Der Einsatz von Robotik und sog. Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen: Alexandra Kaiser-Duliba schildert Potenziale und ethische Herausforderungen in diesem Bereich.
1. Robotik und sog. KI zwischen Rettung und Herausforderung
Die digitale Transformation verändert das Gesundheitswesen in rasantem Tempo und mit dem steigenden Digitalisierungsgrad rücken auch der Einsatz von sog. Künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik stärker in den Fokus. Insbesondere im Bereich der Bildgebung und Radiologie werden KI-Anwendungen bereits genutzt, in der Chirurgie, der Pflege und der Rehabilitation gewinnen KI-Anwendungen ebenso wie Robotik zunehmend an Bedeutung.
Ethische und soziale Herausforderungen
Dabei weist der Einsatz starke Ambivalenzen auf. Die Technologien haben einerseits das Potenzial, die Diagnostik beispielsweise aufgrund grosser Zahlenmengen zu verbessern und dadurch Behandlungen präziser zu gestalten. Damit kann das Gesundheitswesen insgesamt effizienter werden. Andererseits stellen die neuen Technologien und deren Einsatz die Gesellschaft sowie die Betroffenen vor ethische und soziale Herausforderungen.
2. Aktuelle Anwendungsgebiete im Gesundheitswesen
Robotik und sog. KI stellen ein sehr breites Feld innerhalb des Gesundheitswesens dar. Dabei ist das Potenzial der grundsätzlich einsetzbaren Systeme bzw. Produkte immens. Im Bereich der Chirurgie werden bei operativen Eingriffen bspw. in der Bauchchirurgie, Urologie oder Unfallchirurgie vor allem Telemanipulatoren verwendet. Im Kontext der Pflege gibt es robotische Systeme für Logistik und (Betten-)Transport. Aber auch zur Stimulation und Simulation sozialer Interaktion werden robotische Systeme, wie zum Beispiel die Roboterrobbe Paro (vorwiegend in Senioren- und Pflegeheimen) eingesetzt, um soziale Interaktion zu unterstützen. Zu denken ist hier potentiell auch an sog. VoiceCloning kombiniert mit Large Language Models, welches eine persönliche Ansprache von Pflegebedürftigen ermöglichen soll.
Direkte Pflegeroboter
Diese Technologien könnten sowohl in Robotern als auch bei mobilen Endgeräten zum Einsatz kommen, da sie mit der Stimme und Ausdrucksweise vertrauter Personen angelernt werden. Darüber hinaus kommen Robotiksysteme wie Pepper und Moxi als direkte Pflegeroboter bereits zum Einsatz, ebenso wie Nao (der kleine Bruder von Pepper), der unter anderem bei autistischen Kindern die Kommunikationsfähigkeit fördern soll.
3. Einsatz und Akzeptanz
Gerade im Bereich der Medizin und Chirurgie zeigt sich die Akzeptanz von Robotik und sog. KI seitens der Ärzteschaft sehr hoch. Im Kontext von operativen Eingriffen bieten robotische Systeme eine überaus hohe Präzision und sind technisch sehr weit entwickelt, sodass es weniger Komplikationen bei Eingriffen gibt, Patientinnen und Patienten nach komplexen Eingriffen beispielsweise weniger Nervenschädigungen davontragen und sich die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus verkürzt. Dies führt dazu, dass die Akzeptanz und das Vertrauen in Robotik unterstützte operative Eingriffe aufseiten der Patientinnen und Patienten ebenfalls steigt.
Das Gesundheitswesen insgesamt wirksamer und sicherer gestalten.
Der sog. KI werden insbesondere im Bereich der Diagnostik wesentliche Potenziale zugeschrieben. Sie soll dazu beitragen (können), das Gesundheitswesen insgesamt wirksamer und sicherer zu gestalten. KI-Anwendungen werden in der Forschung zur Generierung von neuem Wissen aus umfangreichen und komplexen Datensätzen eingesetzt. Sie tragen zur Automatisierung und Verbesserung diagnostischer Verfahren, Bildgebung und Pathologie bei und unterstützen die Entscheidungsfindung entlang der gesamten Behandlungskette von der initialen Untersuchung bis hin zur Therapie (Decision Support). Darüber hinaus werden sie zur Planung und Steuerung von Therapien eingesetzt werden können.[1] Damit wird diesen Anwendungen ein enormes Potential zur Verbesserung einer möglichst «personalisierten» Behandlung zugeschrieben.
Probleme und Gefahren
Gleichzeitig zeigen sich im Bereich sog. KI-Anwendungen zahlreiche Probleme und Gefahren, so im Kontext des Datenschutzes, der Nachvollziehbarkeit der Algorithmen sowie des Schutzes vor Cyberkriminalität. Insbesondere ethische Bedenken kommen hierbei zum Tragen, etwa bei der Frage nach Datensouveränität oder der ärztlichen Kompetenz. Es besteht die Gefahr, dass Ärztinnen und Ärzte sich hinsichtlich therapeutischer Entscheidungen zu sehr auf die Systeme verlassen oder die Patientinnen und Patienten, auf ihre digitalen Messdaten reduzieren. Behandlungsentscheidungen laufen so Gefahr, auf Basis automatisierter Abläufe und hinsichtlich ihrer Effizienz getroffen werden.
