Die Theologie braucht eine ständige Erneuerung, damit sie den Herausforderungen der Zeit gewachsen ist. Papst Franziskus gibt starke Impulse für eine gegenwartsrelevante wissenschaftliche Theologie. Christian Cebulj kommentiert die jüngst erschienene Apostolische Konstitution Veritatis gaudium.
Veritatis gaudium verum gaudium…! In seiner neuen Apostolischen Konstitution Veritatis gaudium äussert sich Papst Franziskus grundsätzlich zur Bedeutung und Funktion der Theologischen Hochschulen und Fakultäten auf dem Globus. Ich kann nur sagen: Das Schreiben über die „Freude an der Wahrheit“ ist eine „wahre Freude“…! Zwar stellt es im Wesentlichen eine Fortschreibung der Konstitution Sapientia Christiana aus dem Jahr 1979 dar. In der Sache bemerkenswert sind jedoch einige Aspekte, die er in der Einleitung formuliert. Sie dürfen insgesamt als breit angelegte Wertschätzung der wissenschaftlichen Theologie verstanden werden. Vier Aspekte daraus erscheinen mir besonders wichtig:
Das aggiornamento muss weitergehen
Papst Franziskus arbeitet in Veritatis gaudium über 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum gezielt mit Metaphern des Zweiten Vatikanischen Konzils und wiederholt nicht einfach nur, was sein Vor-Vorgänger Johannes Paul II. 1979 in Sapientia Christiana formulierte. Wenn Franziskus schreibt, er möchte ein „aggiornamento“ (dt.: eine „Verheutigung“) von Sapientia Christiana, dann verwendet er einen Begriff von Konzilspapst Johannes XXIII. Dieser meinte nämlich, die Kirche solle ihre Zukunft nicht nur in der Vergangenheit suchen.
Aggiornamento der Kirche – und der Theologie
Sie solle nicht zu einer kleinen Herde von Rechtgläubigen werden, die zur gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit verkommt. Vielmehr sei es Aufgabe der Kirche, sich ständig zu erneuern und die Fenster zur Welt zu öffnen. Die Theologischen Fakultäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum erfüllen diese Forderung seit vielen Jahren, indem sie sich in öffentlichen Debatten positionieren, wenn es etwa um Sterbehilfe, um die Integration des Islam, um den Religions- und Ethikunterricht an öffentlichen Schulen oder um Religionsfreiheit geht.
Freude am Dialog statt Kulturpessimismus
Mit seiner Rede von der Freude (gaudium) verwendet Franziskus einen zweiten Schlüsselbegriff des Konzils. Damit knüpft er einen roten Faden in drei Schritten: Er beginnt bei Gaudium et Spes, als Pastoralkonstitution einer der zentralen Texte des Zweiten Vatikanums. Darin wird gesagt, dass die Kirche sich nicht abschotten, sondern den Dialog mit der Welt von heute suchen soll. Diese Linie greift Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium auf und sagt darin nochmals, dass alle Theologie der Pastoral dienen müsse. Derselbe Begriff wird drittens in Veritatis gaudium verwendet. Darin fordert Franziskus die akademische Theologie auf, den manchmal elfenbeinernen Turm der Wissenschaft zu verlassen und den offenen Dialog mit Gesellschaft, Politik und Gegenwartskultur zu suchen.
Den Elfenbeinturm verlassen und den offenen Dialog suchen
Das Wertvolle an der Sprache und Theologie von Papst Franziskus ist, dass er die Pluralität von Religionen und Weltanschauungen unserer Gegenwart nicht als Gefahr, sondern als Chance für einen offenen Dialog sieht. Schön ist folgende Formulierung im Text: „Der Theologe, der sich an seinem vollständigen und abgeschlossenen Denken ergötzt, ist mittelmäßig. Der gute Theologe und Philosoph hat ein offenes Denken, das heißt es ist nicht abgeschlossen, immer offen für das „maius“ Gottes und der Wahrheit, immer in Entwicklung begriffen […]“ (Einleitung, Nr. 3). Wenn ich dagegen manche Hirtenbriefe von Bischöfen lese, die in kulturpessimistischer Weise nur das Schlechte und Bedrohliche unserer Zeit herausstreichen und so tun als ob der Untergang des Abendlands vor der Tür stünde, dann zeigt Papst Franziskus eine ganz andere Perspektive auf!
