„Schreiben Sie einen Text (exakt 500 Wörter) zu folgenden Fragen: Was sind für Sie persönlich ‚kirchliche Fragen der Gegenwart‘? Worin sehen Sie Ihre persönliche Rolle in der Kirche? Das Genre Ihres Textes können Sie frei wählen.“ So lautete die Aufgabenstellung für Teilnehmende am Seminar „Kirchliche Fragen der Gegenwart“, angeboten von Professorin und feinschwarz.net-Redaktorin Julia Enxing an der TU Dresden.
Einige der Studierenden haben ihre Texte zur Veröffentlichung freigegeben. Drei davon veröffentlichen wir hier. Einer erscheint in der Rubrik x:bar im langen Advent. Drei weitere folgen in einem Beitrag in den nächsten Tagen. Wir freuen uns über diese originellen, mutigen, kreativen, satirischen, reflektierenden, spritzigen Texte.
Jesus tritt aus der Kirche aus!
„Liebe und tue, was du willst“ – der heilige Augustinus hat vor mehr als 1500 Jahren in seiner Auslegung zum Galaterbrief und später in seinem Kommentar zum Johannes Evangelium eine universelle Wahrheit verkündet. Die Liebe als das höchste Gut, ein Geschenk Jesu, eine Gabe und etwas so Wertvolles, dass es alles was wir tun bestimmen soll und uns zu Herrlichkeit motiviert.
Würde Augustinus heute leben, hätte ihn meine Tante vielleicht gestern getroffen. Sie war nämlich im Standesamt, um aus der Kirche auszutreten. Augustinus wäre freilich spät dran, würde er sich erst jetzt entschließen aus der Kirche auszutreten. Doch als Christ:innen will man das Mutterschiff Kirche, das nur von Vätern manövriert wird, so ungern ziehen lassen. Selbst wenn es zielsicher auf eine Klippe hinsteuert. Während der Kreuzzüge, die Urban II. als Willen Gottes gerechtfertigt hat (= deus lo vult – Gott will es) wäre ein guter Zeitpunkt für einen Austritt aus einer ausschließenden Kirche gewesen. Das war aber damals gesellschaftlich eher ungünstig und mitunter sogar lebensbedrohlich, man denke an die „heilige“ Inquisition.
Augustinus wäre freilich spät dran.
Es ist nicht so, als hätte die Kirche im Namen Gottes in den letzten Jahrhunderten nur Böses getan. Das stimmt natürlich nicht. Ehen wurden geschlossen und Priester geweiht, aus unerfindlichen Gründen kann aber kein Mann beide Sakramente empfangen – und seiner Berufung nachgehen. Was natürlich logisch ist, denn Jesus hat ja gesagt – ach so, nein. Hat er ja gar nicht. Genau so wenig hat Jesus Frauen von irgendwelchen Sakramenten ausgeschlossen, beziehungsweise sie davon ausgeschlossen Sakramente zu spenden.
Dass in einer insgesamt patriarchalen Gesellschaft eine Kirche entstanden ist, die die Botschaft Jesu oft missverstanden und Verbrechen begangen hat, ist tragisch, aber nachvollziehbar. Die Kirche ist eine Sünderin, weil sie weiblich ist und fehlerhaft. Der Glauben aber ist ein starker Felsen, auf dem wir uns ausruhen dürfen. Bis zu nächsten Welle. Die Kirche, auf der dieser Fels gebaut ist, die wird es vielleicht bald so nicht mehr geben. Denn sie hat sich versündigt. Sie muss Buße tun, bekennen, bereuen. Sie darf im 21. Jahrhundert niemanden mehr ausschließen. Vor allem nicht, weil sie sich auf einen Mann bezieht, der nie jemanden ausgeschlossen hat. Diese Kirche muss allen Menschen die gleiche Chance geben, sonst ist sie chancenlos. In unserer liberalen, aufgeschlossenen Gesellschaft muss sie auf Menschen zugehen und ihnen Trost spenden, Hoffnung geben, Liebe schenken. Unsere Religion hat mit einer Rebellion angefangen und in Zeiten der Unruhe muss man sich auf seine Grundwerte besinnen. Glaube, Liebe, Hoffnung sind schöne Worte, aber es müssen Taten folgen.
Die Kirche muss allen Menschen die gleiche Chance geben, sonst ist sie chancenlos.
Bleiben wir bei Augustinus im Standesamt. Endlich hat er sich entschlossen, der Kirche den Rücken zuzuwenden und ein Leben in Freiheit zu beginnen. Er öffnet die schwere Holztür zum Büro der Sachbearbeiterin, es fällt ihm nicht leicht. Doch die Dame im schlecht beleuchteten und alten Büro sieht ihn schockiert an. Alle Formulare und Anträge liegen verstreut auf dem Boden. Es herrscht absolutes Chaos. Zitternd hält sie einen Antrag in der Hand. Darauf steht geschrieben: „Ich, Jesus von Nazareth, möchte aus der römisch-katholischen Kirche austreten. Grund: unüberwindbare Differenzen.“
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Lisa-Marie Eberharter hat einen Bachelorabschluss im Fach Geschichte mit großem Ergänzungsbereich katholische Theologie. Sie ist zurzeit im Masterstudium Geschichte an der TU Dresden und 22 Jahre alt.
