Ein ökumenisches Interview mit einem kritischen Rückblick auf die beiden „Jugendsynoden“ 2018 und deren Folgeprozesse mit Doreen Dieck, Elisabeth Schwarz, Claude Bachmann und Viktor Diethelm.
Vor einem halben Jahr, im Oktober/November 2018 fanden kurz nacheinander die Bischofssynode[1] in Rom zum Thema „Die Jugend, der Glaube und die Berufungsentscheidung“ und die EKD-Synode[2] mit dem Schwerpunktthema „Der Glaube junger Menschen“ statt. Im Juni 2019 wurden beide Gesprächsprozesse fortgesetzt – mit einem Jugendforum in Rom und einem Thementag der EKD. Elisabeth Schwarz und Doreen Dieck waren Jugenddelegierte auf der EKD-Synode, Claude Bachmann und Viktor Diethelm haben die Bischofssynode genau beobachtet. Kerstin Menzel hat sie im Frühjahr und Sommer 2019 für feinschwarz zu einem WhatsApp-Gespräch eingeladen – zu Ergebnissen, Berührungspunkten und Desideraten beider Prozesse.
Feinschwarz: Was ist der eine Satz, der Ihnen von der Bischofssynode hängen geblieben ist?
Claude Bachmann: “Not that the young people are useless, but they are used less.” Es ist nicht so, dass die jungen Menschen weniger brauchbar sind, sie werden nur weniger gebraucht. Diesen Satz hat Kardinal Charles Maung Bo, Erzbischof von Rangun/Myanmar, in einer der täglichen Pressekonferenzen gesagt. In dieser Aussage kommt etwas Zentrales zum Ausdruck: Es müssen in der katholischen Kirche Räume geschaffen werden, in welchen junge Menschen selber Protagonist*innen und aktive Akteur*innen kirchlichen Handels sind, ihre Meinungen einbringen und damit mitentscheiden können.
Besser überzeugen oder selber lernen?
Viktor Diethelm: Ich habe einen weniger positiven Satz im Gedächtnis: „Wir dürfen die Kirchenlehre für junge Menschen nicht verwässern.“ Die Aussage von Kurienkardinal Sarah steht stellvertretend für Spannungen, die sich durch die gesamte Bischofssynode 2018 ziehen. Mit Jugendlichen in Dialog treten, um besser überzeugen zu können oder um selbst zu lernen? Jugendliche als Akteure der Kirche oder als Fürsorgefall der Kirche? Den Jugendlichen den Glauben bringen oder ihnen als „theologische Orte“ begegnen? Dieser Dorn kratzt noch im Abschlussdokument und trägt Skepsis in die Hoffnung auf die Zukunft.
Und wie ist das für die EKD-Synode?
Elisabeth Schwarz: Mir sind von der „Jugend-EKD-Synode“ zwei Sätze nachhaltig in Erinnerung geblieben. Beim ersten muss ich sagen: Schade, dass es nötig war, das auszusprechen bzw. zu twittern: „Liebe #ekdsynode, liebe Redner*innen, liebe andere, die hier zuhören: bitte, bitte hört auf mit der Polarisierung ‚wir als Kirche und die jungen Menschen‘! Junge Menschen sind Teil der Kirche und wollen das sein – und nicht ihr ‚Gegner/Gegenüber‘.“ Offenbar hat der Tweet mit über 15.000 Impressions und fast 500 Interaktionen einen Nerv getroffen und es ist meiner Meinung nach wichtig, dass das bei einer Synode dann auch ausgesprochen wird. Über den zweiten Satz bin ich sehr froh: „Die Jugend ist nicht nur die Zukunft der Kirche, sondern schon ihre Gegenwart.“ Das fiel mehrfach und gibt mir Hoffnung, dass es doch etwas werden kann mit einer zukunftsfähigen Kirche.
