Politische Theologie benötigt eine Klärung ihres Freiheitsverständnisses. Jan Niklas Collet zur Diskussion um diese Herausforderung – diesseits und jenseits transzendentaler Reflexion.
Angesichts der Anfragen der Befreiungstheologie sah Thomas Pröpper die europäische Theologie vor eine doppelte Aufgabe gestellt, nämlich einerseits eine Vermittlung mit dem neuzeitlichen Freiheitsbewusstsein und andererseits entschiedene Kritik an der „tatsächlichen Selbstbestimmung der Freiheit“. Denn „[n]ur so“ könne die Theologie jener Solidarität Ausdruck verleihen, „die sie heute, als europäische Theologie, der Theologie der Befreiung schuldet.“[1]
Thomas Pröpper: Versuch einer begründungslogischen Absicherung der Neuen Politischen Theologie und der Theologie der Befreiung
Dabei zielte Pröpper auf eine Radikalisierung der anthropologischen Wende der Theologie. Anders als Johann Baptist Metz, der dazu die Ablösung des Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden transzendental-idealistischen Paradigmas der Theologie durch ein narrativ-praktisches Paradigma für notwendig hielt und darum für eine materialistische Theologiekonzeption plädierte[2], hielt Pröpper es für ausreichend, auf einen „anderen Typ transzendentaler Reflexion“[3] zurückzugreifen. Letztlich zielte er damit auf eine begründungslogische Absicherung der Neuen Politischen Theologie und der Theologie der Befreiung.
Zu ihnen stellte er sich also keinesfalls in Opposition, sondern stand ihnen wohlwollend gegenüber. Er wollte sie mit seiner Theologie wohl aus einem ihnen eher fremden Diskurs heraus unterstützen und ihre seiner Meinung nach berechtigten Anliegen gegen den Vorwurf verteidigen, sie wiesen ein unlösbares Theoriedefizit auf. Anscheinend hat Pröpper selbst ein solches gesehen, aber er hat es nicht für unlösbar gehalten – und genau dies wollte er zeigen. Ist es ihm auch gelungen?
Ist der Versuch gelungen?
Hans-Gerd Janßen, der sich selbst im Diskursfeld der Neuen Politischen Theologie verortet und Pröppers Anliegen würdigt, hat sich diese Frage gestellt. Die Neue Politische Theologie (und, wie ich hinzufügen möchte, die Theologie der Befreiung) durch eine transzendentale Freiheitsanalytik begründungslogisch abzusichern sei allerdings, so Janßen, weder nötig noch möglich. Mit anderen Worten: Pröpper lag zwei Mal falsch – nicht nur in der Problemlösung, sondern schon in der Diagnose. Er kann das veranschlagte Problem nicht lösen, weil es das Problem „Theoriedefizit“ nicht gibt.[4]
Ich halte Janßens Kritik an Pröppers theologischer Denkform für berechtigt. Zugleich meine ich, dass auf geradezu ironische Weise just das Scheitern der transzendentalen Freiheitsanalytik für das Anliegen einer zeitgemäßen politischen Theologie zur Herausforderung wird. Diese These möchte ich im Folgenden erläutern. Sie führt letztlich zu einem Plädoyer für eine politische Theologie der Freiheit.
Plädoyer für eine politische Theologie der Freiheit
Janßens zentraler Kritikpunkt betrifft die bei Pröpper vorausgesetzte Unterscheidung zwischen Geltung und Genese von Werten und Normen. Wie Janßen setze auch ich in meiner Kritik an dieser Unterscheidung an, die sich bei Pröpper schon in der veranschlagten Aufgabenstellung für die europäische Theologie zeigt.
Wenn er nämlich fordert, theologisch sei zugleich die Vermittlung mit dem neuzeitlichen Freiheitsbewusstsein wie die Kritik an der tatsächlichen Freiheitsgeschichte zu leisten, unterstellt er zumindest logisch, dass beide mehr oder weniger unabhängig voneinander gegeben bzw. dem Denken zugänglich sind. Aber wird damit das Wort „Freiheit“ nicht äquivok gebraucht? Wenn die Freiheitgeschichte das Freiheitsbewusstsein letztlich quasi unberührt lässt, ist es dann eigentlich noch Freiheitsbewusstsein? Unrecht mag es ja geben, aber mit „Freiheit“ hat es im Grunde nichts zu tun; es kommt nur als deren Anderes in den Blick, wird also vom Begriff der Freiheit ausgeschlossen. So ist der Freiheitsbegriff unangreifbar, reine Positivität. Das mag man begrüßen. Nur fragt sich natürlich auch umgekehrt, was er dann eigentlich noch mit der konkreten (Un-)Freiheitsgeschichte zu tun hat.
