Mit dem zweiten Band der „Glaubensräume“ präsentiert Gregor M. Hoff die Grundlagen einer topologischen Fundamentaltheologie. Wolfgang Beck lässt sich auf diese Ortssuche ein und ermutigt zu einem Seitenblick auf leicht übersehene Orte.
Den geisteswissenschaftlichen Diskurs der Spätmoderne prägt der „spatial turn“, die Wahrnehmung von Orten, die in ihrer Pluralität zu Ausgangspunkten der Theoriebildung werden. Räume sind dabei nicht bloß materielle Hohlkörper oder Container. Sie werden (in Anlehnung etwa an Henri Lefèbvre) durch kommunikatives Handeln und Beziehungen gebildet. Darauf aufbauend entwickelt Gregor Maria Hoff mit dem Band „Glaubensräume“ eine Fundamentaltheologie als topologischen Diskurs.
Es ist eine rationale Rechtfertigung des christlichen Glaubens, die nicht von theologischen Traditionsbeständen sondern von markanten Raumwahrnehmungen ihren Ausgang nimmt und eine entsprechende Ausrichtung erfährt. Und da vor allem soziale Interaktionen Räume konstituieren, lässt sich auch die in den Evangelien beschriebene Lebenspraxis Jesu als Bildung eines Glaubensraumes verstehen (48). Wo Menschen durch die Zeiten hindurch die Botschaft der Bibel mit ihrer Lebenspraxis in Bezug setzen, spannen sich Glaubensräume. Zwar finden sie in Schrift, Tradition und Kirche grundlegende Koordinaten für diese Raumbildungen, sie bedürfen aber durch die Bindung an die persönliche Existenz auch der konkreten Ereignisse. In diesem „zeitlichen Ereignischarakter“ (59) verankert Hoff seine topologische Theologie. Damit rückt eine Vielfalt von Glaubensräumen in den Blick, eine Pluralisierung, deren Grundmuster er in dem Verlust des jüdischen Tempels und der Entstehung der Diaspora als „topographischer Entgrenzung“ (140) ausmacht.
Theologie von Orten her entwickelt
Ausgangspunkt sind für Hoff deshalb Betrachtungen einer Reihe konkreter Orte, an denen er seinen Durchgang fundamentaltheologischer Reflexionen des christlichen Glaubens entwickelt. Dazu gehört der Weltraum im Sinne einer maximalen Entgrenzung ebenso, wie die Städte Hiroshima und Nagasaki als Orte anthropologischer Tiefpunkte. Dazu gehören der Ground Zero in New York und die Höhlen der Schriftenfunde von Qumran. Aber auch die umstrittenen Orte gegenwärtiger Religionspraxis, wie das Gebetshaus Augsburg als Bestandteil der charismatischen Bewegung meidet Hoff nicht (134). Es sind aber vor allem Orte, in deren Vielgestaltigkeit das Nichtwissen und Vermissen Gottes erlebbar wird und mit deren Hilfe der Frage nach der Kirche als Glaubensraum nachgegangen wird. Denn eines scheint zumindest diesen Orten gemein zu sein: Sie verhindern die Suggestion einer Verfügbarkeit und eindeutigen Bestimmbarkeit Gottes und eröffnen stattdessen Räume offener Suchprozesse.
Grundmuster: Die konziliare Ortsverschiebung
Mit der Kirche St. Paul vor den Mauern als Ort der Ankündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Papst Johannes XXIII. wird die grundlegende Ortsverschiebung (325), die Hans-Joachim Sander in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes analysiert hat, vorweggenommen: der Gang vor die Mauern konstituiert eine Weitung des Raumes. Diese Weitung hat ihr Urbild in der paulinischen Raumkonzeption auf dem Areopag. Ihr wird die Fähigkeit zum Dialog zum theologischen Konstitutiv.
Wo sind die kleinen, schwachen Orte?
Wer mit Gregor M. Hoff Räume der Gottesfrage durchschreitet und die vorgeschlagene Auswahl von Orten wahrnimmt, wird allerdings auch die Frage stellen müssen, wie diese Route zustande kommt. Es ist die Frage, ob die Auswahl von Orten mit breiter öffentlicher Wahrnehmung nicht durch die kleinen Orte der einzelnen Menschen mit ihren Gelebten Theologien zu erweitern wäre. Dabei kämen die „schwachen“, leicht zu übersehenen Glaubensräume in den Blick, in denen Menschen zu allen Zeiten in ihren Alltagsvollzügen Glauben und Existenzfragen miteinander in Bezug setzen. Mit der Wahrnehmung und Einbindung dieser „schwachen Orte“ stünde das Projekt der topologischen Theologie vor der Herausforderung seiner entscheidenden Komplexitätssteigerung: von der Auswahl markanter Glaubensräume hin zur Unübersichtlichkeit übersehener Glaubensräume.
Das ambitionierte Projekt
einer topologischen Theologie
Die beiden Salzburger Theologen Hans-Joachim Sander und Gregor Maria Hoff profilieren mit dem großen gemeinsamen Projekt einer vierbändigen topologischen Theologie einen Ort besonderen systematisch-theologischer Arbeitens. Der zweite Band liegt nun mit dem Buch von Gregor M. Hoff vor. Seine über 500 Seiten fundamentaltheologischer Reflexionen mögen zwar selbst für theologisch Interessierte respekteinflößend sein. Da ihre Entwicklung aber Gegenstand eines langen, wissenschaftlichen Prozesses war, erschließt Hoff Räume wissenschaftlicher Diskurse in anspruchsvoller, anregender und diskursiver Form. Er durchschreitet und konstituiert Glaubensräume mit einer breiten Leser*innenschaft und arbeitet darin performativ: Er ermutigt Menschen, die von den Evangelien in der Lebenspraxis Jesu aufgezeigten Glaubensräume zu durchschreiten.
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Autor: Wolfgang Beck, Mitglied der feinschwarz-Redaktion, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M.
Literatur: Hoff, Gregor M., Glaubensräume. Topologische Fundamentaltheologie, Matthias-Grünewald-Verlag, Ostfildern 2021.
Foto: Roman Kraft / unsplash.com