Von Flensburg bis Basel, von Büsum bis Eisenhüttenstadt und sogar in Fremont (Kalifornien) sind in diesen Tagen bemalte Steine an öffentlichen Orten zu finden. Dahinter könnte die Aktion Ostersteine stecken. Was es damit auf sich hat, erklärt Emilia Handke im Interview mit Franziska Loretan-Saladin.
feinschwarz.net: Liebe Frau Handke, vom Werk „Kirche im Dialog“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland geht seit Februar dieses Jahres eine Aktion aus, die sich in ganz Deutschland – und darüber hinaus – verbreitet. Die Aktion wirkt im positiven Sinne ansteckend. Erzählen Sie bitte, was das Geheimnis der Ostersteine ist?
Emilia Handke: Wir haben diese Idee von den sog. Elbstones aufgenommen – einer Facebook-Gruppe mit über 27.000 Mitgliedern. Sie bemalen Steine und legen sie an öffentlichen Orten aus, um Menschen ein Zeichen der Freude in ihren Alltag zu schicken. Auf der Rückseite befindet sich der Name der Facebook-Gruppe, so dass man die Steine beim Finden dann zuordnen kann. Diese sehr schöne Idee lässt sich wunderbar auf den religiösen Kontext übertragen und nachdem meine Kollegin Pastorin Julia Ahmed aus Bad Segeberg in der Weihnachtszeit selbst einen Stein mit einer Krippe darauf gefunden hat und davon berührt war, haben wir gemeinsam eine Aktion für die Nordkirche geplant. Die hat ziemlich schnell in ganz Deutschland und eben auch darüber hinaus Anklang gefunden.
Steine sind für mich bisher eher mit dem Karfreitag verbunden. In katholischen Pfarreien habe ich schon erlebt, dass Steine zum Kreuz getragen wurden, um dort eine persönliche Last, eine Schuld oder auch ein besonderes Anliegen abzulegen. Weshalb verbinden Sie die Steine mit Ostern?
Ja, diese Tradition kenne ich auch. An Ostern macht der Stein im Grunde selbst ein Verwandlungsgeschehen durch. Aus einem Zeichen der Ohnmacht wird ein Zeichen der Hoffnung: Zunächst ist der Stein ja auch das Symbol dafür, dass Jesus wirklich tot war – das Grab mit seinem Leichnam wurde durch einen großen Stein verschlossen, damit niemand mehr hineinkonnte. Als die Jüngerinnen dann am Morgen des ersten Tages der Woche zum Grab Jesu eilten, um seinen Leichnam zu salben, war der Stein plötzlich weggerollt – und das Grab leer. Der weggerollte Stein wurde zum Symbol der Botschaft, dass Gott – die Liebe – stärker ist als der Tod.
… war der Stein plötzlich weggerollt
Aber auch eine andere Stelle in der Bibel erzählt davon, dass die Steine das Potential in sich tragen, zu Botschaftern der Freude zu werden. Paul Tillich versah dieses Potential in seiner Systematischen Theologie mit dem Begriff des „Offenbarungsmediums“. Als die Jünger nämlich über den Einzug Jesu in Jerusalem jubeln, wollen einige der Pharisäer, dass Jesus seine Jünger zurechtweist. Jesus aber antwortet: „Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.“ (Lk 19,40)
Jesus selbst wird im 1. Petrusbrief als „lebendiger Stein“ bezeichnet, „der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar“ (2,4f). Daher sollen auch wir zu „lebendigen Steinen“ werden. Im Grunde ist das ein altes Bild für Christ*innen als Hoffnungsträger*innen. Wir sollen uns zu lebendigen Steinen eines gemeinsamen Hauses verwandeln – und unsere Sorgen in Hoffnung, unsere Schwere in Zuversicht!
Durch Corona hat die Aktion nochmal eine ungeahnte Aktualität bekommen …
Ja, das stimmt. Eigentlich war es so gedacht, dass die Steine erst aus den Ostergottesdiensten hinaus durch die Welt wandern sollten – als Zeichen der Verwandlung der Steine sowie der Verwandlung des Todes in Leben. Mit Corona wurde deutlich, dass wir im Grunde ein immerwährendes Ostern brauchen. Ganz praktisch heißt das ja, dass z.B. die Eltern vor allem jetzt mit ihren Kindern zuhause sitzen und nach guten Ideen suchen, wie man die gemeinsame Zeit sinnvoll verbringen kann. Also haben wir dazu aufgerufen, die Ostersteine schon vor Ostern als Wegzeichen der Hoffnung in die Welt zu bringen. In der Facebook-Gruppe kamen allein in den letzten zwei Märzwochen über 250 neue Mitglieder hinzu. Aktuell sind wir ca. 950 (12.04.2020). Die Aktion ist nun in allen Bundesländern angekommen. Oberstorf in bayrischen Oberallgäu ist wohl die südlichste Gemeinde, die in Deutschland mit dabei ist. Aber auch Fremont in Kalifornien ist am Start.
