Simon Wiesgickl über den kürzlich verstorbenen Zen-Mönch Thich Nhat Hanh und die Kunst den Planeten zu retten.
Ende Januar 2022 ist der berühmte Mönch und Lehrer Thich Nhat Hanh im Alter von 95 Jahren in Vietnam gestorben. Mit seinem Namen verbindet sich die Entdeckung der Achtsamkeit als spirituelles und pop-kulturelles Phänomen. Die Verbindung von Zen-Buddhismus und politischem Aktivismus hat nicht nur seinen Namen bekannt gemacht, sondern auch eine Welle von Engagiertem Buddhismus begründet. Als Zentrum dieser Bewegung und Keimstätte zahlreicher Initiativen hat Thay (Lehrer), wie ihn seine Schülerinnen und Schüler respektvoll nennen, das Kloster Plum Village in Südfrankreich begründet. Bereits in seinen ersten öffentlichen Auftritten und Kampagnen seit den 1970er Jahren hat er sich für einen veränderten Umgang mit der Erde eingesetzt. Eines seiner letzten Bücher trägt den programmatischen Titel Liebesbrief an die Erde (2014).
Engagierter Buddhismus
Die Vorstellung der wechselseitigen Verbundenheit allen Lebens (Interbeing), die seit dem Beginn seines öffentlichen Wirkens im Zentrum der Lehre Thich Nhat Hanhs stand, erweist sich als besonders anschlußfähig für Klimaaktivismus. Insbesondere für jüngere Schülerinnen und Schüler wie die Nonne Sister True Dedication lässt sich die Frage des persönlichen Erwachens nicht von den Zukunftsfragen unseres Planeten trennen. In einem über eine Million Mal geklickten und sehr beeindruckenden TED-Talk und mehreren Büchern aktualisiert die 40jährige britischen Ursprungs die buddhistischen Lehren und bringt sie in den Dialog mit sozialen Bewegungen.[1] Im Jahr 2021 erschien Zen and the Art of Saving the Planet: Zen und die Kunst den Planeten zu retten! Die Themen und Thesen, die im Rahmen des engagierten Buddhismus bewegt werden, sind nicht nur für Religionswissenschaftler*innen oder Menschen im interreligiösen Dialog von Interesse. Gerade weil es hier um die zentrale Menschheitsfrage geht, sollten sich auch Theologinnen und Theologen damit beschäftigen. Deshalb möchte ich in aller Kürze beispielhaft vorstellen, an welche Traditionen innerhalb des Buddhismus angeknüpft wird, welche neuen Organisationen sich gebildet haben und wie das christliche Theologie inspirieren und herausfordern kann.
Die Vorstellung der wechselseitigen Verbundenheit allen Lebens (Interbeing)
Ökologische Ethik kann sich im Buddhismus auf zwei Pfeiler stützen: Da ist zum einen das Verbot des Tötens, zum anderen die Vorstellung der wechselseitigen Verbundenheit. Der edle achtfache Pfad beinhaltet die Vorschrift, keinem fühlenden Wesen Schaden zuzufügen. Eine Regel, die auch auf die Gesamtheit der Natur ausgedehnt werden kann. Wer recht handelt, der darf keinem anderen Lebewesen Schaden zufügen und verhält sich ressourcenschonend und minimalinvasiv. Die zentrale Bedeutung des Mitleidens in der buddhistischen Ethik wurde in seiner Geschichte stets auch auf die Tiere bezogen. Ein besonders spektakuläres Beispiel der Würdigung der Natur ist aus Thailand überliefert, wo sich buddhistische Mönche gegen Eingriffe in empfindliche Ökosysteme auf besonders kreative Weise gewehrt haben. Seit den 1980er Jahren entstand eine Bewegung, die Bäume mit saffranfarbenen Roben umwickelte und somit gleichsam ordinierte.[2] Die Bedeutung der Bäume für das lokale Ökosystem und die Subsistenzwirtschaft lokaler Gemeinden wurde damit symbolisch Ausdruck verliehen. Die buddhistische Kritik an Gier und Anhaftung wurde konkretisiert als Kritik an Ausbeutung der Ressourcen und der kommerziellen Erschließung von Pipelines und Bohrlöchern.
Eine Bewegung, die Bäume mit saffranfarbenen Roben umwickelte und somit gleichsam ordinierte.