Die Gegenwart der Kirche
Doreen Dieck: „Generationenübergreifend stellen wir fest: Wir wollen Kirche verändern!“- so lautet der zentrale Satz der Präambel der abschließenden Erklärung der Synode „Weite(r) sehen – evangelische Kirche verändert sich“. Ich bin froh, dass wir diese Veränderungsbereitschaft gemeinsam erklären und dass das Gegenüber von „der Kirche“ einerseits und den „jungen Menschen“ andererseits sich am Ende der Tagung nicht mehr im Text findet. Wir sind bereits jetzt und das auch noch gerne, Teil der Kirche – unserer Kirche.
Welche Rolle hatten Sie jeweils auf den Synoden?
Viktor Diethelm: Ich hatte einen persönlichen Einblick, da ich vier Jugendliche (14-20) nach Rom begleiten konnte. Dabei kam es zu einem deutschsprachigen Treffen. Es besteht ein grosser Graben zwischen den meist älteren Bischöfen und den Jugendlichen, die ich begleitete! Außerdem hatten wir Kontakt zu einem der Auditoren und haben die Synode aus seiner Erfahrung heraus verfolgt.
Doreen Dieck: Wir sind als Jugenddelegierte Teil der Synode, mit Rede- und Antrags-, aber ohne Stimmrecht. Delegiert wurden wir beide von den Studierendengemeinden. Von den 120 Synodalen sind nur ca. fünf unter 40 Jahren, daher arbeiten wir Jugenddelegierten vorrangig daran, junge Perspektiven und junge Themen einzubringen und nur sehr nachrangig als „Lobbyisten“ für unsere Verbände.
Wie genau wurde die Sicht von Jugendlichen auf der jeweiligen Synode eingebracht?
Viktor Diethelm: Es gab eine Online Befragung, die einige Schwächen hatte – zu umfangreich, zu wenige Sprachen. Erfreulich war aber, dass sich die Fragen wirklich an alle Jugendlichen richteten, egal mit welchem religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund. Ein hoch gestecktes Ziel – im Abschlussdokument werden nur vereinzelt Hinweise auf die Online-Umfrage gemacht.
Jugendliche aus der ganzen Welt im Vorbereitungsprozess
Außerdem gab es ein Vorbereitungstreffen mit 300 jungen Menschen aus der ganzen Welt, mit Vertreter*innen aus anderen Religionen, Konfessionen und Atheisten. Dann gab es die 36 Auditor*innen (unter 30 Jahren) auf der Synode, die aber kein Stimmrecht hatten. Davon sollte weitere Treffen auf kontinentaler, nationaler oder regionaler Ebene geben. Hilfreicher wäre noch gewesen, wenn im Vorfeld auf regionaler, nationaler und kontinentaler Ebene solche Vorbereitungstreffen stattgefunden hätten. So wären die Themen in einem Bottum-Up Prozess zusammengetragen worden. Zu unterschiedlich sind die Kulturen, um auf globaler Ebene zu bestimmen, was nun gelten soll.
Doreen Dieck: In der Vorbereitung des Schwerpunktthemas waren ca. ein Drittel junge Menschen beteiligt. Auf der Synode selber gab es einen sehr begrenzten Austausch zwischen den Synodalen und jungen Menschen (ca. 18-35 Jahre alt). Im Eröffnungsgottesdienst der Synode haben mehrere junge Menschen Statements abgegeben und am Vorabend des Thementages waren ca. 70 von ihnen für eine Podiumsdiskussion und Gespräch zu Glauben und Leben eingeladen. Allerdings war die Zeit für den Dialog nach dem Podium unglaublich kurz – nur 20 Minuten!
Zu wenig Zeit für wirklichen Dialog
Am Thementag selbst gab es drei Referate, alle sehr soziologisch ausgerichtet und ohne Beteiligung junger Menschen. Gleichaltrige Bekannte von mir, die sich den Thementag bzw. die Referate im Livestream angesehen haben, waren entsetzt und haben mich gefragt, warum da alte weiße Männer anderen Menschen deutlich Ü30 „die Jugend“ erklären. Beteiligt waren wir dann noch in den Workshops. Es fehlte eine echte Partizipationsmöglichkeit von jungen Menschen, außer auf den Plattformen, die extra geschaffen worden sind. Zudem sind die jungen Erwachsenen alle von der Kirche angesprochen worden und konnten nicht von sich aus etwas zum Thema beitragen.
