Jan Feddersen und Philipp Gessler legen mit ihrem Buch „Phrase unser“ eine weitere Kritik an der Kirchensprache vor. Stefan Gärtner rezensiert – und ordnet das Buch ein in die aktuelle Diskussion der Kirchenkritik.
Der Kommunikations- und Organisationsberater Erik Flügge hat 2016 mit seinem Bestseller über den Jargon der Betroffenheit eine pointierte Kritik der Glaubenskommunikation veröffentlicht.[1] Das Buch sorgte unter pastoralen Professionals für einigen Aufruhr; dabei sind seine Analysen der gängigen Kirchensprache eigentlich „wenig innovativ“.[2] Theologen wie Hubertus Halbfas, Gert Otto oder Gerhard Ebeling haben sich dem Thema bereits früher gewidmet. Außerdem bedenkt Flügge kaum die tieferliegenden Gründe für die pastorale Wort-Sklerose (Kurt Marti).[3]
Wenn man aber einfach nur jungen Wein in alte Schläuche gießt, dann ist dies nach Matthäus 9,17 wenig erfolgversprechend. Mit anderen Worten: Ohne Ursachenforschung und kirchliche Strukturveränderungen greift Sprachkritik zu kurz, wobei sich Seelsorgerinnen, Katecheten, Kirchenobere und Predigerinnen für diese Aufgabe natürlich zuerst an die eigene theologische Nase fassen müssen.
Bei manchen von ihnen hat Flügge mit seinem Buch Nachdenklichkeit angestoßen. Bewusstsein dafür, dass etwas im Argen liegt, ist ein erster Schritt. Wer einen zweiten setzen mag, kann die Glaubenskommunikation ab diesem Jahr in einem von Flügge mitgestalteten Studiengang erlernen.[4] Natürlich gibt es dafür auch andere Wege. Gemeinsames Ziel ist es, sprachfähiger zu werden.
Wer diese Forderung in der Kirche stellt, meint damit, „dass man endlich zu einer Haltung kommen konnte – und darüber gern und ausführlich sprechen möchte. Was nicht sagbar ist, kann beschwiegen werden. Die Sprechfähigen sind oft nicht davor zu bewahren, ihr gelegentliches Stottern für das Ringen um Sprechfähigkeit zu deklarieren. Alles halb so wild!“[5] So lautet die ironische Erläuterung, die die beiden Journalisten Jan Feddersen und Philipp Gessler als Glossar ihrer Kritik der Kirchensprache beigefügt haben. Das Glossar ist oftmals treffend und manchmal witzig. Dabei ist ihr Anliegen durchaus seriös.
Die Kirchensprache setzt zwar Zugehörigkeitssignale, aber kaum klare Signale, wen sie implizit ausschließt.
Der Ausgangspunkt von Flügges Buch waren seine Blogs im Internet. Feddersen und Gessler packen die Sache gründlicher an. Sie haben Fachleute interviewt und Literatur studiert. Ihre wenig überraschende Ausgangsthese lautet, dass die kirchliche Sprache ein Jargon ist, der nur noch in den eigenen (bildungs-) bürgerlichen Reihen verstanden wird. Die Glaubenskommunikation funktioniert als ein Soziolekt, der einerseits eine Bindung nach Innen befördert bei denen, die ihn verstehen. Andererseits wirkt er exklusivistisch auf alle anderen, die nicht in die Kirche hineinsozialisiert sind. Dieser faktische Ausschluss wird aber verborgen. Denn die Kirchensprache setzt zwar „Zugehörigkeitssignale, aber kaum klare Signale, wen sie implizit ausschließt. Dabei wissen alle Beteiligten, wer drin und wer draußen ist.“[6]
In der Kirche gibt es zum einen die althergebrachten theologischen Worte und Symbole. Es ist klar, dass Begriffe wie Gnade, Kreuz, Allmacht oder Sünde nicht mehr ohne weiteres verstanden werden, insbesondere wenn sie auf eine formelhafte Weise verwendet werden. Die Gefahr einer „Überwältigungsrhetorik“[7] war hiermit verbunden. Heute wirkt das auf eine Mehrheit eher wie frommes Gerede ohne Bedeutung.