Schöne, heile Welt
Jeden Sonntag in die Kirche zum Gottesdienst. Jeden Abend vor dem Schlafengehen beten. Alle Kinder in der Grundschule gehen in den katholischen Religionsunterricht. Jeder kennt die Taufe und Erstkommunion. Die Brüder und Klassenkameraden dürfen ministrieren. Zu Ostern reiten die Osterreiter von Ort zu Ort und verkünden die frohe Botschaft. Die Frauen kümmern sich ums Essen, die Männer um den Stall. Traditionen werden fortgeführt, ohne zu hinterfragen. Die schöne, geborgene und heile Welt, in der jedes Kind behütet aufwachsen sollte.
Die Frauen kümmern sich ums Essen, die Männer um den Stall.
Dann folgt der große Schock auf dem Gymnasium. Fragen tun sich auf. Was ist Ethikunterricht? Warum glauben Menschen auch an Gott, nennen sich aber anders und gehen in evangelischen Religionsunterricht? Es gibt Menschen, die nicht an Gott glauben?
Spätestens im Studium gewann ich viele neue Ansichten und Perspektiven. Sowohl über den eigenen als auch über den Glauben anderer. Meine Einstellung und Meinung weiteten und änderten sich, sodass viele Traditionen und Bräuche meiner Heimat nicht mehr in mein Bild passten. Ich begann zu hinterfragen.
Viele Traditionen und Bräuche meiner Heimat passen nicht mehr in mein Bild.
Doch irgendwas zieht mich wieder zurück. Die Verbundenheit mit der Heimat ist vermutlich einfach zu groß und auch viele Freunde kommen nach dem Studium wieder oder haben es zumindest vor. Sie kommen nach dem Studium ebenfalls mit neuen Erkenntnissen zurück. So kann neuer, frischer Wind in die ländliche Region kommen und sich viel ändern. Und das ist auch wichtig und richtig so, denn wie soll sich ein Ort weiterentwickeln, wenn nur die „Alten“ bleiben oder nur die, die den Ort nie verlassen und sich alles von den „Alten“ abschauen? Genau, gar nicht. Denn die werden auch irgendwann alt, der Ort kann sich nicht weiterentwickeln und es entsteht ein Teufelskreis, den von außen keiner aufbrechen kann. Alles was fremd und anders ist, erscheint falsch und man schottet sich ab.
Doch irgendwas zieht mich wieder zurück.
Ich möchte nicht mehr von einem Elfenbeinturm in den anderen switchen. In der Uni sehnen wir uns als nächstes eine Päpstin herbei, während ich mich im Umfeld der Volkskirche mit Menschen anlege, die gegen das Einführen von Messdienerinnen wettern. Ich würde gern noch viel länger studieren, um mehr Erkenntnisse zu erzielen und viel mehr pro-Argumente für Homosexualität, Feminismus, LGBTQ, Ökumene, … in der Kirche finden.
Aber es würde wohl niemandem außer mir etwas bringen. Ich möchte gern etwas bewegen. Ohne Arbeit „von innen“ wird es in einer Volkskirche keine Veränderung geben. Auch wenn es nicht die Welt(kirche) verändert, möchte ich es mir zur Aufgabe als zukünftige Religionslehrerin machen, Fundamente zu einem offenen und toleranten Miteinander zu legen und auch schon in der Grundschule Denkanstöße geben und die Kinder hinterfragen zu lassen.
Ich möchte nicht mehr von einem Elfenbeinturm in den anderen switchen.
Ich möchte eine Verbindung schaffen und Kindern von klein auf mitgeben, dass es schön und in Ordnung ist, mit Traditionen aufzuwachsen. Ja, dass es sogar wichtig ist, ein Gemeinschaftsgefühl mit der Familie durch das abendlich, gemeinsame Beten zu bekommen. Dass es wichtig ist, die Traditionen als Teil seiner Identität zu wissen und bspw. das Osterreiten mitzugestalten. Dass es gut ist, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, weil es gemeinschaftsstiftend sein kann. Aber eben mit dem großen Unterschied, dass den Kindern auch klar wird, warum es diese Traditionen gibt und man sie immer wieder durchführt. Dass bereits Kinder lernen zu hinterfragen und einige Traditionen auch gebrochen, aufgelöst oder verändert werden können. Denn nicht die Tradition per se und das Beibehalten dieser um jeden Preis zählt, sondern die besseren Argumente sollten über ein Umdenken entscheiden.
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Eva Zschornak studiert Grundschullehramt an der TU Dresden im Kernfach katholische Theologie im 7. Semester. Sie ist 23 Jahre alt.