Viktor Diethelm: Wie habt ihr die Vorstellungen zu Glauben, Kirche und Organisation zwischen den Generationen erlebt?
Elisabeth Schwarz: Ein Spektrum von sehr ähnlich bis sehr verschieden, allerdings nicht unbedingt entlang des „Grabens“ jung – alt, sondern eher entlang bestimmter Berufsgruppen und „regionaler“ Bruchlinien – lutherisch oder uniert, kirchliche Minderheit wie in Dresden oder Berlin und kirchliche Mehrheit wie in Bayern. Aber es war wie bei jeder Synodaltagung deutlich zu spüren, dass junge Menschen eine andere Lebensrealität mit anderen Prioritäten haben als ältere.
Die Bruchlinien laufen nicht unbedingt zwischen jung und alt.
Mit welchen Emotionen blicken Verantwortungsträger*innen in den Kirchen eigentlich auf junge Menschen? Sorge, dass der Nachwuchs wegbricht und Ratlosigkeit, wie man das ändern könnte? Angst davor, dass die Anliegen junger Menschen die vertrauten Formen oder gar Glaubensinhalte verändern können? Freude über lebendigen Glauben in der nächsten Generation? Unsicherheit? Ärger? Unverständnis? Wie nehmen Sie das wahr?
Claude Bachmann: Die Frage lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Genauso wie es nicht „die Jugend“ gibt, ist die Perspektive auf junge Menschen stark orts-, kontext- und milieuabhängig. Wenn ich im Kanton Graubünden mit Pfarreien zusammenarbeite merke ich vielerorts, dass sich Erwachsene engagierte junge Menschen wünschen, dann aber ihrerseits deren Innovation und Kreativität nicht auffangen und in Initiativen oder Projekte umsetzen können. Es fehlt oft der Mut, wirklich Verantwortung und Entscheidungskompetenzen zu übergeben, was sicherlich auch mit dem Bild von jungen Menschen zusammenhängt.
Innovation und Kreativität junger Menschen in Projekte umsetzen
Viktor Diethelm: Drei beobachtete und oft erlebte Haltungen lassen bei mir innerlich Zorn aufsteigen: 1. Eine defizitäre Sichtweise: Jugendliche als unfertige Menschen, denen es noch an vielem mangelt. Kirche hat diese Defizite und Mängel zu füllen, indem sie ihnen das Notwendige bringt. 2. Jugendliche behüten und umsorgen: Die Herausforderungen der Lebensphase gilt es durch erwachsene Interventionen möglichst sanft zu überstehen. Die Kirche hat für jede Entwicklungsaufgabe ein Hilfspaket bereit, um die Herausforderung möglichst tief zu halten, sie sieht darin die Leiden der jungen Menschen. 3. Jugendliche sind zu dankbarer Zufriedenheit verpflichtet: Respekt und Dankbarkeit für das gute Leben, dass die Erwachsenen für sie (!) erarbeitet haben, Aufmüpfigkeit und Ansprüche sind daher unplatziert. Die Kirche hat den Jugendlichen Respekt und die Wertschätzung der „Tradition“ beizubringen – das bestmögliche haben wir bereits geschaffen.
Die jugendliche Lebensphase durch erwachsene Interventionen möglichst sanft überstehen.
Claude Bachmann: Der Glaubensvollzug spielt sich für viele, gerade erwachsene Personen, immer noch am Sonntag im Gottesdienst ab. Weil sie am Sonntag die jungen Menschen in der Kirche nicht sehen, denken sie, diese möchten mit Glauben und Kirche nichts zu tun haben. Das kirchliche Engagement junger Menschen ist aber vielfältig und sehr bunt, was vielen Personen nicht bewusst ist.