Import psychologischer, ökologischer und sozialpädagogischer Phrasen und Floskeln der 1970er und 1980er Jahre
Diese traditionelle ‚harte‘ Sprache, die bis in die 1960er Jahre hinein bestimmend war, hat eine Gegenreaktion ausgelöst. Das ist die zentrale Aussage des Buches. Es geht um den Import psychologischer, ökologischer und sozialpädagogischer Phrasen und Floskeln der 1970er und 1980er Jahre (vielleicht müsste man hier noch den Einfluss der Management- und Organisationsentwicklungssprache seit der Jahrtausendwende ergänzen). Die Forderung nach herrschaftsfreier und durchlässiger Kommunikation auf Augenhöhe bestimmte fortan die Kirche. Empathie färbte ihre Sprache ein. Die Kirchen- und Katholikentage, Verkündigungssendungen im Fernsehen sowie das Neue Geistliche Liedgut haben diesen Import breitenwirksam gemacht. Die Gottesrede wurde weichgespült. So entstand eine Melange aus traditioneller Frömmigkeit und Dogmatik mit dem sprachlichen Zeitgeist der beginnenden Spätmoderne.
Kirchensprache „ist in weiten Teilen eine Sprache der Vorsicht, ja der Angst, sie meidet Klarheit und verdeckt Verantwortung.“
Wie wirkt sich dies konkret auf die Kirchensprache aus? „Sie ist in weiten Teilen eine Sprache der Vorsicht, ja der Angst, sie meidet Klarheit und verdeckt Verantwortung. Sie simuliert eine Nähe, ja manchmal gar eine Sinnlichkeit, die sie in Wahrheit gar nicht besitzt.“[8] Sie ist moralinsauer und macht ein schlechtes Gewissen, wobei sie heute ohne Drohgebärden auskommt. Stattdessen schlägt sie sanfte Töne an. Deutliche Aussagen sind selten und Klarheit wird umgangen durch vage Formulierungen (Achtsamkeit; Abholen; Mitnehmen), Infinitivkonstruktionen, die Zuständigkeiten vernebeln (In die Zukunft Brücken bauen), Rücksichtnahme (Ich kann das gut hören; Ich lege meins daneben), Konjunktive (Ich würde sagen) und Relativierungen, wie mit dem pastoralen Längenmaß Ein-Stück-weit, dem Irgendwie oder einem Sowohl-als-auch. Näheres dazu findet sich im genannten Glossar.
Die Sprache bläht sich mit Adjektiven wie spannend, kostbar, authentisch oder anregend auf.
„Das kirchliche Milieu ist eines, das ständig nach Harmonie, Bestätigung, Lob und Anerkennung verlangt. Es wird häufig so gesprochen, dass alle zustimmen können.“[9] Wohlgefallen statt Widerspruch. Die Sprache bläht sich mit Adjektiven wie spannend, kostbar, authentisch oder anregend auf. Persönliche Ich- und vereinnahmende Wir-Botschaften suggerieren Nähe, ohne sie wirklich herzustellen. Auch die versprochene Augenhöhe gibt es faktisch nur selten. Stattdessen werden Machtunterschiede stilistisch vertuscht und Kritik wird unter subtiler Herablassung eingehegt. Emotionen wie Wut, Zorn oder Aggression werden unterdrückt. Eine klare Analyse, die in Teilen mit der von Flügge übereinkommt.
Feddersen und Gessler versammeln in ihrem Buch vielfältige Ideen und Thesen, bei denen man sich manchmal einen empirischen Wirklichkeitsabgleich wünschte. Bei der Frage der Konfessionsunterschiede wird zum Beispiel behauptet, dass die katholische Verkündigung aus historischen Gründen volkstümlicher und unterhaltsamer sei oder dass dabei von den Sakramenten her ein magisches Wortverständnis eine Rolle spiele. Überzeugender erscheint da die Aussage, dass in der katholischen Kirche der Graben zwischen der offiziellen Lehrverkündigung und den Versuchen, diese verständlich an den Mann oder an die Frau zu bringen, wesentlich größer ist. Das gilt insbesondere, wenn der römische Duktus dabei berücksichtigt werden muss.
