Auch die Theologie kann Science-Slam. Im Tübinger Theosalon hat Lea Klopfer einen Slamtext zum Thema „Loser“ performt. Inspiration dazu war das Lied „El baile de los que sobran“ (Der Tanz der Überflüssigen) der chilenischen Gruppe „Los Prisioneros“.
El baile de los que pierden
Tanz, Loser, tanz, nach der Pfeife der Reichen,
nach den Pfeifen des Systems, nach den Pfeifen die nicht weichen
bis du endlich in ihr kleines Zerrbild passt
denn als Loser wird man nicht geboren,
zum Loser wird man gemacht,
du wirst arm gemacht, in Armut gehalten,
die Arme gefesselt
denn der Arme ist
der Diskriminierte, Instrumentalisierte,
die Andersdenkende, Exkludierte,
der zum Zweck des anderen Missbrauchte,
die in ihrem Sein Negierte,
unsichtbar, unerhört,
denn unerhört ist der Protest
und unerhört bleibt er, ungehört die stummen Schreie des Rests.
Armut ist nicht individuell,
sondern kollektiv und strukturell,
hat viele Gesichter, ist sozial, materiell und kulturell,
bezieht sich auf Verweigerung des Menschseins an sich
Sexualität, Herkunft, Befähigung, Teilhabe, Ausbildung eines Ich.
Armut geschieht, wenn Rechte nicht wahrnehmbar sind, sie verhandelbar werden,
Abhängigkeiten entstehen, die zu Ausbeutung werden,
Armut ist nicht natürlich, ist Ergebnis von Gewalt und Macht,
ist historisch gemacht
und erschient dennoch als undurchdringliche Macht,
die immer schon da war, so bleiben wird, ja so bleiben muss,
Gottes Wille, unentrinnbares Schicksal, dieser Stuss
wird so lange gepredigt, bis man tatsächlich den Unterdrücker interiorisiert,
das eigene Sein inferiorisiert,
das äußere Inferno als gegeben akzeptiert
sich selbst nur sieht als der, der existent ist, zu funktionier’n
der nur Sinn hat, dem anderen zu dienen und darin sich zu verlieren.
Der, wenn er denkt, er denkt,
nur denkt, dass er denkt,
weil in Wirklichkeit der Unterdrücker in ihm denkt,
sodass er denkt,
dass er, um Mensch zu sein, selbst zum Unterdrücker werden muss,
den anderen als Objekt missbrauchen muss
ausbeuten muss, haben muss,
denn für die Reichen bedeutet Haben Sein
und so kann der Mitmensch nur Besitz sein.
Doch wer den anderen enthumanisiert, enthumanisiert sich selbst, letztlich
und so wird die Unterdrückung für beide zum Gefängnis,
das nach Befreiung, nach grundlegender Veränderung schreit,
einer Befreiung, die bis an die Wurzel reicht,
die die Ursachen aufhebt und nicht nur äußerlich greift,
sondern auch das Denken umfasst, die Strukturen verwandelt
denn wer nur die Pole umtauscht, bleibt im Alten verankert.
Doch wie ausbrechen, woher nehmen, was
so sehr der herrschenden Logik widerspricht, was
so sehr unlogisch ist, so sehr utopisch ist, dass es
die gängigen Denkmuster durchbricht?
Durchbrechen kann nur, was von außen her kommt, in Exteriorität
Exterior sind aber nur die Loser, die so diese Idolisierung und Pietät
der Strukturen und Verhältnisse beginnen können, zu hinterfragen,
die Ursachen zu erfragen,
die Machtverteilung kritisch zu befragen,
zu fragen, wer warum eigentlich wie bestimmt
und warum die Verhältnisse genau so sind wie sie sind,
conscientização, Bewusstwerdung der Ungerechtigkeit
die Desmaskierung der Verhältnisse in ihrer Veränderbarkeit
ihre Entmythisierung in ihrer Verursachtheit
ihre Entnaturalisierung und Hinterfragbarkeit
denn nur, was gottgegeben scheint, hält den Menschen in Erstarrtheit,
und die Veränderbarkeit zu erkennen enthält den Schlüssel zur Freiheit,
zu einer Befreiung, die umfassend und ganzheitlich handelt
zu einer Ermächtigung, zur Befähigung, zum prophetischen Protest, der verwandelt,
ja, Veränderung kann nur passieren, wenn der Loser selbst kämpft, sich wehrt,
soll Befreiung nicht umschlagen in Gewalt, die in neue Abhängigkeit führt,
die zwar vom Unterdrücker, aber nicht von den Erlösern erlöst.
Die Loser müssen so aus sich selbst heraus gegen den Rhythmus stampfen,
nicht nur andere Strophen singen, sondern andere Tanzschritte tanzen
sich befreien zum eigenen Sein, handeln gegen den Strich,
sich ermächtigen zu kämpfen für das Von-Angesicht-zu-Angesicht.
el pueblo unido jamás será vencido
Darum Loser aller Länder vereinigt euch,
aus allen Milieus, allen Gender, allen Nationen, vereinigt euch
und auch für uns, die wir vermutlich auf der anderen Seite stehen:
es geht nicht darum oberflächlich Pflaster draufzukleben,
warme Worte auszuschütten, um dann unbehelligt weiter zu leben,
sondern die Krankheit auszurotten, an die Wurzel zu gehen,
an die radix, radikal, von Grund auf, und sich selbst nicht rauszunehm’n
sondern sich selbst zu hinterfragen und die eigene Position,
in aktiver compassion,
in solidarischer Aktion,
die kein Aktivismus ist, der einfach hinweggeht
über den Willen der Loser, sondern von ihnen ausgeht,
der hingeht, hineingeht, mitgeht, mitkämpft
auf Augenhöhe, statt mit Paternalismus, der den anderen als Person verkennt.
Deshalb: únense al baile de los que pierden
reiht euch ein in den Reigen, lasst uns alle zu Losern werden.
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Lea Klopfer ist wiss. Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie in Tübingen.
Bild: Teresa Schweighofer