Immer wieder nahm Thich Nhat Hanh in seinen Meditationen Bezug auf die ältesten Texte des Mahayana Buddhismus, wie das Lotus Sutra. Im Kern dieses Weisheitstextes geht es darum, sich von vier eingeschliffenen Sichtweisen auf die Wirklichkeit zu trennen. Die Vorstellungen von Selbst, Person, Lebewesen und Lebensspanne wörtlich wegzuschmeißen. Und damit auch einen anderen Weltbezug zu akzeptieren, der offener ist für die Verbindung des Menschen mit dem Kosmos. Zwar beginnt Meditation mit dem eigenen Körper, Übungen, die auch mir selbst zugutekommen, doch zielt die Praxis darauf, Verbundenheit zu entwickeln über die menschliche Spezies hinaus. Heilige Dinge müssen nicht aufs Jenseits beschränkt werden und die Heiligkeit der Erde macht mir auch meine eigene Heiligkeit bewusst. Tiefenökologinnen wie Joanna Macy betonen, wie diese Vorstellung der wechselseitigen Verbundenheit angesichts der ökologischen Krisen verhindert, dass wir uns selbst überfordern und im Aktivismus ausbrennen. Und auf der anderen Seite ins Handeln führt und Hoffnung generiert.[3]
Neue alte Organisationsformen: Earth Holder Sangha und Wake Up Groups
Im Lotus Sutra wird auch der Name eines speziellen Bodhisattvas genannt: Bodisattva Dharanimdhara. Von Thich Nhat Hanh wird der Name dieses erleuchteten Wesens als „Bewahrerin der Erde“ (Earthholder) übersetzt. Diese Bewahrerin habe es sich zur Aufgabe gemacht, unseren Planeten und seine natürlichen Lebensgrundlagen zu verteidigen. Die Gemeinschaft (Sangha) dieses Bodhisattvas formiert sich um den Schutz der Erde. Durch Achtsamkeit und Aufmerksamkeit könne der lebenszerstörerische Pfad, auf dem sich die Menschheitsfamilie befinde, überwunden werden. Aktivist*innen sollen hier eine Heimat finden, in der sie sich vernetzen können, gemeinsam üben und damit auch verhindern, dass sie sich ausgebrannt, alleingelassen und mit der Klimakatastrophe überfordert fühlen.[4] Ausgehend von der Gemeinschaft in Plum Village haben sich vor allem junge Menschen in sogenannten Wake Up Groups versammelt. Diese treffen sich virtuell und in Präsenz um gemeinsam zu üben. Diese Übungen bestehen aus verschiedenen Meditationsformen vom Sitzen bis zu Walking Meditation. Sie beinhalten aber auch konkrete Schritte zur Rettung des Planeten und Verbindung mit der Bewahrerin der Erde.
Achtsamkeit bedeutet soziale und politische Achtsamkeit
Mich hat beim Anschauen verschiedener Meditations-Sessions und Vorträge im Internet auch beeindruckt, wie selbstverständlich sogenannte Intersektionalität bewusst gemacht und gelebt wird. Achtsamkeit bedeutet soziale und politische Achtsamkeit. Einen kritischen Umgang mit der Geschichte des Kolonialismus und – speziell in den USA – der brennenden Narben der Erb*innen der First Nations. Achtsamkeit darauf, wie Geschlechtlichkeit konstruiert wird und dass man mit seiner Sprache niemanden verletzt.
Anfragen an Christ*innen – Inspiration durch öko-buddhistische Vorstellungen
Die Einfachheit der Form. Die Aktualisierung philosophischer Debatten im Licht heutiger Probleme. Die Niedrigschwelligkeit: Auf den Atem achten und achtsam werden kann jede und jeder. Mir fallen auf Anhieb viele Stärken dieser Form des Buddhismus ein, die ich kurz vorgestellt habe. Mit Blick auf die Person und das Leben von Thich Nhat Hanh kann man unbedingt noch ergänzen, wie selbstverständlich er von christlichen Denkerinnen und Denkern gelernt hat. Ohne Scheu hat er Gedanken von Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King durchdrungen und zu seinen eigenen gemacht hat. Wobei das mit dem Eigenen streng genommen gar nicht existiert. Warum lassen sich Christ*innen nicht stärker von öko-buddhistischen Vorstellungen herausfordern und inspirieren? Wo sind unsere Gemeinschaften, die sich mit der Bewahrerin der Erde verbünden?
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Text: Simon Wiesgickl ist Pfarrer der Bayerischen Landeskirche und hat von 2013 bis 2016 an der FAU Erlangen-Nürnberg und für einige Monate auch am Lutheran Theological Seminary in Hongkong unterrichtet.
Bild: Hannah Vu bei Unsplash
[1] Siehe https://www.ted.com/talks/sister_true_dedication_3_questions_to_build_resilience_and_change_the_world. (23.01.22).
[2] Siehe https://daily.jstor.org/why-some-buddhist-monks-ordain-trees/ (21.01.2022).
[3] Zentral in ihrem Buch mit Chris Johnstone, Hoffnung durch Handeln. Dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden, Paderborn 2014.
[4] https://earthholder.training (24.01.22).