„Wir sind’s! Es wurde viel über uns gesprochen. Nun sprechen wir selbst.“ Mit diesen kraftvollen und selbstbewussten Worten beginnt das Manifest #OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst. Jens Ehebrecht-Zumsande und Bernd Mönkebüscher haben #OutInChurch ins Leben gerufen.
Das „Wir“ umfasst 125 Personen, die sich unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär identifizieren. Sie alle sind hauptberuflich oder ehrenamtlich in der römisch-katholischen Kirche engagiert, oder sie sind potentielle und ehemalige Mitarbeiter:innen. Die Anzahl von LGBTIQ+ Personen in der Kirche ist natürlich viel größer. Darum könnte die Zahl der Mitwirkenden bei #OutInChurch entsprechend deutlich höher sein. Die Gründe nicht mitzumachen sind vielfältig. Da sind diejenigen, deren Angst vor möglichen Konsequenzen (Entzug der Missio, Gefährdung eines bestimmten pastoralen Projektes) sie davon abhält oder die eine mögliche Karriere in der Kirche nicht gefährden möchten. Andere sind schlichtweg resigniert und trauen der katholischen Kirche keine substantiellen Änderungen (mehr) zu. Für sie kommt #OutInChurch mindestens 15 Jahre zu spät. Wieder andere haben sich eingerichtet in einem Status quo und wollen diesen nicht gefährden. Und es gibt die, die sich nicht trauen, sich innerhalb ihres Umfeldes (Familie, Gemeinde…) zu outen, auch aus Gründen von Scham.
andere trauen der Kirche keine substantiellen Änderungen (mehr) zu
Die Mitwirkenden bei #OutInChurch repräsentieren also eine Personengruppe, die um ein Vielfaches größer ist. Mit dem gestrigen Tag sind diese 125 Personen darum auch stellvertretend für andere einen mutigen Schritt gegangen: Sie haben sich gemeinsam geoutet. Sie haben sich gezeigt als die, die sie sind: Als Menschen, die den heteronormativen Vorstellungen von Geschlecht und sexueller Orientierung nicht entsprechen. Als Menschen, die ihre queere Identität als Gabe und Bereicherung erfahren und diese nicht länger verstecken wollen. Als Personen, die bereits auf Grund ihrer Existenz die kirchliche Lehre in Frage stellen. Als Menschen, die sich im Geist Jesu Christi gestaltend in die Kirche und Gesellschaft einbringen wollen.
Personen, die bereits aufgrund ihrer Existenz die kirchliche Lehre in Frage stellen
Neben der Veröffentlichung des Manifestes finden sich auf der Website der Initiative Bilder und kurze Statements aller Beteiligten. Viele sind auch Mitwirkende bei einem Dokumentarfilm von Hajo Seppelt, Katharina Kühn und Marc Rosenthal, mit dem Titel „Wie Gott uns schuf“, der am 24.1. in der ARD lief.
Wie alles begann: Von #ActOut zu #OutInChurch
Am 5. Februar 2021 outeten sich im Magazin der Süddeutschen Zeitung 185 queere Schauspieler:innen und veröffentlichten unter dem #ActOut ein gleichnamiges Manifest.
Diese Initiative hat viel Resonanz und Diskussionen über die Akzeptanz von LGBTIQ+ Personen ausgelöst. Sie war auch das Vorbild für #OutInChurch. Noch am gleichen Tag bildete sich auf Initiative von Jens Ehebrecht-Zumsande und Bernd Mönkebüscher eine Aktionsgruppe, damals noch unter dem Arbeitstitel „churchout“. In einer ersten Videokonferenz am 19. Februar 2021 kamen bereits über 90 Personen zusammen, es folgten viele weitere in den kommenden Monaten.