Eine folgenreiche Differenz: Freiheitsbewusstsein und Freiheitsgeschichte
Man mag hier im Sinne Pröppers einwenden, dass jener Ausschluss nicht willkürlich geschieht, sondern erst auf der Grundlage der transzendentalen Freiheitsanalytik. Gerade darin liege ihre Kraft, da sich so ein Kriterium der Unterscheidung zwischen Freiheit und Unfreiheit positiv formulieren lasse. Allerdings handelt es sich dabei m.E. eher um eine Problemverschiebung – die am Ende eine Problemverschärfung ist.
Freiheit als das Vermögen des Subjekts[5], alles und jedes material Gegebene übersteigen und sich dazu verhalten zu können, ist nach Pröpper formal unbedingt, durch nichts außer sie selbst begrenzt und vor allem durch nichts außer sie selbst zu begründen, also selbstursprünglich. So ist sie als formal unbedingte Freiheit die Bedingung der Möglichkeit existierender Freiheit. Letztere ist demnach nicht wie jene unbedingt, sondern bedingt, und zwar material: sie ist nämlich „welthaft situiert, leibhaft gebunden und intersubjektiv vermittelt.“[6] Zwischen den beiden Polen der unbedingt-bedingten Freiheit besteht folglich eine nicht aufzulösende Spannung. Denn jeder materiale Inhalt, den sich die Freiheit gibt, unterbietet kategorisch ihre formale Unbedingtheit. Selbst, wenn sie sich einen ihrer Unbedingtheit entsprechenden Inhalt sucht, die andere Freiheit nämlich, kann sie aufgrund ihrer materialen Bedingtheit deren Anerkennung letztlich gerade nicht mehr leisten. Und genau hier liegt die Problemverschärfung.
Freiheit: ein gänzlich leeres Begriffkonzept
Denn in der Logik Pröppers ist Freiheit damit letztlich ein geschichtlich bloß asymptotisch realisierbarer Begriff. Freiheit ist damit nicht mehr lediglich das nach dem Ausschluss gesellschaftlicher Negativität Übriggebliebene, nicht mehr nur ein restlos positiv besetzter Restbegriff. Freiheit wird nun vielmehr zu einem gänzlich leeren Begriff. Man könnte einwenden, gänzlich leer sei Freiheit eigentlich nur auf ihrer formalen Seite, auf ihrer materialen Seite hingegen nicht, und zu Pröppers Freiheitsbegriff gehörten schließlich beide in ihrer Spannung. Allerdings wird man hier fragen dürfen, was denn die Freiheit zur Freiheit mache, und das ist nach Pröpper doch wohl ihre formale Unbedingtheit. Ihre materiale Bedingtheit macht die formal unbedingte Freiheit je unfreier, je tiefer sie sich in die Materialität von Geschichte und Gesellschaft begibt.
Von daher kehrt hier m.E. die Frage wieder, ob der Begriff der Freiheit nicht äquivok gebraucht, der äquivoke Gebrauch nun allerdings in den Begriff der Freiheit selbst verschoben und gerade dies als sein Charakteristikum bezeichnet wird. Wird damit aber nicht die Not zur Kunst erklärt? Ein positives Kriterium der Unterscheidung wird dabei allerdings nicht gewonnen. Die rein formale Form nützt dazu am Ende nicht, da sie fundamental ungeschichtlich ist.
Ein fundamental ungeschichtlicher Begriff der Freiheit
Damit verliert die transzendentale Freiheitstheologie Pröppers ihr gesellschaftskritisches Potential und kann auch ihre Intention nicht einlösen, die Neue Politische Theologie und die Theologie der Befreiung begründungslogisch abzusichern. Die transzendentale Analytik der Freiheit taugt daher m.E. weder als begründungslogisches Fundament noch als hermeneutisches Paradigma einer politischen Theologie.
