Osterliturgien sollen in Abwesenheit der Gläubigen gefeiert werden, so eine neue Ordnung aus dem Vatikan. Clemens Leonhard zeigt auf, warum ein Verschieben des Osterfestes zwar ein Präzedenzfall, aber nicht undenkbar wäre.
Derzeit werden Termine abgesagt oder verschoben. Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung hat am Montag bekräftigt, dass die Liturgien des Osterfests nicht verschoben, sondern in Abwesenheit der Gläubigen zu halten sind. Ostern könnte allerdings zu den Terminen gehören, die verschoben werden sollten.
Osterliturgien in Abwesenheit der Gläubigen
Wir haben uns seit der Antike daran gewöhnt, dass Ostern mit hohem astronomischem Aufwand berechnet und in der westlichen Kirche global am selben Tag gehalten wird. Schon in der Spätantike inszenierte man naturwissenschaftliche Präzision. Der Ostertermin wurde (vor allem) von den Astronomen in Alexandria berechnet, vom Bischof von Rom zumeist akzeptiert und in Osterfestbriefen im Voraus verkündet. Dadurch wird dem Termin der Anschein gegeben, er wäre kosmisch festgelegt. Was in den Lauf der Sterne eingeschrieben ist, können Menschen nur durch möglichst perfekte Beobachtung erkennen, aber niemals ändern. Tatsächlich spricht nichts dagegen, solange es geht, diesen schönen Schein des durch die Natur und die Geschichte einfach vorgegebenen Ostertermins aufrechtzuerhalten. Solange es eben geht.
astronomische und liturgische Präzision statt lebendige Feier der Gläubigen
Die gegenwärtige Ordnung zieht astronomische Präzision der lebendigen Feier der Gläubigen vor. Der Schlusssatz des Dekrets lässt einerseits hoffen: „Expressions of popular piety and processions which enrich the days of Holy Week and the Paschal Triduum can be transferred to other suitable days in the year, for example 14 and 15 September, according to the judgement of the Diocesan Bishop.“ Die Unterscheidung zwischen der Liturgie der Kirche, wobei „Bishops and priests may celebrate the rites of Holy Week without the presence of the people“ und der „popular piety“ fordert andererseits jedoch dazu auf, das korrekte Handeln des ordnungsgemäß zuständigen Amtsträgers als essentiell und die Feier der Gläubigen demgegenüber als überflüssig zu deuten und darzustellen. Die vollständige Verschiebung des Festes und die Zusammenführung der Handlungen der Amtsträger und der Versammlung der Gläubigen würde die Liturgie als Ort der Gemeinschaft der Kirche deuten und darstellen.
Zu dieser Frage hält die Tradition und gegenwärtige Praxis Erinnerungen und Gewohnheiten bereit. Drei davon seien im Folgenden angedeutet: das Pesach des Hiskija im zweiten Buch der Chronik, der Osterfeststreit im zweiten Jahrhundert und die gegenwärtigen Differenzen der Osterkalender zwischen den Kirchen des Westens und des Ostens.
König Hiskija veranstaltete eine Feier des Pesach im zweiten statt im ersten Monat, „da sich nicht genügend Priester geheiligt hatten und das Volk nicht in Jerusalem versammelt war. Der Plan gefiel dem König und der ganzen Versammlung …“ (vgl. 2 Chron 30,2–5). Die Maßnahme ist nicht absurd. Schließlich überliefert dazu das Buch Numeri schon eine Anordnung Gottes: „Wenn irgendeiner unrein wurde durch Berührung eines Toten oder auf einer weiten Reise ist, sei es unter euch oder in den kommenden Generationen, er aber das Pesach für den HERRN feiern will, dann dürfen sie es im zweiten Monat am vierzehnten Tag …“ (9,10f). Die Verordnung des Sondertermins für Einzelne wird bei Hiskija auf das ganze Fest ausgedehnt, weil es die Umstände erfordern.
Die Verordnung des Sondertermins für Einzelne wird bei Hiskija auf das ganze Fest ausgedehnt, weil es die Umstände erfordern.
Bevor sich auch im Judentum die astronomisch exakte Berechnung des Kalenders durchgesetzt hat, hingen die Feste von der Interkalation der Mondmonate aufgrund der Beobachtung des neuen Monds ab. Diese Epoche betreffend überliefert der babylonische Talmud (Sanhedrin 10b–11a) Debatten über nichtastronomische Gründe, die zu einem Einschub eines Monats vor dem Frühlingsmonat und damit zur Verschiebung des Pesach um einen Monat führen könnten. Diskutiert werden der Zustand der Wege und der Brücken oder auch die Ankunft der Pilger, die schon aufgebrochen aber noch nicht in Jerusalem angekommen sind. Im Alten Testament oder im Talmud überlieferte Entscheidungen sind selbstverständlich nicht für die katholische Kirche bindend. Sie könnten aber als Analogie zu denken geben.