Im schon erwähnten SZ-Magazin schreiben Carolin Emcke und Lara Fritzsche, die die Interviews mit den Schauspieler*innen der #ActOut-Kampagne geführt haben:
„‚Würden Sie alle sagen, dass dieses Interview für Sie eine Lebensentscheidung ist?‘ Es wird die siebte Frage sein, und die sechs Schauspieler*innen, die hier zusammengekommen sind, werden unisono das Gleiche antworten: ‚Ja!‘“
Ein solches „Ja!“ gilt sicher auch für viele, vermutlich sogar alle Mitwirkenden der #OutInChurch-Kampagne. Sich zu zeigen als lesbisch, schwule, bisexuelle, nichtbinäre, trans* oder queere Person in der römisch-katholischen Kirche erfordert immer noch Mut, besonders für Mitarbeitende der Kirche, deren berufliche Existenz bei einem Coming-out gefährdet ist. Viele der Mitwirkenden haben in den vergangen Monaten der Vorbereitung auf die Kampagne immer wieder die Angst gespürt. Diese Angst wahr- und ernstzunehmen, ohne ihr zu viel Macht zu geben, ist oft eine Gratwanderung. Gut, wenn es dabei Verbündete gibt.
deren berufliche Existenz bei einem Coming-out gefährdet ist
Was uns bei allen Ängsten und Bedenken und auch trotz aller Unterschiedlichkeit verbindet, ist ein Hoffnungstrotz und der Wunsch nach Veränderung, der groß und stark ist. Eine Sehnsucht nach einer Kirche, die ein sicherer Ort für queere Menschen ist. Der Realismus und die Erfahrung, dass solche Orte immer von denen erkämpft und geschaffen werden müssen, die sie ersehnen. So wie es der Schriftsteller James Baldwin einmal ausgedrückt hat: „Der Ort, an dem ich passen werde, wird nicht existieren, bis ich ihn geschaffen habe.“
Hoffnungtrotz
Sichere Orte schaffen
Orte schaffen. Vielfältig, farbenfroh. Sich den Glauben nicht nehmen lassen, dass das geht. Gegenwind in Kauf nehmen, einander ermutigen, sich verbinden und gegenseitig stärken, zusammen weinen und stolz sein über jeden Schritt, der zu mehr Echtheit und Ehrlichkeit führt.
Wir glauben, dass es diese für jeden Menschen passenden Orte längst schon gibt, von Beginn des Lebens an, nämlich in Gott. Darum wurden die Zoomkonferenzen zu Glaubenszeugnissen, darum werden die Coming-outs zu Glaubenszeugnissen: Menschen öffnen sich, kommen aus sich heraus, überwinden die Angst, nehmen sich so an, wie sie sich von Gott geschaffen glauben, nehmen das mit in die Wiege Gelegte als geschenkte Talente, die eingebracht werden wollen, vertrauen, dass Gott den Rücken stärkt, besonders da, wo menschliche Mächte einschüchtern und klein halten wollen. Gott bekommt Raum im Leben, wo Menschen sich zeigen (können), wie sie sind.
Coming-outs als Glaubenszeugnisse
Für eine Kirche ohne Angst
Dass ein gemeinsames öffentliches Coming-out vieler queerer Menschen auch im Jahr 2022 für viele ein großes Wagnis ist und manche diesen Schritt nur begrenzt mitgehen können, zeigt bereits an, wie nötig diese Initiative ist! Im Manifest heißt es: „Die meisten von uns haben mannigfach Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung gemacht – auch in der Kirche. … Bisher können viele von uns in ihrem kirchlichen Beruf oder Umfeld mit ihrer geschlechtlichen Identität und/oder mit ihrer sexuellen Orientierung nicht offen umgehen. Es drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Zerstörung der beruflichen Existenz.“
Darum umfasst das Manifest verschiedene Forderungen, die in sieben Punkten zusammengefasst sind. Die Initiative zielt u. a. darauf ab,
- diffamierende Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse zu revidieren;
- das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, auch in einer Partnerschaft beziehungsweise Zivilehe, weder zum Ausschluss von Aufgaben und Ämtern noch zur Kündigung führt;
- dass die Kirche in Riten und Sakramenten sichtbar macht und feiert, dass LGBTIQ+ Personen und -Paare von Gott gesegnet sind.