Was braucht es dazu, die Idee in eine Kirchgemeinde, Pfarrei, in die Schule oder ein Krankenhaus zu tragen? Wie werden die Ostersteine gestaltet?
Am besten, man tritt erstmal der Facebook-Gruppe „Ostersteine“ bei – da kann man viel Inspiration finden. Dann sollte man sich Steine besorgen – vom Meer oder als Buntkies aus dem Baumarkt. Um die Steine auf der Vorderseite mit einem Hoffnungszeichen (Bild, Symbol, Bibelvers o.ä.) zu bemalen, kann man Acrylfarbe benutzen, aber auch wasserfeste Stifte oder Acryllack. Auf die Rückseite kommt die Facebook-Gruppe „Ostersteine“ sowie der Hashtag #stärkeralsdertod – damit man sie bei Facebook oder Instagram entsprechend posten kann. Anschließend müssen sie versiegelt werden mit Acryllack bzw. Klarlack, farblosem Nagellack oder Bootslack. Man sollte nichts auf die Steine kleben, um der Umwelt nicht zu schaden. Wenn man sie findet und mitnimmt, wird eine Desinfektion unbedingt empfohlen – man weiß ja nie. Aber eigentlich ist das Prinzip, sie nach dem Finden wieder an einem anderen Ort auszusetzen, damit sich wieder jemand Neues freuen kann.
Lässt sich die Aktion auch ohne Facebook oder ähnliche Social Media-Kanäle durchführen?
Klar. Dann gestaltet man einfach Steine und setzt sie an öffentlichen Orten aus und vertraut darauf, dass sie jemand findet und sich an ihnen freut. Man kann die „Spur der Steine“ dann eben nur nicht nachverfolgen.
Wird die Aktion auch nächstes Jahr wieder stattfinden oder gar durch das ganze Jahr hindurch?
Die überwältigende Resonanz spricht schon dafür, die Aktion im nächsten Jahr wieder auszurufen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, dass sie mit Weihnachten und anderen kirchlichen Feiertagen wie Michaelistag oder Ewigkeitssonntag auch gut funktioniert. Nun muss man erstmal abwarten, wie sich die aktuelle Lage in Deutschland entwickelt. Ostern ist ja zum Glück noch bis Pfingsten – Ostersteine können wir also noch eine ganze Weile als Hoffnungszeichen – auch unter diesem Namen – gebrauchen.
Welche Erfahrungen haben Sie seit Beginn der Aktion sammeln können? Was hat Sie am meisten berührt, begeistert?
Die Aktion zeigt mir, wie elementar Theologie werden muss, damit sie angeeignet werden kann. Sie ist außerdem ein Zeichen dafür, dass sich die Kolleg*innen in den Gemeinden gerne als Teil einer weltweiten Hoffnungsbewegung fühlen – es als bereichernd erlebt wird, sich nicht immer selbst etwas ausdenken zu müssen und mit den Ideen und Aktionen dann vor Ort weitgehend allein zu sein. Die sozialen Medien machen hier viel möglich.
Es tut gut, einen solchen Hoffnungsstein zu finden.
Mich berührt es, wenn Menschen schreiben, wie gut es ihnen getan hätte, einen solchen Hoffnungsstein zu finden. Überhaupt berührt es mich, wenn Leute schreiben, wie sehr sie selbst sich oder ihre Kinder und Konfis an der Aktion freuen. So sollte es sein.
Liebe Frau Handke, ich danke Ihnen sehr!
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Dr. Emilia Handke leitet als Pastorin das Werk „Kirche im Dialog“ der Nordkirche.
Die Fragen stellte Dr. Franziska Loretan-Saladin, Redaktionsmitglied feinschwarz.net.
Die Bildquellen sind bei den einzelnen Fotos angegeben.
Zur Aktion in konkreten Kirchgemeinden sind verschiedene Videos zu finden:
– Hintergründe und Anleitungen aus der Kirchgemeinde Melsungen
– Video zu den Ostersteinen von den Gemeinden in Bensheim
– Gute Nachricht Blog aus Bad Segeberg
– Gottesdienst mit Ostersteinen in St. Petri zu Wolgas, Pommern