Doreen Dieck: Ich kenne junge Menschen, die sich in Jugendkirchen sowie anderen Gemeindeformen zuhause fühlen und wissbegierig nach Gott suchen. Viele leiten Projekte und geben Impulse für Neues. Für andere scheint es manchmal eher verschlossene Türen zu geben, weil sie nach zu „innovativen und unkonventionellen“ Formaten fragen. Manchmal scheint es sehr schwierig, Mitsprache- und Entscheidungkompetenz zu bekommen, um auch eigene Projekte ausprobieren zu dürfen. An diesen Stellen wünsche ich den Pastor*innen und Leitungsgremien mehr Mut. Schließlich fragen, so mein Empfinden, viele junge Menschen nach Gott, nach dem Mehr im Leben und vor allem nach spirituellen Angeboten.
Mitsprache und Entscheidungskompetenz
Elisabeth Schwarz: Es ändert sich aber in den letzten Jahren auch was. Die Verantwortlichen merken so langsam, dass es ohne junge Menschen nicht geht und dass man sie nicht „für lau“ dazuholen kann, sondern sie volle Rechte und Pflichten möchten. Während 2015 der einzige junge (U40) Kandidat nicht in den Rat der EKD gewählt worden ist, obwohl auch da schon die Jugenddelegierten ein sehr gutes Standing in der Synode hatten, haben wir mittlerweile Antragsrecht und der Wille, uns Stimmrecht zu geben, ist auch vorhanden. Und in vielen EKD Gremien sitzen mittlerweile auch U30-jährige. In vielen Landeskirchen (z.B. Sachsen) gibt es einen festen Platz in den Kirchvorständen für junge Menschen oder ähnliche Beteiligungsmöglichkeiten. Es geht langsam und ich wünsche mir natürlich, dass es schneller ginge, aber es findet auch ein Umdenken statt.
Viktor Diethelm: Die Gründe dieses Umdenken machen mir jedoch Sorgen. Die „Erwachsenenkirche“ merkt, dass ihre „Konzepte“ immer weniger greifen und sie das Ganze nicht mehr stemmen können. Sicherlich auch aufgrund der stetig sinkenden aktiven Beteiligung. Nun soll es die Jugend richten und dazu ist man (meist in sehr kleinen Schritten) bereit, Macht in kontrollierbarem Ausmaß zu teilen. Die unausgesprochenen Absichten und unklaren Motivationen gefallen mir nicht!
Die Jugend soll es richten.
Welche Motivation und Begründung sehen Sie für eine stärkere Mitwirkung von Jugendlichen?
Viktor Diethelm: Die Jugend ist eine tiefgreifende Lebensphase, die eine eigene Qualität der Wirklichkeit Gottes ausweisen kann. Die Qualität ergibt sich gerade aus den Herausforderungen in den Entwicklungsaufgaben. Das darin besondere „Sensorium“ gilt es anzuerkennen und wertzuschätzen. Darum gilt es, die Jugend als einen der „theologischen Orte“ zu verstehen, aus denen die Kirche insbesondere die Präsenz Gottes im Heute erkennen lässt. Die Rede vom Priestertum aller Gläubigen erscheint mir eine gute Brücke zur evangelischen Tradition zu sein.
Die Zeichen der Zeit erkennen.
Claude Bachmann: Damit kann man gerade die prophetische Kraft junger Menschen herausstreichen und wertschätzen. Die Jugendsynode hält fest, dass junge Menschen die Zeichen der Zeit für die Kirche erkennen. Das beste Beispiel in meinen Augen sind gerade die weltweiten Klimastreiks junger Menschen.
Ist es eigentlich Zufall, dass diese beiden Synoden beinahe zeitgleich das Thema Jugend auf die Tagesordnung gesetzt haben?
