lebens zu finden. Aber eben nicht nur wir Menschen, sondern die ganze Schöpfung, auch die Tiere! Es ist bedeutend, dass das Neue Testament, dessen Texte im Unterschied zu einigen apokryphen Texten aus dem oberägyptischen Raum nicht unbedingt eine besondere Sensibilität gegenüber den Tiere zeigen, an einigen Schlüsselstellen die Tiere ausdrücklich nennt. In Markus 1,13 lesen wir, dass Jesus in der Wüste „bei den wilden Tieren wohnt“. Dies ist ein Verweis auf den messianischen Frieden, der sich im Christusereignis verwirklicht und der auch die Tiere umfasst (vgl. Jesaja 11, 6–8). Das Heilsereignis Christi betrifft die gesamte Schöpfung. Paulus schreibt im Römerbrief, dass die gesamte außermenschliche Schöpfung sehnsüchtig auf die Teilhabe an der Verherrlichung des erlösten Menschen wartet (Römer 8,18–22). Er verwendet den Begriff „ktisis“ (außermenschliche Schöpfung) im Unterschied zu „kosmos“ (schließt den Menschen ein).
Die Tiere haben uns etwas zu sagen.
Ochs, Esel und die Schafe in unseren Krippenlandschaften, zu denen sich oft auch andere Tierfiguren hinzugesellen, wie die Dromedare und Elefanten der Weisen aus dem Morgenland, aber auch Hühner, Enten, Hunde, Katzen – in der schönen holzgeschnitzten Krippe in meiner elterlichen Bauernstube versteckt sich Weihnacht für Weihnacht auch ein kleiner Hase: All diese Tiere sollen nicht einfach nur eine idyllische Landschaft bilden. Sie haben uns auch etwas zu sagen, nämlich: Die Geburt unseres Erlösers Jesus Christus betrifft die ganze Schöpfung. Auch die Tiere werden in der von Gott für sie vorgesehenen Form einer Vollendung zugeführt.
Zugegeben: Diese wichtige biblische Botschaft haben wir in der christlichen Tradition oft vergessen. Wir sollen die Tiere gut behandeln, denn: „Ein guter Mensch kümmert sich um das Wohl seiner Tiere; ein böser hat kein Herz für sie.“ (Sprüche 12,10) Vielleicht hat der alte Volksglaube, dass die Tiere in der Christnacht – die vielerorts die wichtigste Rauhnacht ist – reden, etwas von diesem Bewusstsein bewahrt, dass wir mit den Tieren gut umgehen sollen. Die Herkunft der Tradition der Rauh- oder Rauchnächte liegt im Dunkeln. Eine mögliche Erklärung ist, dass die dunklen und rauen Winternächte als besonders bedrohlich empfunden worden sind und sich deshalb der christliche Brauch entwickelt hat, mit Weihrauch und Weihwasser die Gehöfte zu segnen. Dabei sollen die Tiere beim Schnuppern an der Weihrauchpfanne recht lustig ihre Lippen gekräuselt – als würden sie reden – oder aufgeregt gegackert und geschrien haben – als würden sie lauthals ob der nächtlichen Ruhestörung protestieren.
Wie dem auch sei: Jedenfalls ist interessant, dass sich viele Sagen um die sprechenden Tiere in der Christnacht ranken, dass sich das Vieh über die Hartherzigkeit der Menschen beschwert. In einer Sage aus dem Salzkammergut hört ein Bauer einen Ochsen sagen: „Unser Bauer, der schindet uns aber ordentlich. Wir können ziehen und uns plagen wie wir wollen, immer ist es ihm noch zu wenig. Und Schläge gibt er uns, dass wir gewaltige Striemen kriegen.“ „Hast recht“, sagte darauf ein anderer Ochse, „das lassen wir uns nicht mehr länger gefallen. Weißt du was: bringen wir ihn um, den Schinder!“ Der Bauer erzählte seiner Frau belustigt von diesem belauschten Gespräch. Die Bäuerin drängte ihren Mann, die Warnung ernst zu nehmen und sein Vieh besser zu behandeln, doch dieser lächelte bloß darüber. Im darauffolgenden Jahr soll es auf dem Hof dann tatsächlich zu einem tödlichen Zwischenfall gekommen sein. Kein gutes Ende für eine weihnachtliche Mär – aber die Moral dieser volkstümlichen Überlieferung entspricht allemal der Botschaft von Weihnachten!
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine gesegnete und frohe Weihnachtszeit!
Martin M. Lintner, Professor für Moraltheologie an der PTH Brixen und Autor des Buches: Christliche Beziehungsethik. Historische Entwicklungen – Biblische Grundlagen – Gegenwärtige Perspektiven, Freiburg i. Br. 2023.
Beitragsbild: Krippenhöhle in Greccio mit Fresko der Weihnachtsfeier im Jahr 1223 (Foto: Br. Niklaus Kuster)
[1] Pseudo-Matthäus 14, zitiert nach: http://12koerbe.de/azur/ps-mt.htm#Joachim%20und%20die%20Hirten (10.12.2022).
[2] Vgl. Br. Niklaus Kuster OFMCap: Franziskus erfindet das Krippenspiel: Farben einer leisen Provokation (23.12.2019); online: https://www.feinschwarz.net/franziskus-krippenspiel/ (10.12.2022).