Im Alten Testament und der alten jüdischen Tradition überlieferte Entscheidungen könnten auch der katholischen Kirche zu denken geben.
Wollte man die frühesten christlichen Quellen befragen, wann Ostern sein soll, bekäme man keine einheitliche Antwort. Die vier kanonischen Evangelien stimmen zwar darin überein, dass die Frauen das leere Grab an einem Sonntag entdeckten. Sie können aber kein einheitliches Datum des Todes Jesu nennen. Für Johannes stirbt Jesus am Vortag des Pesachfestes (14. Nisan). Für Matthäus, Markus und Lukas am ersten Tag des Festes (15. Nisan).
Irenäus von Lyon, der über den Osterfeststreit im zweiten Jahrhundert berichtet, betont, dass die Vertreter der zwei unterschiedlichen und vollkommen inkompatiblen Termine des christlichen Osterfestes einander die Kommuniongemeinschaft nicht aufkündigten. Während die einen sich am Termin des jüdischen Pesach und damit an den Mondphasen (und unabhängig von den Wochentagen) orientierten, integrierten die anderen (wie es sich bis heute durchgesetzt hat) den Sonntag in die Festberechnung.
Zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens wurde bis heute kein gemeinsamer Ostertermin vereinbart.
Zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens wurde bislang kein gemeinsamer Ostertermin vereinbart. Immerhin leben die Mitglieder dieser Kirchen in einer globalisierten Welt und erfahren jährlich die Differenzen der Feste. Dazu gehören auch Weihnachten und Epiphanie. In der koptischen Kirche Ägyptens in den USA wurde mit einer Angleichung des Weihnachtsdatums an den 24. Dezember experimentiert. Manche ukrainisch unierte Gemeinden feiern in den USA Weihnachten am westlichen Datum und in der Ukraine am östlichen. Als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin kann man diese Differenz unmittelbar bei Jahresanfangskongressen fühlen. Die orthodoxen Konferenzmitglieder empfinden das so, wie sich westliche Kolleginnen und Kollegen fühlen würden, wenn man einen Kongress auf den 24. Dezember legen wollte. Man kann erklären, wie, wann und warum die Differenzen der Kalender und Berechnungen zustande gekommen sind und man sollte sie nicht durch ökumenische Vereinbarungen einebnen. Die Differenzen halten Jahr für Jahr – durch öffentliche Praxis unterstützt – das Wissen aufrecht, dass Ostertermine (und Weihnachtstermine) nicht von der Natur vorgegeben sind, sondern auf konkreten Entscheidungen konkreter Menschen in konkreten Epochen und historischen Situationen beruhen.
Ostertermine sind nicht von Natur vorgegeben, sondern beruhen auf konkreten Entscheidungen konkreter Menschen in konkreten Epochen.
Diese Beispiele zeigen zwar nicht, dass man sich normalerweise an Gegebenheiten der Geschichte orientierte, um den Ostertermin zu verschieben. Sie deuten aber an, dass unterschiedliche Ostertermine nicht immer ein Grund zur Kirchentrennung waren. Unterschiedliche Berechnungen legen außerdem nahe, dass der Ostertermin nicht astronomisch evident, sondern synodal festgelegt ist. Wegen des covid-19 soll keinesfalls eine neue Berechnung des Ostertermins eingeführt werden. Es geht darum, ob die Liturgie zu Tod und Auferstehung Christi ausnahmsweise auf einen anderen Sonntag versetzt und in Gemeinschaft aller gefeiert werden kann.
Warten wir doch, bis die Krise zu Ende ist und suchen wir dann ein Wochenende der Sonntage „im Jahreskreis“, an dem Ostern als gemeinsame Feier von priesterlicher Liturgie und „popular piety“ stattfindet – und nächstes Jahr wieder an seinem historisch-menschlichen, kosmisch-astronomischen aber auch gewohnt-schönen Frühlingstermin!
https://press.vatican.va/content/salastampa/en/bollettino/pubblico/2020/03/25/200325d.html
Ich danke Thomas Bremer für Hinweise zu den östlichen Kirchen.
Autor: Clemens Leonhard ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Foto: Alex Guillaume, www.unsplash.com