Elisabeth Schwarz: Der Vorschlag, sich mit dem Thema Glaube junger Menschen zu befassen, kam aus einem Ausschuss, wurde dann aber vom Präsidium vorgeschlagen und mit großer Mehrheit beschlossen. Ein wesentlicher Faktor war sicher auch die anstehende Vollversammlung des Lutherischen Weltbunds. Und vielleicht war auch die Ankündigung des Vatikans ein Faktor. Ich war, ehrlich gesagt, gegen das Thema und fühle mich darin durch die Synode auch bestätigt. Ich halte sie mit dem vorgegebenen Zeitplan und dem kleinen Raum für das Schwerpunktthema einfach für das falsche Format. Ich finde die verabschiedete Kundgebung richtig gut und einen sehr wichtigen Schritt, das möchte ich auch klar sagen, aber der Weg dahin hat mir nicht gefallen.
Generationenübergreifend zukünftige Kirche gestalten.
Dass es ganz anders gehen kann und „junge“ und „alte“ Menschen gemeinsam Kirche gestalten können, hat z.B. der Digitalisierungsprozess gezeigt, den wir in der EKD in den letzten zwei Jahren hatten. Dort war die Lebensrealität von jungen Menschen genauso Thema wie die von älteren, und dort ging es um das voneinander Lernen und gemeinsame Gestalten. Ob die jungen Menschen dort ernst genommen werden oder gleichberechtigt sind, stand da nie zur Debatte, sondern war einfach so. So etwas hätte ich mir auch für die Synode gewünscht. Ein Thema, was alle anspricht, wo die Expertise und Lebenswelt junger Menschen genauso gefragt ist wie die der Synodalen, und man gemeinsam gestalten kann. Mein Wunschthema wäre gewesen: neue Formen von Kirche und Gemeinde!
Claude Bachmann: Die Jugendsynode steht meiner Meinung nach zeichenhaft für das Pontifikat von Papst Franziskus: Einerseits als Weiterführung der Familiensynode 2014/15 und anderseits in seinem grundlegenden Anliegen, denen eine Stimme in der Kirche zu geben, welche meist verstummt bleiben oder vom klerikalen Getöse übertönt werden. Und gerade auch jungen Menschen eine Stimme zu geben, welche weltweit unter Arbeitslosigkeit, Drogenproblemen, Migration etc. leiden. Hier scheint auch „die Option der Kirche für die Armen“ (Kirche als Feldlazarett) von Franziskus durch. Natürlich war wohl auch ein anderer Hintergedanke leitend für die Jugendsynode: die Kirche muss die defizitäre Jugend begleiten und mit „Glauben füllen“. Ich glaube aber, dass dieser Schuss nach hinten losgegangen ist! Davon muss sich die Kirche schnell verabschieden.
Die Kirche muss die defizitäre Jugend mit Glauben füllen?
Am 2. April ist das nachsynodale Schreiben des Papstes erschienen. Herr Bachmann und Herr Diethelm, was hat Sie gefreut, was überrascht?
Viktor Diethelm: Gefreut haben mich all jene Stellen in „Christus vivit“, welche jungen Menschen Kompetenzen und Ressourcen zusprechen. Es findet sich eine deutliche Betonung der Wichtigkeit von Jugend und jungen Menschen für die Kirche und die Gesellschaft. Ebenso der Blick auf die Vielfalt (Nr. 71). Vom Bedürfnis der eucharistischen Anbetung bis zu Räumen für „all jene, die andere Lebensvisionen, sich zu anderen Konfessionen bekennen oder die erklären, Religion sei ihnen fremd.“ Überrascht hat mich der Schreibstil. Papst Franziskus spricht teilweise junge Menschen als Adressaten direkt an. Darin sehe ich die Verwirklichung seines Grundanliegens: miteinander in einen echten Dialog zu treten, der von gegenseitigem Zuhören geprägt ist. Ein Stilwechsel von „die Jugend soll…“ zu „ich bitte Dich…“, der Vorbildcharakter hat.
Zuhören wollen.