Theologie als kulturelles Laboratorium
Ein schönes Sprachspiel ist die Rede von der Theologie als einem “kulturellen Laboratorium“. Papst Franziskus spricht mir als Religionspädagoge aus dem Herzen, denn er fordert Elementarisierung statt Populismus. Wie in Erziehung und Unterricht müssen wir auch in der akademischen Theologie immer wieder neu versuchen, theologische Inhalte und zentrale Fragen des Glaubens in einfacher Sprache auszudrücken, ohne dabei platt oder billig zu werden. Das ist die größte Herausforderung an die Theologie unserer Zeit.
Elementarisieren, nicht indoktrinieren oder banalisieren
Religionspädagogisch nennen wir das Elementarisierung, also Reduzieren ohne Banalisieren. Leider erleben wir in der Kirche, in der Verkündigung oder in gewissen kirchlichen Medien genau das Gegenteil, nämlich Populismus. Beim Versuch, Glaubensinhalte zu vereinfachen, werden diese dermaßen banalisiert oder ideologisch überfrachtet, dass nichts mehr von ihrer Substanz übrigbleibt. Das ist Indoktrination und keine Theologie.
Theologie soll treu und kühn an die Grenzen gehen
Papst Franziskus würdigt die akademische Theologie, indem er betont, dass sie einen „besonderen und unersetzlichen Beitrag zur Inspiration und Orientierung erbringt“ (Einleitung Nr. 5). Dazu regt er die Einrichtung von Forschungszentren an, die sich mit den elementaren Problemen der Kirche und der Menschheit beschäftigen. Obwohl es an vielen Theologischen Fakultäten weiterer Anstrengungen bedarf, gibt es im deutschsprachigen bzw. europäischen Raum schon seit vielen Jahren theologische Institute und interdisziplinäre Zentren, die Forschung im Sinne von Veritatis gaudium leisten.
Oft fehlt die Rezeption der theologischen Forschung in den Verlautbarungen der Kirche.
Oft genug fehlt es jedoch an der Rezeption der theologischen Forschungsergebnisse auf der Ebene der kirchlichen Verlautbarungen. Und damit komme ich zu einer Frage, die nach der Lektüre des neuen Papstschreibens bleibt:
Was bleibt als Fazit?
Als Wirkung von Veritatis gaudium hoffe ich zunächst auf einen verbesserten innerkirchlichen Dialog: Die theologische Forschung hat gerade an den Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum eine lange Tradition. Dabei wurde das Gespräch zwischen Lehramt und akademischer Forschung oft nicht optimal geführt. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse der Theologie, die seit Jahren auf dem Tisch liegen, aber kirchenpolitisch folgenreich wären, sind nur unzureichend in die kirchliche Verkündigung eingeflossen.
So würde ich mir im Anschluss an Veritatis gaudium wünschen, dass die akademische Theologie noch stärker als bisher als Gesprächspartnerin für Bischöfe und Bischofskonferenzen wahrgenommen wird. In Veritatis gaudium macht Papst Franziskus deutlich, dass er einen offenen Dialog mit der akademischen Theologie wichtig findet und ihr eine leadership in dieser Sache zutraut.
Ernst machen!
Vor diesem Hintergrund darf die neue Konstitution als Glücksfall für die Theologischen Fakultäten gelten, nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern weltweit. In der Musik heißt es zwar in stilisierter Anlehnung an ein antikes Wort des Seneca Res severa verum gaudium („Wahre Freude ist eine ernste Sache“). Zur Einleitung der neuen Konstitution von Papst Franziskus bleibt zu sagen: „Veritatis gaudium verum gaudium“. Das wird erst recht gelten, wenn Theologie und Kirche ernst machen mit den dort formulierten Impulsen…
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Prof. Dr. Christian Cebulj ist Rektor der der Theologischen Hochschule Chur (CH) und lehrt dort Religionspädagogik und Katechetik.
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