// Eine kleine Geschichte über „Listán Prieto“
Ich möchte euch heute eine Geschichte erzählen. Sie spielt auf einem Planeten der ruhig seine Bahnen durch das All zieht, ruhig und besonnen, ruhig, dennoch in Bewegung. Dort lebt ein Herrschergeschlecht seit Generationen, bekannt unter dem Namen „Listán Prieto“1.
Was dieser Name genau bedeutet, das weiß keiner mehr genau. Man behielt ihn, weil er so gut in den Ohren der Zuhörer klang. Die Bedeutung von „Listán“ wurde nie geklärt. Einige Gelehrte behaupten „prieto“ bedeutet „schwarz“. Es wäre ein ziemlich intensiver Schwarzton, schwärzer als Teerschwarz, Chromscharz und Lakritzschwarz zusammen.
Dieses Glas konnte Mensch und Umwelt in die buntesten Farben einhüllen.
Doch begann die Geschichte des Herrschaftsgeschlechtes in Bunt. Einst fand man einen durchsichtig geschliffenen Glasklumpen, in einer ärmlichen Hütte. Dieser Werkstoff war unbekannt, sie nannten ihn Glas wie wir. Was er bedeutete verstandenen die Wenigsten. Erst nach einiger Zeit merkten die Menschen, dass dieses Glas eine besondere Eigenschaft hat, es konnte Mensch und Umwelt, dank Licht, in die buntesten Farben einhüllen. Manche Momente kann man nicht beschreiben, (die könnt nur ihr euch vorstellen); diesen Anblick von tanzenden Farben, diese Freude, dieses Leben.
Zwar hatte man solche Phänomene schon in der Natur gesehen, doch sie waren anders, vielleicht zu weit entfernt. Man erkannte, dass dies etwas Besonderes war, was die Menschen auf unbeschreibliche Weise erfüllte.
Ein Herrschaftsgeschlecht bildete sich heraus.
Mit gutem Ansinnen versuchte man, den kostbaren Gegenstand zu schützen. Er wurde aus seiner ärmlichen Umgebung genommen und ihm wurde allein ein schönes Haus gebaut. Ein Herrschaftsgeschlecht bildete sich heraus, das schwor, sich nur noch um den Glasklumpen, den Multicolor, zu kümmern.
Oft sind Herrschaftsgeschlechter verwandt, das kennen wir von unserem Planeten so, doch das war in dieser fremden Welt nicht immer der Fall. Es zählten dort die Berufenen wie Kinder. Colorberufene wurden auf unterschiedliche Weisen zum „Heiligen“ hingezogen. Einige hatten die tanzenden Farben gesehen und waren fasziniert, andere sahen in die lachenden Gesichter der farb-erfüllten Menschen und wollten auch den Farblosen eine solche Freude schenken. Mit der Zeit wurde aber auch das eigene Ansehen zum Interesse. „Einfache“ Menschen tuschelten auf den Straße: „Siehe nur, er ist einer der „Listán Prieto“, er ist dem Multicolor ganz nah.“
Aus Angst, es könnte durch zu viel Lichteinfluss zerstört werden.
Dieses Ansehen vergiftete viele und um so mehr ihr Ansehen wuchs, um so bedeutender und stärker wurde ihre Herrschaft, um so mehr bestimmten sie über den Multicolor und die Menschen, die sich nach Farbenfreude sehnten.
Nach einigen Jahrhunderten drang in das Multicolorheiligtum nur noch wenig Licht durch winzige Fenster, aus Angst, es könnte durch zu viel Lichteinfluss zerstört werden, oder gar seine gesamte Farbenfreude mit einmal verbrauchen.
Nun lag ein lebloser Glasklumpen im Dunklen und wurde verehrt. Man nutzte bunte Kleider, viele Worte und Gesang, dennoch brachten diese Dinge oft nicht die Leichtigkeit des Farbentanzes mit sich. Nur in kurzen Augenblicken, wenn die Sonne tief genug steht, zeigt sich ein harmonisches Farbenspiel, im sonst finsteren Gemäuer.
Viele des Herrschaftsgeschlechts hatten es nicht gewagt, über den Ursprung der Farben nachzudenken.
So sehr sie doch verehrten, bewahrten und regelten, hatten viele des Herrschaftsgeschlechts es nicht gewagt, über den eigentlichen Ursprung der Farben nachzudenken. Dass dieser Glasklumpen als Werkzeug, als Prisma, dem Licht diente. In tiefen, dunklen Gemäuern verwahrt „Listán Prieto“ das Glasobjekt, während manchmal ferne, bunte Lichtspiele am Heiligtum vorbeiziehen.
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Felicitas Buhl studiert katholischen Theologie an der TU Dresden im 8. Semester. Sie ist 24 Jahre alt.
Beitragsbild: Felicitas Buhl
- Auf der Erde bekannt als Weinsorte, im kirchlichen Kontext auch als Messwein verwendet. ↩