Claude Bachmann: Mir geht es ähnlich. Der Papst ruft die jungen Menschen mehrmals direkt auf, von sich hören zu lassen (vgl. Nr. 143), denn die Kirche muss und darf von jungen Menschen lernen und sich ändern (Nr. 39). Schön finde ich auch, dass Papst Franziskus sich keine ausschliessende, sondern eine einladende Kirche wünscht, „wo Platz ist für jede Art von jungen Menschen und wo wirklich sichtbar wird, dass wir eine Kirche mit offenen Türen sind“ (Nr. 234). Papst Franziskus legt biblische Geschichten als Fundament für CV, in welchen er die „Strahlkraft“, „Kühnheit“ und den „Grossmut“ junger biblischer Figuren herausstreicht. Trotzdem hätte ich mir eine Prise mehr an theologischen Grundlagen gewünscht.
Am 22. Juni hat auch die EKD-Synode nachgelegt – mit einem Thementag in Hannover.
Doreen Dieck: Die Präses, die Kirchenleitung und andere Synodendelegierte sowie Kirchenräte saßen mit uns jungen Menschen zusammen. Frau Schwaetzer fragte in einer Kleingruppe direkt, wie wir uns Kirche wünschen würde, wie sie attraktiv wäre. Danach wurden gemeinsam Merkmale für eine Kirche herausgearbeitet, zu der wir gemeinsam gehören wollen. Die Ergebnisse waren sehr unterschiedlich, doch war klar, dass wir alle gerne Teil der Kirche sind, wir dazu gehören und Kirche mitgestalten wollen! Es war toll, dass so viel Zeit zur Verfügung stand und uns so ausführlich zugehört wurde. Zudem könnte sich die Zusammensetzung der Synode womöglich ändern, zumindest möchten sich die Präses und die Kirchenleitung dafür einsetzen, dass mehr junge Menschen in Kirche Verantwortung übernehmen können.
Eine Kirche, zu der wir alle gehören wollen.
Abschließend: Was ist Ihre Vision für Kirche in zehn Jahren?
Claude Bachmann: Junge Menschen sind ein selbstverständlicher Teil der Kirche. Erwachsene und Verantwortliche in Seelsorge und Pastoral begegnen jungen Menschen auf Augenhöhe und nehmen sie mit ihren Fragen und Anliegen ernst. Als locus theologicus helfen junge Menschen mit, das Evangelium authentisch zu bezeugen und adäquat zu verkünden.
Viktor Diethelm: Die Jugendlichen leben ihren Jugendkulturen entsprechend Kirche und sind im regen Austausch mit jungen Menschen auf der ganzen Welt. Die „Erwachsenenkirche“ lernt immer besser, wie sie einen fruchtbaren Dialog mit den Jugendlichen pflegt. Die „Jugendkirche“ versteht es immer besser, wie sie die wahren Schätze der „Erwachsenenkirche“ hebt und weitergibt. Auf Initiative von jungen Menschen ist ein interreligiös getragenes Projekt entstanden, das mit global vereinten Kräften an der Realisierung der Menschenrechte, z.B. für Menschen in Flüchtlingslagern, arbeitet.
Die Jugendquote bald schon wieder abgeschafft.
Elisabeth Schwarz: Die Meinung und Expertise von jungen Menschen ist so wichtig geworden, dass eine zwischenzeitlich eingeführte Jugendquote schon wieder abgeschafft werden konnte, weil sie übererfüllt wird. Gottesdienste und andere Formate geistlichen Lebens sind vielgestaltiger und interaktiver geworden, sodass junge Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten ohne großen Aufwand immer wieder neu das passende Format von Kirche für sich finden. Kirche geht aktiv auf junge Menschen zu, sowohl in analogen als auch in digitalen Räumen und unabhängig davon, wie diese Menschen geprägt sind. Junge Menschen in der Kirche wissen, was „Priestertum aller Gläubigen“ bedeutet, weil sie es leben.
