In „Heilig Kreuz“, dem Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität in Frankfurt am Main wurde im November die Osterkerze entzündet. Ein Bericht von Simone Müller.
O wahrhaft selige Nacht,
die Himmel und Erde versöhnt,
die Gott und Menschen verbindet!
(Exultet)
2020 ist ein wirklich außergewöhnliches Jahr. Mitten im November, in der Vorabendmesse zum vorletzten Sonntag im Jahreskreis, erfüllt ein Medley aus österlichen Klängen die kalte Luft in der Kirche Heilig Kreuz, die Heimat des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität in Frankfurt ist. Takte aus dem Exultet, von „Christ ist erstanden“, „Die ganze Welt, Herr Jesu Christ“, „Vom Tode heut erstanden ist“ tanzen federleicht durch den Kirchenraum. Der Anlass, zu dem der Pianist sie spielt, ist ein denkbar seltener: Die Osterkerze ist abgebrannt. „Das hab ich auch noch nicht erlebt“, der Satz ist an dem Abend sowohl vom Team als auch von Gottesdienstbesucher*innen mehr als einmal zu vernehmen.
Takte tanzen federleicht durch den Kirchenraum.
Alles anders in diesem Jahr: Die Osterkerze, in kleinstem Kreis am Osterfeuer entzündet, brannte seit dem 12. April jeden Tag mindestens zwei Stunden. Nämlich in der Zeit, in der die Kirche geöffnet war. Zu diesem Schritt hatte das Team sich kurz nach Verkündung des ersten Lockdowns entschlossen. Wir erinnern uns: Cafés und Einzelhandel mussten schließen, gemeinsame Gottesdienste waren zwischenzeitlich nicht möglich. Seit 17. März sind die Kirchentüren jeden Tag zwei Stunden lang geöffnet, immer ist jemand vor Ort, hat ein offenes Ohr und ist einfach präsent. Jeden Tag zündet jemand die Kerzen an. Und seit 12. April ist darunter auch die Osterkerze, die bis zu ihrer „letzten Schicht“ am 14. November wohl so um die 435 Stunden brannte. Mindestens. Seitdem sind viele Menschen vorbeigekommen, in die Stille, zum persönlichen Gebet, einer Meditation, um eine Kerze anzuzünden oder Weihrauch aufsteigen zu lassen.
Die letzte Schicht der Osterkerze 2020.
Mitten im November – ausgerechnet in dem Monat, in dem wir doch so viel Licht und Wärme brauchen, war das Wachs, das „köstliche Wachs der Bienen“ abgebrannt. Also hat die Osterkerze eine Nachfolgerin bekommen – die Osterkerze vom vergangenen Jahr, ebenfalls am Osterfeuer entzündet und mit neuer Jahreszahl versehen, übernimmt jetzt. Das wurde an diesem Samstagabend gefeiert. Das Licht wurde übertragen. Auf die „neue“ Osterkerze und auf viele kleine Osterkerzen.
Denn der Gottesdienst fand in Kooperation mit dem Zentrum für Trauerseelsorge statt. Im Mittelpunkt stand das Gedenken an diejenigen, die in der Zeit der Corona-Pandemie verstorben sind und von denen ein Abschiednehmen nicht immer so möglich war, wie Angehörige es sich gewünscht haben. In diesem Gottesdienst war Zeit zum Gedenken an die Verstorbenen. Und auch Zeit, sich an Ostern zu erinnern, das für viele in diesem Jahr so anders war. Beim Entzünden der Osterkerze am Feuer konnte niemand dabei sein. Hinterher konnte zwar eine Kerze in der Kirche an der – damals noch großen – Osterkerze entzündet werden. Aber das ist nicht dasselbe, wie den Rauch zu riechen, die Flammen zu sehen, den Funken mit den Augen zu folgen.
Das Licht wurde übertragen auf die ’neue‘ Osterkerze.
Wer wollte, konnte sich auch jetzt beim Gedenkgottesdienst ein kleines Osterlicht mitnehmen, das zum Anbruch der Adventszeit als Erinnerung dient. Eine Erinnerung an die Menschen, die gegangen sind, und eine Erinnerung an Ostern. Als das Lumen Christi auf dem Klavier erklingt, erscheint auf vielen Gesichtern ein Leuchten. Ein Oster-Leuchten. Es tut gut, sich in diesen Monaten zu erinnern, an das, was wir Ostern feiern: Gott liebt diese Welt so sehr, dass er seinen Sohn auf diese Erde schickt. Und er will uns seiner Liebe sicher wissen, deshalb hat er den Tod überwunden.
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Text: Simone Müller, Referentin, Frankfurt am Main.
Bild: Miriam Penkhues