Fragen hinsichtlich der Akzeptanz, Datensicherheit und Ethik
Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie vernetzte Hilfs- und Monitoringsysteme, wie beispielweise Sensortechnik in Fussböden, die Stürze von Pflegebedürftigen automatisch erkennen und melden können, ermöglichen es, dass Pflegebedürftige länger in ihrem eigenen Zuhause wohnen können. Auch Pflegefachkräfte können bei ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden, sodass im Pflegesektor ein zunehmender Einsatz technologischer Innovationen zu verzeichnen ist und dies sowohl in der ambulanten Pflege, als auch im stationären Bereich.[2] Im Kontext der Pflege stellen sich vor allem Fragen hinsichtlich der Akzeptanz, Datensicherheit und Ethik, denn gerade die Pflege ist zwischenmenschliche Praxis und ist daher aus moralischer Sicht besonders gehaltvoll.
Besondere Verletzbarkeit des Menschen
So stellt der Pflegekontext einen zutiefst menschlichen Akt dar, bei dem jederzeit die Würde und Integrität des und der Einzelnen gewahrt werden muss. Die ethischen Bedenken intensivieren sich im Bereich der Pflege besonders dann, wenn es um den Einsatz von sozialer bzw. emotionaler Robotik geht. Gerade in Situationen, in denen körperliche oder geistig-kognitive Funktionen nicht (mehr) vollumfänglich vorhanden sind, zeigt sich eine besondere Verletzbarkeit des Menschen. Zwischenmenschliche Beziehungen, die sich vor allem durch Mitgefühl, Empathie und Fürsorge auszeichnen bzw. auszeichnen sollten, haben hier eine wichtige Bedeutung. Von Pflege betroffene Menschen benötigen nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch soziale Interaktion. Diese können soziale und emotionale Roboter nur simulieren, weil ihnen echte Emotionen und Gefühle fehlen.
Das entscheidende Kriterium für den Einsatz von Robotik und sog. KI in (teil-)stationären und ambulanten Settings sowohl in der Medizin als auch der Pflege, muss letztendlich nicht nur die Praxistauglichkeit sein, sondern insbesondere auch die bedarfsorientierte und damit patientinnen- und patientensensible Konfiguration der einzusetzenden Systeme.
4. Fazit
Angesichts des Pflegenotstandes und des wachsenden Bedarfs in der Medizin gewinnt die Frage nach dem Einsatz von Robotik und sog. KI im Gesundheitswesen zunehmend an Bedeutung. Auf den ersten Blick erscheinen die sich bietenden Möglichkeiten äusserst verlockend, da potenziell mit Effizienzsteigerungen und Ressourceneinsparungen zu rechnen ist. Und auch die Rufe nach einer personalisierten Gesundheitsversorgung scheinen damit erhört zu werden.
Schliesslich muss der Einsatz am Menschen orientiert sein.
Aus ethischer Perspektive sollte jedoch eine sorgfältige Auseinandersetzung darüber stattfinden, ob ein solcher Einsatz wünschenswert ist. Schliesslich muss der Einsatz am Menschen orientiert sein. Roboteranwendungen und der Einsatz sog. KI muss den betroffenen Personen gerecht werden, damit ihr Einsatz nicht bei aller Personalisierung zur Entpersonalisierung der Betroffenen und des Gesundheitswesens führt.[3]
Alexandra Kaiser-Duliba ist wissenschaftliche Oberassistentin am Lehrstuhl für Theologische Ethik des Instituts für Sozialethik ISE an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Sie hat ihre Dissertation zum Einsatz von Robotik und KI in der Pflege verfasst.
Porträt: Roberto Conciatori Fotograf SIYU/SSM
Beitragsbild: StockSnap auf Pixabay
[1] Heinz-Peter Schlemmer; Markus Hohenfellner: Chancen von KI in der Onkologie am Beispiel der individualisierten Diagnostik und Behandlung von Prostatakrebs, in: Zeitschrift für medizinische Ethik (67) 2021, 309-326, S. 323.
[2] Lisa Korte: Pflege 4.0: Digitalisierung zur Sicherung der Pflege von morgen, in: S. Bohnet-Joschko, K. Pilgrim (Hrsg.), Handbuch Digitale Gesundheitswirtschaft, S. 209-212. https://doi.org/10.1007/978-3-658-41781-9_44.
[3] Siehe hierzu Alexandra Kaiser-Duliba: Personalisiert Entpersonalisiert. Ethische Beurteilung des Einsatzes von Robotik und Künstlicher Intelligenz in der Pflege anhand des Personkonzepts von Paul Ricœur (im Erscheinen).