Doreen Dieck: Ich wünsche mir, dass ich junge Menschen (U30) in meiner Ortsgemeinde treffe, der Fotokurs für Senior*innen für alle offen ist und ich Gottesdienst auch in den digitalen Medien feiern könnte. Eine Kirchenleitung, deren Durchschnittsalter 45 Jahre ist, fördert und vermittelt barrierefreie Sprache und Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der Kirche. Die Kirche wirbt konfessionsübergreifend und mit einer Stimme für die Solidarität mit meinem Nächsten und kämpft gegen die Bedeutungslosigkeit jedes einzelnen Menschen an.
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Elisabeth Schwarz, 25, hat im September ihr Physik-Studium an der Technischen Universität Dresden abgeschlossen. Doreen Dieck, 24 studiert zurzeit an der WWU Münster evangelische Theologie. Beide sind Jugenddelegierte der 12. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), delegiert vom Verband der Evangelischen Studierendengemeinden (ESGn) in Deutschland, Elisabeth Schwarz seit 2015 und Doreen Dieck seit 2018.
Claude Bachmann, 33, hat zunächst Religionspädagogik an der Uni Luzern studiert und 7 Jahre als Religionspädagoge und Jugendseelsorger in Pfarreien in Luzern gearbeitet. Seit 2015 studiert er an der Theologischen Hochschule Chur Theologie und ist mit 50% bei der katholischen Landeskirche Graubünden Anlauf- und Beratungsstelle für kirchliche Jugendarbeit. Viktor Diethelm, 45, hat Religionspädagogik an der Uni Luzern studiert, war 8 Jahre in einer Pfarrei als kirchlicher Jugendarbeiter tätig, leitete 7 Jahre die Fachstelle für kirchliche Jugendarbeit der kath. Landeskirche Luzern mit und ist seit 2016 Leiter der Deutschschweizer Fachstelle für offene kirchliche Jugendarbeit. Beide waren Beobachter der Bischofssynode 2018. Nebst der Beteiligung am Bericht der Schweizer Bischofskonferenz für das Synodensekretariat waren sie im Austausch mit insgesamt über 10 der jungen Beteiligten aus dem deutschsprachigen Raum.
Bild: James Baldwin / unplash.com
[1] Das Format „Bischofssynode“ wurde nach dem 2. Vatikanischen Konzil von Papst Paul VI. eingeführt. Darin setzen sich Vertreter aller Bischofskonferenzen und der Ordensgemeinschaften zu einem bestimmten Thema auseinander. Stimmberechtigt sind alle anwesenden Bischöfe und die Vertreter der Ordensgemeinschaften. 2018 hatten zwei nicht geweihte Männer aus einem Orden eine Stimme. Quer dazu stand, dass die Vertreterinnen der Frauenorden keine Stimme hatten, was auch zu heftigen Diskussionen führte. Die Synode an sich hat keine Beschlussfähigkeit, welche im Sinne eines lehramtlichen Textes Geltung hat. Das Abschlussdokument wird dem Papst übergeben, der dann in der Regel ein nachsynodales Schreiben mit verbindlichem Charakter veröffentlicht. Trotzdem hat das Abschlussdokument in der Jugendpastoral hohe Bedeutung – gerade auch im Dialog von kirchlichen Mitarbeitenden mit den Bischöfen. (CB + VD)
[2] Die EKD ist der Zusammenschluss der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Eines der leitenden Organe ist die Synode, bestehend aus 120 Synodalen, die sich einmal im Jahr für eine Woche trifft. Dazu kommen acht sogenannte Jugenddelegierte, die Rede- und Antragsrecht, aber kein Stimmrecht bei den Tagungen haben. Sie gehören jeweils einem Ausschuss und einer synodalen Arbeitsgruppe an. Delegiert werden sie in die Synode von den großen evangelischen Jugendverbänden: den Studierendengemeinden, der Arbeitsgemeinschaft der Ev. Jugend in Deutschland und der Studentenmission. Beschlüsse der Synode haben keine direkten Auswirkungen auf die Jugendarbeit vor Ort, weil die Synode nur ihre eigenen Strukturen verbindlich verändern kann. Die größte Reichweite hat die thematische Arbeit vermutlich während der Synode durch die mediale Berichterstattung. (ES und DD)