Der „Tag der Pflege“ am 12. Mai ist für Cornelia Coenen-Marx Anlass um die Chancen aktueller Debatten in der Altenpflege zu reflektieren. Gerade in sozialethischen Debatten muss es um eine differenzierte Betrachtung der Innovationen gehen, die sich mit der Digitalität ergeben.
Pflegeroboter oder Pflegeheim? Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten? In einer Befragung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zeigte sich: 83 Prozent von rund 1.000 Befragten können sich vorstellen, einen Service-Roboter zu nutzen, wenn sie dadurch im Alter länger zu Hause leben könnten. „ Ich will leben und sterben, wo ich zu Hause bin“: Klaus Dörners politische Forderung ist längst allgemeine Überzeugung; schließlich ist das Zuhause der einzige Ort, wo wir unsere Tagesgestaltung selbst in der Hand haben. Und Selbstbestimmung bleibt auch im Alter wichtig. Immerhin 43 Prozent der Älteren leben heute allein.
Die digitalen Chancen
Smart homes können dabei helfen. Licht- und Heizungssteuerung, elektronischer Rollladen, Bewegungs- und Wassermelder können enorm hilfreich sein, wenn die Mobilität eingeschränkt ist. Eine Elektronikfirma wirbt mit dem Slogan „Das Zuhause, das sich kümmert.“ Und der Roboterassistent Care-O-bot, der am Fraunhoferinstitut entwickelt wurde, kann wie eine Haushaltshilfe einzelne Alltagstätigkeiten übernehmen. Hausnotrufsysteme sind längst selbstverständlich. Und Telefonketten, auch per Skype, werden an vielen Stellen erprobt.
Wo wird der Wunsch nach Autonomie zu Abhängigkeit?
Vernetzte Kameras allerdings, mit denen man wie mit Babyphone beobachten kann, was im Haus vorgeht, erinnern mich an den „Circle“, den Roman aus dem Silicon Valley, in dem eine Mitarbeiterin ein System testet, das die Gesundheit ihrer Eltern kontrolliert – und ihnen damit jede Privatsphäre raubt. Wo ist der Umschlagpunkt, der den Wunsch nach Autonomie in Abhängigkeit verkehrt?
„Das Zuhause, das sich kümmert“ trifft eine Sehnsucht. Mit dem Alter wächst das Bewusstsein, dass wir aufeinander angewiesen sind. In der Quartiers- und Nachbarschaftsarbeit haben die „Kümmerer“ und „Kümmerinnen“ Konjunktur.
Wo sind die Menschen, die nach mir sehen?
Denn letztlich besteht das Zuhause eben nicht nur aus vier Wänden; wichtig sind auch die Menschen, die ich kenne, die mich kennen- Nachbarschaftsnetze und „Sorgende Gemeinschaften“. Menschen, die nach mir sehen, wenn ich frisch aus dem Krankenhaus entlassen bin. Die schauen, ob der Briefkasten geleert wird. Und fragen, ob sie etwas vom Discounter mitbringen können. Im letzten Freiwilligensurvey wurden diese informellen Nachbarschaftsdienste untersucht – immerhin 25 Prozent kümmern sich auf diese Weise. Und alle gaben an, dass das der Lebensqualität im Viertel gut tut. Sorgende Gemeinschaften sind Netzwerke gegen die Einsamkeit.
Hilfen für abgelegene Regionen
In schrumpfenden Regionen, wo die Jüngeren ein – und auspendeln, die soziale Infrastruktur schwindet und kaum noch Hausärzte zu finden sind, werden die technischen Möglichkeiten in Medizin und Pflege immer wichtiger. Hier werden alte Modelle neu erprobt: technisch aufgerüstete „Gemeindeschwestern“, elektronisch verbunden mit der Arztpraxis, ermöglichen eine regelmäßige Begleitung der Patienten. Die Akzeptanz dieser Technologien wird mit jeder Generation größer – es ist nur ein kleiner Schritt von Skype zur Telemedizin, vom Fitnesstracker zum Smart Home. Damit wird die Aufgabe der Pflege immer anspruchsvoller. Zugleich allerdings ist gerade dieser Bereich unterfinanziert und leidet unter Fachkräftemangel. Bei knapp drei Millionen pflegebedürftiger Menschen fehlen etwas 36.000 Pflegende.
Längst müssen Pflegekräfte selbst wie Roboter arbeiten.
Die Pflege sei eine extreme Belastung, sagt der Gründer des Robotikherstellers Boston Dynamics, Marc Raibert, auf der Cebit. Er sei froh, dass das bald seine Roboter übernehmen könnten. Es sei ein Übersetzungsfehler, überhaupt von Pflegerobotern zu sprechen, meint dagegen Christian Buhtz. Er arbeitet im Forschungsprojekt FORMAT an der Medizinischen Fakultät Halle-Wittenberg. Der Gedanke, dass Roboter Pflege ersetzen könnten, käme von einem beinahe diskriminierenden und sehr verkürzten Verständnis pflegerischen Handeln, meint Buhtz. Das werde der individuellen und komplexen Pflegebeziehung nicht gerecht. Seitdem die Pflege so ökonomisiert und funktionalisiert wurde, dass Pflegekräfte sich wie selbst Roboter fühlen, meinen offenbar einige, sie gleich durch Technik ersetzen zu können. Inzwischen gibt es schon T-Shirts mit der Aufschrift: „Ich bin kein Pflegeroboter“.