Stören aus Verantwortung
Der Text des Manifestes und die Formulierung der sieben Forderungen sind in einem längeren basisdemokratischen Prozess entstanden, bei dem sich alle Mitwirkenden bei #OutInChurch einbringen konnten. Es ist klar, dass die Mitwirkenden mit höchst unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunkten die gemeinsame Kampagne bereichern. Was alle jedoch verbindet, ist der Gedanke der bestärkenden Solidarität. Im Manifest heißt es: „Mit all diesen Forderungen gehen wir gemeinsam den Schritt an die Öffentlichkeit. Wir tun dies für uns und wir tun dies in Solidarität mit anderen LGBTIQ+ Personen in der römisch-katholischen Kirche, die dafür (noch) nicht, oder nicht mehr die Kraft haben. Wir tun dies in Solidarität mit allen Menschen, die der Stereotypisierung und Marginalisierung durch Sexismus, Ableismus, Antisemitismus, Rassismus und jeglicher anderen Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind.“
wir tun dies in Solidarität
Das Manifest und die Kampagne #OutInChurch legen den Finger in die Wunde. Dass die katholische Kirche auch ein diskriminierendes System ist, wollen viele ihrer Mitglieder noch immer nicht wahrhaben. Wer die Diskriminierung dennoch deutlich benennt, geht immer auch ein Risiko ein. Die Mitwirkenden werden sichtbar und machen sich deshalb stark für eine Kirche ohne Angst, weil sie hochverbunden sind mit der Botschaft des Evangeliums und dem Potential, welches die Kirche unbestritten hat. Im Manifest heißt es darum: „Wir tun dies aber auch für die Kirche. Denn wir sind davon überzeugt, dass nur ein Handeln in Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit dem gerecht wird, wofür die Kirche da sein soll: die Verkündigung der frohen und befreienden Botschaft Jesu.“
die Adressat:innen: alle Katholik:innen
Die Adressat:innen des Manifestes sind demnach alle Katholik:innen, denn der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung darf nicht allein den marginalisierten Minderheiten überlassen werden. Er geht alle an. Dennoch sind Personen in der Kirchenleitung in ihrer Rolle und Verantwortung in besonderer Weise angesprochen. Im Manifest heißt es dazu:
„Für einen Neuanfang ist es unumgänglich, dass Kirchenleitende für die unzähligen Leiderfahrungen der LGBTIQ+ Personen in der Kirche gemacht haben die Verantwortung übernehmen, die Schuldgeschichte der Kirche aufarbeiten und unseren Forderungen folgen. …Mit diesem Manifest treten wir ein für ein freies und von Anerkennung der Würde aller getragenes Zusammenleben und Zusammenarbeiten in unserer Kirche. Wir laden darum alle, insbesondere die Verantwortlichen und Kirchenleitungen dazu ein, dieses Manifest zu unterstützen.“
Das Manifest und die Kampagne #OutInChurch fordern zur Veränderung und damit zum Wachstum heraus. Hierbei kann die römisch-katholische Kirche viel gewinnen: ein Mehr an Gerechtigkeit, Weite und Glaubwürdigkeit und darin eine noch größere Nähe zum Evangelium und zum Reich Gottes. Was könnte ihr Besseres passieren?
Autoren:
Jens Ehebrecht-Zumsande, geb.1971, Religionspädagoge und Supervisor DGSv, Leiter des Grundlagenreferates »Kirche in Beziehung« im Erzbistum Hamburg, Mitinitiator von #Liebegewinnt und #OutInChurch, www.ehebrecht-zumsande.de
Bernd Mönkebüscher, geb. 1966, Priesterweihe 1992, seit 2007 Pfarrer in Hamm, outete sich Anfang 2019, Mitinitiator von #mehrSegen, #Liebegewinnt und #OutInChurch, www.wegwort.de
Beitragsbild: www.outinchurch.de
Hinweis: Im Mai erscheint im Herderverlag ein Buch mit Erfahrungsberichten von Mitwirkenden bei #OutInChurch, sowie zahlreichen Beiträge aus einer reflektierenden wissenschaftlich-theologischen, oder einer kirchenpolitischen Perspektive.