Was die Ursachen der Sprachkrise angeht, sehen die Autoren eigentlich eine Kirchen- und Glaubenskrise.
Was die Ursachen der Sprachkrise angeht, sehen die Autoren eigentlich eine Kirchen- und Glaubenskrise. Die Unklarheit der Gottesrede bedeute, dass es den Kirchen selbst an Klarheit fehlt. Sie weichen mit ihrer Sprache der Wahrheits- und letztlich der Gottesfrage aus. Das würde erklären, warum sich das ‚Kirchisch‘[10] so hartnäckig hält. Dementsprechend greifen Appelle zu kurz, einfach nur die Sprache à jour zu bringen, um damit alle Probleme zu lösen. Eigentlich fehlt es an Mut, weil die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust lähmt. Die Kirche will in Zeiten der religiösen Deinstitutionalisierung niemanden vor den Kopf stoßen.
Die Diagnose ist deutlich. Was die Therapie angeht, machen die Autoren einige wenige Vorschläge. Die Kirchensprache könnte sich von der Poesie, den Sozialen Medien oder der Bewegung der Leichten Sprache anregen lassen. Außerdem gilt es die Sprachbilder, die Rituale, die Gesten und die Musik der christlichen Traditionen zu achten. Das heißt, dass die Kirche deren Schönheit und Kraft Ausdruck verschafft, ohne sie permanent mit Worten zuzudecken. Denn: „Wer die Form nicht achtet, muss reden“ (Fulbert Steffensky).[11]
Nicht nur wer Flügge mochte, sollte dieses Buch lesen, weil es die Glaubenskommunikation wesentlich genauer unter die Lupe nimmt. Darüber hinaus denken Feddersen und Gessler in Ansätzen auch über die Ursachen der Sprachkrise nach, wobei die Sprache der Kirche für sie (wie schon für Flügge) die Sprache der Hauptamtlichen und Funktionäre ist. Das gut geschriebene Buch enthält eine reiche Palette an Einsichten, Ideen und Thesen. Wer in der Pastoral an einer angemessenen Glaubenskommunikation arbeitet, kann sich von dieser Palette bedienen, selbst wenn ihm oder ihr einzelne Farben bereits bekannt sein dürften.
[1] Vgl. Erik Flügge, Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München 2016.
[2] Georg Langenhorst, Das Wort Gott – ein „Wirkwort“ (Andreas Knapp). Literarische Sprachschulungen für Theologie und Religionspädagogik, in: Frederike van Oorschot/Simone Ziermann (Hrsg.), Theologie als Übersetzung? Religiöse Sprache und Kommunikation in heterogenen Kontexten, Leipzig 2019, 127-142, hier: 129.
[3] Vgl. Arnd Bünker, Jargon der Betroffenheit? Zum Hype um das Buch von Erik Flügge, in: feinschwarz.net 01. 09. 2016.
[4] Vgl. Christoph Paul Hartmann, Wie Glaubenskommunikation relevanter und breitenwirksamer werden soll, in: katholisch.de 08. 09. 2020.
[5] Jan Feddersen/Philipp Gessler, Phrase unser. Die blutleere Sprache der Kirche, München 2020, 173.
[6] Ebd., 92.
[7] Ebd., 44.
[8] Ebd., 16.
[9] Ebd., 69.
[10] Vgl. Ute Leimgruber, Mehr als Symptombehandlung. Was Verkündigung wirklich braucht, in: Lebendige Seelsorge 67 (2016), 307-311.
[11] Zit. n. Feddersen/Gessler, Phrase, 132.
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Autor: Stefan Gärtner ist Assistant Professor für Praktische Theologie an der Tilburg School of Catholic Theology, Niederlande.
Beitragsbild: Pixabay
Zum Thema auf feinschwarz.net veröffentlicht:
Endlich spricht es einer aus! Die Kritik Erik Flügges an der unerträglichen kirchlichen Sprache