Es geht um Wertschätzung der Pflege selbst
Wenn wir wollen, dass Ältere möglichst lange in ihrem Umfeld bleiben können, dann muss Pflege besser wertgeschätzt werden – vom Tarif bis zur Lebensleistungsrente. Dabei geht es auch darum, die Aspekte der Gemeindeschwesternarbeit, die weniger Pflege als Sozialarbeit oder Seelsorge waren, wieder zu gewinnen. Aus der Sozialstation muss ein multiprofessionelles Team werden – verknüpft auch mit den neuen Unterstützungsdiensten und Pflegeassistenzsystemen. Zu einer guten Versorgung im Quartier gehört eine funktionierende Zusammenarbeit mit Ärzten und Beratungsstellen, Tagespflege und Kurzzeitpflege, aber auch mit Nachbarn und Kirchengemeinden. Dabei ist es auch wichtig, Familien in die Nutzung von technischen Assistenzsystemen einzuführen.
Ein Roboter im Umfeld von Demenzerkrankungen
Merkwürdigerweise sind aber nicht die Pflegeassistenzsysteme, sondern die sozialen Roboter von Typ Pepper oder Robby die Vorreiter der Bewegung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert Pilotprojekte mit fast zehn Millionen Euro. Ein Team aus Wissenschaftler*innen der Universität Siegen und der Fachhochschule in Kiel hat den Pflegeroboter „Pepper“ im letzten Jahr versuchsweise für die Betreuung von Senior*innen programmiert und in den ersten Altenheimen getestet. Emma, die regelmäßig Gedächtnisspiele treibt, kann die Entwicklung einer Demenz exakt dokumentieren – eine Aufgabe, die bisher Pflegekräfte wahrnehmen. Langfristig soll Emma ans Internet angeschlossen werden, um von dort Software-Updates zu bekommen und in Clouds ihre Daten aufzubewahren. Wird Emma irgendwann nicht nur Krankheitsverläufe nachzeichnen, sondern auch Diagnosen stellen?
Das Gefühl, entmündigt zu werden.
Mit all dem werden Einrichtungen wie Pflegende schon bald verantwortlich umgehen müssen. In einer Einzelfallstudie in Japan schalteten Pflegekräfte die Roboter aus: Die permanente Aufzeichnung führte zu dem Gefühl, entmündigt zu werden. Dabei werden die Kompetenzen und Erfahrungen der Pflegenden in den rasanten Veränderungsprozessen gebraucht. Das niederländische Pflegemodell der Buurtzorg fasziniert auch deswegen so viele, weil es den Mitarbeitenden zutraut, über die individuellen Zeittakte und den notwendigen Sorgeaufwand bei ihren Patientinnen und Patienten zu entscheiden; hier eröffnet die digitale Unterstützung Freiräume. Digitalisierung kann unterstützend wirken. Aber sie kann die unmittelbare, existenzielle Kommunikation nicht ersetzen.
Die Bedeutung ethischer Debatten für differenzierte Bewertungen
Nach einer Umfrage für den Digitalverband Bitkom ist eine Mehrheit der Bundesbürger*innen von einem künftigen Einsatz von Robotertechnik in der Pflege überzeugt. 57 Prozent der 1004 Befragten über 18 Jahre rechnen in zehn Jahren mit Roboter-Unterstützung für Pflegekräfte bei schweren Arbeiten. Skeptischer bewerten die Befragten Service-Roboter, die etwa Essen zubereiten und servieren – aber noch 45 Prozent halten dies für wahrscheinlich. Vom Einsatz von „Kuschel-Robotern“, die sich mit den Pflegebedürftigen unterhalten können und Emotionen zeigen, sind dagegen nur 28 Prozent überzeugt.
Eine Frage der Qualitätsentwicklung.
Das zeigt eindrücklich, wie wichtig eine Diskussion über ethische Werte ist – schließlich kommt eine derartige Technologie dem Menschen besonders nahe. „Wer erlebt hat, wie positiv alte Menschen mit Demenz auf eine ihnen angenehme Berührung reagieren, kommt im Traum nicht auf die Idee, für die Körperpflege …Roboter einsetzen zu wollen“, schreibt Adelheid v. Stössel. Wir können existenzielle Kommunikation und menschliche Beziehungen nicht an technische Systeme externalisieren wie die Ortskenntnis an das Navi oder den Kalender ans Smartphone, ohne selbst zu verarmen. Die Entwicklung von Pflegerobotern muss eingebunden sein in die soziale und kulturelle Qualitätsentwicklung.
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Autorin: Cornelia Coenen-Marx ist ev. Theologin und Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge“
Foto: Matheus Ferrero / unsplash.com