Die Kolumne für die kommenden Tage 18
Was soll ich in diesem Jahr am Palmsonntag feiern? Die Prozession fällt aus; die Palmzweige, abgeschnitten in der Vor-Corona-Zeit und noch vor der Blüte, haben keine Gemeinschaft erlebt, kein „Hosiannah dem Sohne Davids“. Sie sind ein Zeichen einer Wirklichkeit, die ich nicht sehe, sondern nur erhoffen kann.
Ich befinde mich in einem Zwischenraum, einer Schwelle – und genau das ist ja auch der Palmsonntag: das Gestern zählt bald nicht mehr; das Morgen kann nur erhofft, erwartet werden. Ich kann den Palmsonntag nicht so feiern wie immer – und ich will es auch nicht. So tun, als ob eh alles noch gleich wäre. So tun, als ob in ein paar Wochen oder Monaten wieder die Normalität einkehren wird. Diese Karwoche 2020 verändert unwiederbringlich.
Ich bin mit mir allein, verwiesen auf mich selbst, auf meine eigene Spiritualität und Theologie, auf meinen Glauben. Ich stehe nicht vor einer Gemeinde, feiere nicht mit ihnen. Und doch: Ist nicht genau das in diesem Jahr die Erfahrung, die mich näher zum Geheimnis der Karwoche bringt? Den verklingenden Jubel der Feiern bis Anfang März noch im Ohr – und nun die Stille, die Einsamkeit. Und die Frage: Wie wird das ausgehen?
Ich habe Kontakt mit Freunden und Familie – aber nur vermittelt, über Medien. Feiern – aber nur allein. Zwischenräume einhalten ist das Gebot der Stunde – mindestens einen Meter zu Nachbarn im Stiegenhaus, beim Einkaufen, beim Spaziergang. Zwischenraum einhalten rettet Leben.
Natürlich weiß ich, dass in einer Woche Ostern ist; dass wir die Auferstehung feiern werden, wie seit 2000 Jahren. Und doch: es ist anders. Ich bin anders. Meine Umgebung ist anders. Verändert nicht durch die Auferstehung, sondern durch einen Virus und seine Konsequenzen. Was aber bedeutet dann in dieser Situation die Hoffnung, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort haben? Wie bete ich zu dem Gott, der immer wieder Leid zulässt? Wie sieht meine persönliche Hoffnung dabei wirklich aus?
Ich habe da viel mehr Fragen als Antworten. Ob mir das Lesen der Bibelstellen, die liebgewordenen Riten der Kirche – aber diesmal in der Home-Version, die angezündete Kerze und die kleinen Palmzweige als Zeichen einer heilen Wirklichkeit helfen können? Ich hoffe es.
Palmsonntag im Zwischenraum (J. Pock 2020)
Im Zwischen
von Jubel und Trauer, von Zustimmung und Ablehnung
von Alltag und Homeoffice, von Angst und Hoffnung
von Klage und Anklage, und dem Hadern mit Gott
Inmitten
der Coronakrise und des täglich medial vermittelten Leids,
in einem Land, das es sicher schaffen wird – im Wissen, dass es in anderen Ländern viel dramatischer ist
Feiern
den einen, der sich aufgelehnt hat gegenüber Unterdrückung
den einen, der zur Hoffnung für die vielen geworden ist
den einen, der auch heute noch Zeichen des Widerspruchs ist.
Und glauben
dass irgendwo ein Sinn zu finden sein wird,
und ein offenes Grab als Zeichen
für die Abwesenheit und Anwesenheit Gottes zugleich.
—
Autor: Johann Pock ist Prof. für Pastoraltheologie in Wien und Mitglied der Feinschwarz-Redaktion
Beitragsbild: Johann Pock