Es wäre allerdings ein fundamentaler Irrtum, mit der Verabschiedung der transzendentalen Reflexion bedenkenlos zum politisch-theologischen Tagesgeschäft überzugehen. Denn das Scheitern der transzendentalen Freiheitsanalytik ist keineswegs ein „Sieg“ für die politische Theologie. Es stellt sie vielmehr vor eine umso größere hermeneutische Herausforderung.
Hermeneutische Herausforderung der Neuen Politischen Theologie
Denn gescheitert ist das von Pröpper vorangetriebene Projekt der hier vertretenen Ansicht nach ja an der Unterscheidung von Genesis und Geltung, man könnte auch sagen ethischer Norm (Geltung) und ästhetischer Form (Genesis). Der Abstand zwischen beiden wird im Rahmen einer transzendentalen Reflexion am Ende so groß, dass der Gedankengang zusammenbricht und nach dem Scheitern der transzendentalen Freiheitsanalytik nur die ästhetische Form übrigbleibt. Die Ausbildung ästhetischer Formen der Lebensführung und gesellschaftlicher Praxis braucht jedoch Orientierung, wenn sie kritisch sein will.
Kritisch zu sein ist aber genau das, was politische Theologien sein wollen. Wenn der Weg der transzendentalen Reflexion zur Gewinnung von Orientierung verschlossen ist, fragt sich, wie dies auf andere Weise möglich ist, ohne in Fundamentalismus oder Nihilismus abzudriften. Es geht am Ende um weitaus mehr als die Frage, was eine Gesellschaft zusammenhält – was bisweilen auch nur die Übersetzung der Frage ist, wie alles so bleiben kann wie es ist. Es geht um die fundamentalere Frage, wie eine theologische Kritik gesellschaftlicher (Un-)Zustände möglich ist, die, pointiert gesprochen, mehr anzubieten hat als den Weltuntergang. Denn was wäre schon eine Befreiung durch Vernichtung? Und wie soll man auch heute schon, vor der befreienden Vernichtung, leben können?
Die Ausbildung ästhetischer Formen der Lebensführung und gesellschaftlicher Praxis braucht Orientierung, wenn sie kritisch sein will.
Die transzendentale Freiheitsanalytik erweist ihr theologisches Potential gerade dort, wo sie nicht mehr weiterführt. Diesseits der transzendentalen Freiheitsanalytik hat die politische Theologie daher heute eine politische Theologie der Freiheit zu sein – verstanden nicht als Substanz oder Vermögen, sondern als Praxis des Anderslebens –, die die Gottesfrage in ethisch-ästhetischer Hinsicht reformuliert und als solche in der Gegenwart je neu bedenkt.
[1] Pröpper, Thomas: Evangelium und Freiheitsgeschichte. Eine Skizze zur Soteriologie, München ³1991, 13.
[2] Vgl. Metz, Johann Baptist: Unterwegs zu einer nachidealistischen Theologie, in: Bauer, Johannes B.: Entwürfe der Theologie, Graz / Wien / Köln 1985, 209-233.
[3] Vgl. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte, 125.
[4] vgl. Janßen, Hans-Gerd: Analyse der Freiheit und Erinnerung an Befreiung. Versuch einer Auseinandersetzung mit Thomas Pröpper, in: Manemann, Jürgen / Wacker, Bernd (Hg.): Politische Theologie – gegengelesen. Jahrbuch Politische Theologie 5, Münster 2008, 209-241.
[5] Zu Pröppers Freiheitsverständnis vgl. Pröpper, Thomas: „Wenn alles gleich gültig ist…“ Subjektwerdung und Gottesgedächtnis, in: Ders. (Hg.): Evangelium und freie Vernunft. Konturen einer theologischen Hermeneutik, Freiburg i. Br. 2001, 23-39.
[6] Ebd., hier 28.
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Jan Niklas Collet, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut M.-Dominique Chenu (Berlin) im Forschungsprojekt „Initiative für den Verbleib in der Kirche“ des Bistums Essen (2016/2017)
Bild: Aaron Burden / unsplash